Samstag, 9. März 2013

Armut und Politik



@ jobcenter-team-arbeit-hamburg


 
Meine sehr verehrten Damen und Herren, verehrte Kolleginnen und Kollegen,
 
ich erlaube mir die Ansprache, da ich selbst über 30 Jahre lang in der Arbeitsmarktpolitik aktiv war, zuletzt als Fallmanager und Personalratsvorsitzender eines kommunalen Jobcenters. Sie dürfen also davon ausgehen, dass sich hier ein Bürger an Sie wendet, der über fundierte Kenntnisse des Systems verfügt, der die Entwicklungen der letzten Dekaden intensiv und aktiv begleitet hat und der in der Lage ist, diese zu analysieren und auch darzustellen.

Ich nehme das vorweg: Ich bin inzwischen aus dem Dienstverhältnis ausgeschieden, ich konnte es mit meiner Ethik und mit meinem Gewissen nicht mehr vereinbaren, an der Verelendung großer Bevölkerungsschichten mitzuwirken.

Ich konnte die Ungerechtigkeit und die Unmenschlichkeit nicht mehr ertragen, mit der dieses System beseelt ist und das den Betroffenen wie den Akteuren auf der anderen Seite des Schreibtisches die Seele, die Menschlichkeit raubt.

 
Ich bin kein Verwaltungsmensch, ich bin Geisteswissenschaftler und daher mag auch mein Blick auf die Realitäten ein anderer sein, als Ihrer. Anlässlich der öffentlichen Diskussion um den Konflikt zwischen Ihrer Behörde und Ihrer Mitarbeiterin Inge Hannemann möchte ich Ihnen ein paar Gedanken mit auf den Weg geben, Leitbilder, die ich schon als Personalrat eingebracht habe. Nicht zuletzt aus Sorge um die (seelische) Gesundheit meiner zahlreichen Kolleginnen und Kollegen.
 
 
Wer nicht bereit ist, aus falsch verstandener Loyalität gegenüber einem diffusen „Dienstherrn“, aus egoistischen Motiven oder aus ganz profaner Ignoranz heraus, weg zu schauen, dem muss es sich unmittelbar erschließen, dass in diesem System vieles, wenn nicht fast alles falsch läuft. Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, werden es auch registriert haben, dass die Unzufriedenheit mit Ihrer Tätigkeit Jahr für Jahr gewachsen ist.

Untersuchungen der Krankenkassen weisen seit Jahren exorbitante Krankenstände bei den JC – Mitarbeitern aus, überwiegend sind es psychische Schäden, die sie aus den Socken hauen. Da ist zum einen die unerträgliche Verdichtung der Arbeit, die ausufernde Konzentration auf die Verwaltung des Elends und die offensichtliche Erfolglosigkeit jeden Versuches, Erwerbslose wieder in den „Markt“ zu integrieren. Viel gravierender ist jedoch das wachsende Bewusstsein dafür, als mieser Handlanger missbraucht zu werden, um Menschen zu unterdrücken und sie ihrer Grundrechte zu berauben. Es werden immer mehr, die insgeheim verstanden haben, dass es so nicht weiter geht, dass wir nicht jede Moral und alle Ethik über Bord werfen können, um dem Mammon zu frönen.
 
Meine Solidarität und mein Respekt gilt Ihrer Mitarbeiterin, Frau Inge Hannemann. Sie hat den Mut, gegen den Strom zu schwimmen und auf Missstände hinzuweisen. Sie engagiert sich damit auch für jeden einzelnen von Ihnen! Wenn Sie in den nächsten Tagen das angekündigte Personalgespräch mit Frau Hannemann führen, so lassen Sie sie doch bitte wissen, dass ihr Engagement auf große Anerkennung stößt. Ich kann nur hoffen, dass Frau Hannemann auch unter Ihnen, der Führung Ihres Hauses und Ihrer Personalvertretung Nachahmer und Unterstützer findet, die bereit sind, eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen.
 
Wie auch immer werden Sie über kurz oder lang nicht um eine ehrliche Auseinandersetzung mit Ihrem administrativen Handeln umhin kommen. Sie sind gut beraten, sich schon gleich daran zu machen, der Druck im Kessel steigt und führt in absehbarer Zeit in eine Katastrophe. Ich wünsche Ihnen, dass Sie dann mit einem reinen Gewissen in den Spiegel schauen können.
 
Ach ja: Verbergen Sie sich bitte nicht weiterhin hinter Ihrer „Behörde“. Das klingt so kalt, so technisch. Da stecken doch Menschen dahinter, mit Gesichtern, Namen, Familien, Biographien!? Wenn Ihre Welt wirklich so in Ordnung ist, wie Sie sie gerne hätten, brauchen Sie sich doch nicht verstecken. Stellen sie sich der Öffentlichkeit, gerade in den Wind, nennen Sie Ihren Namen und Ihren Dienstgrad, erklären Sie denen, die sie bezahlen, was Sie für deren gutes Geld so anstellen.
 
In diesem Sinne, mit kollegialen Grüßen,

Ihr  Norbert Wiersbin
 
 
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