Donnerstag, 12. November 2015

Sie hat keine Überzeugungen,

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Ewald König, der einzige österreichische Korrespondent in der DDR und der einzige Journalist, der parallel in Bonn und in Ostberlin akkreditiert war, hat nach „Menschen, Mauer, Mythen” und „Kohls Einheit unter drei“ ein weiteres Buch über seine Erlebnisse in Deutschland kurz vor und nach der Vereinigung vorgelegt: „Merkels Welt zur Wendezeit“. Es lohnt sich, dieses Buch in Zeiten der Merkeldämmerung in die Hand zu nehmen. Ewald beschreibt darin Merkels Weg in die Politik besser und detailreicher als alle ihre Biografen.


Dieser Weg ist einzigartig, nicht nur wegen der einmaligen Umbruchssituation, in der er gegangen wurde, sondern auch wegen der absolut exzeptionellen persönlichen Komponente. Merkel landete in einer Partei, in die sie nicht eingetreten ist und die sie vehement abgelehnt hat. Merkel, so bescheinigt ihr Heinrich Rentmeister, ihr erster Helfer aus dem Westen als sie Pressesprecherin des Demokratischen Aufbruchs war, „hat lange mit dem CDU-West-Establishment gefremdelt“. Sie hätte einen ganz anderen Anspruch gehabt, eine ganz andere Perspektive. Auch wenn der Demokratische Aufbruch (DA), dem sich Merkel zu einem unbekannten Zeitpunkt anschloss, zu dieser Zeit schon nicht mehr die Rettung des Sozialismus anvisierte, stand er doch noch weit entfernt von den klassischen Zielen der West-CDU.


Aber auch der Demokratische Aufbruch war nicht Merkels erste Wahl, als sie sich Ende November/ Anfang Dezember entschloss, die Physik an den Nagel zu hängen und sich der Politik zuzuwenden. Sie ging erst zur SPD. Dort fand sie die Frau auf dem Podium so abschreckend, dass sie auf dem Absatz kehrtmachte und weiter suchte. Die Wege des Schicksals sind unergründlich. Heute fühlt sich die SPD so zu Merkel hingezogen, dass ihr Linksaußen-Flügel am liebsten auf eine eigene Kanzlerkandidatur bei der nächsten Wahl verzichten möchte.


Als Pressesprecherin des DA überlebte Merkel nicht nur den Sturz ihres Chefs Wolfgang Schnur, der wenige Tage vor der Volkskammerwahl als Stasispitzel enttarnt wurde, sie bekam kurz darauf das Angebot, stellvertretende Regierungssprecherin von Ministerpräsident Lothar de Maizière zu werden, der sie, obwohl mit Merkels Vater eng befreundet, erst bei dieser Gelegenheit näher kennengelernt haben will. Nach de Maizières Aussage waren Merkels Vorträge „brillant: kurz, präzise, analytisch. Bei Angela kam in der Hälfte der Zeit der doppelte Inhalt raus“. Sie sei „ihre eigene Sachbearbeiterin” und kenne “jede Vorlage bis ins letzte Detail“.


Man erkennt die Kanzlerin 2015 kaum wieder. Ihre Äußerungen zur Flüchtlingskrise sind alles andere als klar, präzise, analytisch, sondern verschwurbelt, realitätsfern, kryptisch. Wenn sie die Vorlagen in diesem Fall kennt, schlägt sich das nicht in ihren erratischen Entscheidungen nieder.


Schon 1990 soll Merkel auch in schlimmsten Krisenzeiten in sich geruht haben nach dem Motto: “Lasst die mal sich aufregen. Ich hab mich gut vorbereitet, meine Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen gemacht…“ Das ist die Einschätzung von Rolf Kiefer, dem damaligen Sprecher der CDU. Auch heute ruht die Kanzlerin in sich, aber das Gefühl, ihre Arbeit gemacht zu haben, kann sie nicht haben. Ihr Agieren in der gegenwärtigen Staatskrise ist rein gesinnungsethisch und damit irrational.


Ihre Physikerkollegen waren der Meinung, dass sie alles „auf Formeln zurückführt, hinter denen sich die ganze physikalische Welt versteckt“. Das ist seit Fukushima und dem Ausstieg aus der Atomenergie klar widerlegt. Da hat sie einen weit entfernten Tsunami zum Vorwand genommen, um aus der von ihrer Regierung beschlossenen Laufzeitverlängerung auszusteigen, die ihr eine grün-schwarze Regierungsoption verbaut hatte. Nun muss das Land Hessen den von der Kanzlerin veranlassten Gesetzesbruch allein ausbaden.


Als richtig dagegen hat sich die Einschätzung von Petra Erler, SPD, erwiesen, 1990 Staatssekretärin in der Regierung de Maizière: „Sie konnte zu einem gewissen Zeitpunkt knallhart Brücken abbrechen….Ich glaube nicht, dass sie sehr viele Überzeugungen hat, die sie daran gehindert hätten.“ Das ist die Konstante in Merkels politischem Leben. Sie hat keine Überzeugungen, zu denen sie stehen müsste. Von der neoliberalen Reformerin, die sie auf dem Leipziger Parteitag der CDU gab, bis zur ultralinks-grünen Kanzlerin von 2015 reicht die politische Klaviatur, der sich Merkel bedient hat.


Eine andere Konstante gibt es noch. Ihre Abneigung gegen die CDU, deren Generalsekretärin und Vorsitzende sie schließlich wurde. Sie ist der CDU nie formgerecht beigetreten, wie man bei König nachlesen kann. Schon ihr Beitritt zum DA erfolgte nur durch Zuruf. Als der DA dann in der Allianz für Deutschland aufging und sich schließlich in die CDU auflöste, rutschte Merkel einfach mit. Sie hat später irgendwann eine CDU- Ausweis ausgehändigt bekommen, in dem ihre Mitgliedschaft rückwirkend eingetragen wurde. Merkel selbst will das nicht „rechtlich bewerten“. Wo kein Kläger ist, gibt es keinen Richter.

Tatsache ist, dass es die CDU, der Merkel nicht beitreten wollte, heute nicht mehr gibt. Sie ist inzwischen eine leere Hülle, auf der noch CDU steht, in der die klassischen Inhalte der Partei aber nicht mehr vorkommen. Das ist aber nicht Gegenstand des besprochenen Buches. Die Geschichte des Verschwindens einer Partei, die wesentlich zum Erfolgsmodell BRD beigetragen hat, muss noch geschrieben werden.





Ewald König: „Merkels Welt zur Wendezeit“ Halle, 2015




Achse des Guten
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