Donnerstag, 14. Februar 2013

Europabrief zur Fastenzeit. Eine Betrachtung von Florian Kolfhaus

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In der Fastenzeit betrachten wir das Leiden Jesu. Dabei geht es nicht darum, sich einfach nur daran zu erinnern was vor 2000 Jahren mit Jesus geschehen ist, sondern zu erkennen, dass er all das für mich persönlich getan hat. Jeden einzelnen Menschen – auch mich – hatte er vor Augen als er verurteilt, gegeißelt und gekreuzigt wurde. Auf jeder Station seines Kreuzwegs will er mich ansprechen und mir zeigen, wie sehr er mich liebt. 

Als Jesus vor dem römischen Statthalter steht, sagt er mir: „Ich richte den, der die Liebe verurteilt. Doch mein Gericht ist anders als das des Pilatus, denn ich selbst stelle mich an den Platz des Schuldigen. Ich beuge mich dem ungerechten Urteil des römischen Statthalters, damit Du  freigesprochen wirst. Ahnst Du, wie sehr ich Dich liebe?“

Als er das Kreuz auf seine Schultern nimmt, denkt er an die Last meines Lebens: „Ich trage nicht Holz auf meinen Schultern, das für das Feuer bestimmt ist. Ich trage die Welt. Ich trage, wie ein Lasttier, die Menschen und jeden einzelnen. Ich trage Dich. Jede Sünde, jede böse Tat, ist ein Hieb in meine Flanken; ist eine Wunde, die schmerzt und die mich doch nur dazu drängt weiterzugehen. Meine Liebe trägt Dich. Nichts ist mir zu schwer, weil ich Dich liebe. Ich bitte Dich, geh diesen Weg mit mir. Hilf mir, die Welt zu tragen. Ich weiß, dass Du Angst hast vor dem Kreuz und glaubst, von seiner Last erdrückt zu werden. Aber nichts wird Dir zu schwer, weil ich Dich liebe.(..)

Ich bitte Dich, lass es geschehen, denn ich brauche Deine Hilfe und ich sehne mich nach Deiner Liebe. Merkst Du nicht, dass Du mir so nahe bist wie nie zuvor?“

Festgenagelt ans Holz des Kreuzes blickt er mich an, als ob ich der einzige Mensch auf Erden wäre, und er für mich allein den Tod erlitte: „Ich könnte mich von meinem Kreuz befreien und herabsteigen. Nein, diese Nägel können mich nicht festhalten – aber Du. Es geschieht für Dich. Bis zum letzten Moment wird mein Blick auf Dir ruhen und weil ich Dich sehe, kann ich all das ertragen. Wenn all das Leiden, all die Wunden und Schmerzen, all die Bitterkeit und Scham, der Preis ist, den ich für Dich zahlen muss – so bist Du es ohne Zweifel wert. (..) Lass meine Wunden die Deinen sein, so wie die Deinen schon längst die meinen sind.“

Jesus leidet, weil er uns zu Liebenden machen will. Er ruft uns zur Kreuzesnachfolge auf, weil er unsere Freundschaft sucht. Das Gebet des Kreuzwegs ist nicht einfach eine fromme Andachtsübung, die vielleicht manch „fromme Seele“ zu Tränen rühren mag, so als ob man von Ferne – aus sicherer Distanz – das Leiden Jesu und der anderen betrachten könnte. Nein, es ist eine Einladung mitzugehen. Es geht darum, Jesus ganz persönlich zu mir sprechen lassen, um dann die Via Dolorosa meines eigenen Lebens zu ersteigen. Mit ihm verwandelt sich die schmerzensreiche Strasse in eine „Via Amorosa“ , an deren Ende ich erkenne, dass kein Leid, auch wenn es nur mit einem Funken Liebe angenommen wird, sinnlos ist. Es geht nicht darum, im Leben „heil davonzukommen“, sondern „das Heil zu finden“.

Das Beten des Kreuzwegs lehrt uns, an die Liebe zu glauben, selbst wenn alles dunkel erscheint. Auch wenn wir immer wieder fallen, gibt der Blick auf ihn die Kraft, wieder aufzustehen und weiterzugehen, weil er uns sagt – immer wieder: „Schau auf mich. Niemals kannst Du tiefer stürzen als ich.“ So wird der Kreuzweg zum Lebensweg, der nicht in der Nacht des Karfreitags, sondern im Licht des Ostersonntags endet.


Aus: Florian Kolfhaus, Via Dolorosa, Der Kreuzweg Christi, ISBN 978-3-940879-20-2

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