Montag, 30. November 2015

Zum Aussätzigen erklärt

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Wenn Macht den Geist angreift

von 

Der „Fall“ von Akif Pirinçci läßt sich auf zweierlei Weise erzählen. Erstens als ein persönliches, von bösen Märchenmotiven durchwebtes Psychodrama. Darin gibt es einen Hans im Glück, den Katzenkrimi-Bestsellerautor, der mit einer zweiten Karriere als politischer Publizist durchstartet und für Furore sorgt, weil er Positionen angreift oder festklopft, wie das kein anderer in der Deutlichkeit auszudrücken wagt.
Er wird von den Medien gehaßt, beschimpft und bekämpft, aber das mehrt nur seinen Ruhm. Einschüchtern läßt er sich nicht, denn der Goldklumpen, den er in der Hand hält – die Millionenauflage seiner Krimis –, ist ein unwiderlegbares Argument.
Doch weil es immer noch schöner kommen soll, verliert er, unberaten und angefeuert von der Fangemeinde im Internet, den Sinn für die Kräfteverhältnisse und für die Grenzen, die sogar ihm, dem Unangreifbaren, gesetzt sind. Sie sind zwar willkürlich und ihre Übertretung ist gerechtfertigt, doch so zu tun, als existierten sie nicht, ist ab einem bestimmten Punkt nicht mehr tollkühn, sondern selbstmörderisch.
Zum „Aussätzigen“ erklärt
Und so kam, was kommen mußte: Die Pegida-Rede, die ihn auf einen neuen Gipfel provokanter Wirkung und des Ruhms führen sollte, stürzte ihn in die Niederungen der Verdammnis. Als politischer Publizist sowieso, aber auch als Schriftsteller und Person ist er zum „Aussätzigen“ (Jan Fleischhauer im Spiegel) geworden. Und der Goldklumpen hat sich mit der Entscheidung des zum Bertelsmann-Konzern gehörenden Verlags Random House, die Katzen-Krimis aus dem Sortiment zu nehmen, ebenfalls verflüchtigt.
Die Erklärung aus dem Psychodrama ist nicht ganz falsch, aber zu simpel. Sie reduziert den Fall auf den eines Borderliners und weist ihm die Schuld zu. Weil sie die politische Dimension außer acht läßt, muß sie zweitens um eine exemplarische Lesart ergänzt werden, die die Mechanismen, gegen die Pirinçci angerannt ist und die ihn zu Fall gebracht haben, berücksichtigt.
Faktisches Berufsverbot für Pirinçci
Akif Pirinçci hat gegenwärtig nur noch eingeschränkte Publikations- und Erwerbsmöglichkeiten. Er unterliegt keinem formellen, aber einem faktischen Berufsverbot. Sein neues Sachbuch „Die große Verschwulung“ kann nicht beworben werden. Ausgerechnet das Organ des Buchhandels, dasBörsenblatt, vermeldete im Tonfall des Triumphs die Auslistung und den Auslieferungsstopp seiner Bücher durch die großen Verteilerzentren – „als Konsequenz auf seine ‘KZ-Rede’“.
Der Quasi-Monopolist Amazon boykottiert ihn, Facebook hatte ihn schon zuvor wiederholt gesperrt, der Internetauftritt wurde vorübergehend durch den eigenen Webmaster blockiert und in einem Akt persönlichen Vertrauensbruchs gegen ihn gerichtet.
Fritz J. Raddatz stellte 1991 anläßlich von Sanktionen, die der Schriftstellerverband der DDR gegen mißliebige Autoren exekutiert hatte, den Unterschied zwischen der SED-Diktatur und der Bundesrepublik heraus: „Man kennt, bislang, keinen Beleg dafür, daß westliche Schriftsteller die eigenen Kollegen drangsalierten, sich – über die zum Metier gehörende Häme hinaus – beteiligten an Unrecht, die Hand reichten zur ‘Maßnahme’.“
Heute muß man das Wörtchen „bislang“ dick unterstreichen.

Maßnahmen wie aus DDR-Zeiten
Das Verhalten des Börsenvereins ist den unkollegialen „Maßnahmen“ aus DDR-Zeiten durchaus vergleichbar. Und der hämische Spiegel-Online-Kommentar der Schriftstellerin Sibylle Berg: „Das Gute an dieser (Pirinçcis) Taktik – die Sache erledigt sich dann irgendwann von selber“, erinnert sehr an die Worte eines DDR-Verbandspräsidenten, der einem nach zermürbender Stasi-Observation ausgereisten Schriftstellerkollegen nachrief: „Kommt Zeit, vergeht Unrat.“
Immerhin gab es nach der Biermann-Ausbürgerung im November 1976 und auch später in der DDR eine Reihe Autoren, die Protest einlegten gegen die Drangsalierung ihrer Kollegen, obwohl sie deren Meinung gar nicht teilten. Heute herrscht Schweigen im Walde.
Zu den paar Ausnahmen zählt neben dieser Zeitung der Medienjournalist Stefan Niggemeier, der in der FAZ die verfälschende Wiedergabe der „KZ-Rede“ widerlegte, nicht ohne allerdings vorauszuschicken: „Sein (Pirinçcis) Ausschluß aus dem öffentlichen Diskurs ist kein Verlust. Er ist ein notwendiges Signal, daß es in einer Auseinandersetzung Grenzen gibt.“ Niggemeier möchte aufpassen, daß in Zeiten sich verengender Grenzen dieses Verdikt nicht eines Tages auf ihn zurückfällt. Oder ist es nur als Rückversicherung gedacht?
Wer sich nicht distanziert, gerät selbst in Gefahr
Wie notwendig sie ist, zeigt sich am Schriftsteller Thor Kunkel, der Pirinçci Ende Oktober in einem für die JUNGE FREIHEIT verfaßten offenen Brief an Random House beigesprungen war. Gut zwei Wochen später wurde ihm eine vereinbarte Lesung in einem Schweizer Kurhotel abgesagt unter Hinweis auf seine Facebook-Seite. „Ihre Meinungsfreiheit zu benützen ist wirklich Ihr Recht, die Konsequenzen daraus zu tragen aber auch“, teilte ihm die Organisatorin von der Agentur Kulturhotels mit. In einem Telefonat schob sie nach, Kunkels Meinung sei „rechts“.
Im bolschewistischen Rußland gerieten jene, die sich nicht genügend von überführten „Volksfeinden“ distanzierten, selber in Gefahr. Wer sich hingegen an der Jagd beteiligte, dessen öffentliches Ansehen stieg. Auch im Fall des Akif Pirinçci werden die Signale verstanden. Ein Buchhändler, getragen vom Hochgefühl öffentlicher Empörung, lud zum öffentlichen Schreddern seiner Bücher ein.
Ein Buchautor erhaschte kurzen Medienruhm mit der Erklärung, er könne unmöglich weiter mit einem Verlag zusammenarbeiten, der noch immer Pirinçcis Bücher verbreite. In einem Restaurant in Bonn wurde ihm eine Cola über den Kopf gegossen, in anderen wird er nicht mehr bedient. Die Gemeinschaft der Guten konstituiert sich im Kampf gegen das personifizierte Böse, den Vogelfreien.
Eine perfide Art der Kriegsführung
In Pakistan bildet ein Blasphemie-Gesetz die gesetzliche Grundlage zur Denunziation und Verfolgung der Falschgläubigen. Wird der Delinquent freigesprochen, nimmt sich der Mob seiner an. Bei uns geht es dezenter zu. Alexis de Tocqueville prognostizierte vor 180 Jahren die Zukunft der „demokratischen Republiken“. Ihre Tyrannis ginge ganz anders zu Werke als die der gewöhnlichen Despoten. Sie gehe „unmittelbar auf den Geist los.
Der Machthaber sagt nicht mehr: ‘Du denkst wie ich, oder du stirbst.’ Er sagt: ‘Du hast die Freiheit, nicht zu denken wie ich. Leben und Vermögen bleiben dir. Aber von dem Tage an bist du ein Fremder unter uns. Du wirst dein äußerliches Bürgerrecht behalten, aber es wird dir nichts nützen. Selbst wer an deine Unschuld glaubt, wird dich verlassen, sonst meidet man auch ihn. Ich lasse dir dein Leben, aber es ist schlimmer als der Tod.“
Es ist eine perfide Art der Kriegsführung. Die gegnerische Meinung wird nicht einfach bekämpft, sondern in ein nicht Denkbares verwandelt, indem man die psychische und soziale Person ihres Trägers zum Schlachtfeld macht und zerstört, ihm die Märtyrerkrone aber vorenthält. Tocquevilles Darstellung ist noch milde, da sie aus der Sicht des angestammten Besitzbürgers verfaßt ist. Wer heute angegriffen wird, verfügt meistens über kein Vermögen, und wer über eines verfügt, hat dafür in der Regel die irreparable Brechung des Rückgrats erduldet.
Wer verfügt über die Kommunikationskanäle?
Gegen den Vorwurf, den Nichtbetrieb der KZs bedauert zu haben, hat Pirinçci sich erfolgreich juristisch zur Wehr gesetzt. Doch Unterlassungserklärungen und knappe Gegendarstellungen werden seinem öffentlichen Ansehen kaum aufhelfen, nachdem alle Medien die Falsch- als Spitzenmeldung präsentiert haben. Sein Fall zeigt exemplarisch, daß der Siegeszug der Neuen Medien, statt das Tor zu einer neuen Freiheit aufstoßen durch die Möglichkeiten unbegrenzter Information und Kommunikation, die Möglichkeiten der Manipulation noch verstärkt hat.
Am Ende ist entscheidend, wer über die Kommunikations- und Verteilungskanäle verfügt, wer Zugang gewährt und die Exkommunikation aussprechen kann. In diesem Bereich schreiten die monopolistische Konzentration, der Einfluß multinationaler Konzerne, die wiederum im intensiven Austausch mit den politischen Entscheidungszentren stehen, munter voran. Im Zweifelsfall wird die Bandbreite der Meinungsfreiheit in Deutschland im Dinnergespräch zwischen Angela Merkel und Facebook-Gründer Mark Zuckerberg festgelegt.
Zerstörung der Familie als Paradigma
Die totale Vernetzung hat eine dialektische Kehrseite: Sie kann einen „Krawallautor“ (Pirinçci über Pirinçci) emporheben, aber eben auch zum Verschwinden bringen. Angesichts der Konzentrationsprozesse auf dem Buchmarkt überzeugt das Argument der Vertragsfreiheit längst nicht mehr. In den vergangenen Jahren wurde sie durch Kampagnen zusätzlich unter politisch-ideologischen Vorbehalt gestellt.
Das Buch „Die große Verschwulung“ ist, nebenbei gesagt, lesenswert. Es geht kaum um Homosexuelle darin, und erst recht nicht wird gegen sie gehetzt. Sein Grundthema ist die Zerstörung der Familie als Paradigma für die Zerstörung der Gesellschaft. Es zielt ins Zentrum.


Junge Freiheit

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