Montag, 4. Januar 2016

Ein dreigeteiltes Land

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Machen wir das Experiment: Werfen Sie einen Blick auf diesen Aldi-Prospekt. Was sehen Sie dort? Einen Hasen im Zylinder? Einen Weihnachtsbaum? Oder ein Symbol der Unterwerfung? Orhan Aydogdu sieht eher die Deutschen am Boden und schrieb Kopp Online per Mail: »Auf Seite 19 wird dann deutlich, wer vor wem zu knien hat! Ihr Deutschen müsst lernen, wieder aufrecht zu stehen!«
Deutschlands Zukunft wird nicht im Aldi-Prospekt abgedruckt. Aber der Gedankengang dahinter ist interessant, weil er im Medienmainstream untergeht. Bestandsmigranten wie Orhan Aydogdu haben genauso große Angst vor der großen Flüchtlingswelle wie viele Biodeutsche.

Mit einem Unterschied: Diese Fraktion schweigt schicksalsergeben. Durch einen öffentlichen Meinungsdruck geknebelt, verschnürt und mit dem Aufkleber »Pack, Dunkeldeutsche, hysterische Spinner«abgestempelt.

Deutschland hat jetzt eine ungewollte Zukunft

Wenn sich die Bestandsmigranten aber im gleichen Boot sehen wie die Ureinwohner, dann ist dieses Gefühl der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins eben nicht bloß die Kopfgeburt einiger weniger, sondern etwas, das dieses Land unfreiwillig eint: Wir gehen gegen unseren Willen in eine ungewollte Zukunft, weil es zu schnell geht und die Veränderung zu groß ist. Damit stellt sich die Frage, an die vor einem Jahr noch niemand dachte: Was macht dieses Land eigentlich aus? Was wird davon bald noch übrig sein?

Ausgerechnet das Aldi-Bild erinnert Aydogdu an etwas, das in seinen Augen gerade mit dem Land passiert, in dem auch er lebt: Dort kniet ein Mädchen vor einem aufrecht stehenden Jungen. Sie ist passiv schicksalsergeben, er kontrolliert die Situation – und sieht ziemlich nicht-deutsch aus. Eher wie die vielen jungen Männer, die gerade massenhaft hereinströmen. Eigentlich müsste dort aber eine alte Dame knien. Die vielen jungen Männer treffen auf ein Land, das schrumpft, vergreist und sich selbst mit dem Aussterben schon fast angefreundet hatte: 2040 wollte Deutschland doch zur Seniorenrepublik werden. Mit Wackeldackel und Häkel-Klorolle im Volkswagen auf dem Gnadenhof der Geschichte.


Das Flüchtlingsabenteuer folgt einer Integration, die »absolut gescheitert« ist

Ist nicht. Physiker wie Angela Merkel würden sagen: Ein Vakuum führt zu Instabilität. Weil etwas hineinströmen will, um den Raum zu füllen. Damit erhöht sich auch der Druck. Der einfachste, schnellste Ausweg wäre es doch, die Tür gleich ganz zu öffnen, statt sie zu verstärken. Was für eine explosive Mischung dabei entsteht, weiß aber niemand. Der kolossale Rechenfehler einer Physikerin kann zur angewandten Chaostheorie mutieren: 2040 wird Deutschland kein Multikulti-Märchen sein, sondern ein umgewälztes Land, in dem junge Menschen aus ganz unterschiedlichen Kulturkreisen darum streiten, wer den Ton angibt.

Ein dreigeteiltes Land sind wir bereits jetzt: Das vertraute Alte schrumpft sich selbst weg. Die Bestandsmigranten – deren Integration erklärte Merkel übrigens 2010 noch für »absolut gescheitert« – sehen sich plötzlich einer jungen, hungrigen Welle gegenüber, die wieder ganz anders ist. Sie strömt ständig nach und ein Ende ist nicht in Sicht.

Gastarbeiter, die zu lange geblieben sind

Plötzlich werden Menschen wie Orhan Aydogdu zu Wert-Konservativen. Sie wollen das Land bewahren, so wie es ist, und fürchten um ihre vertraute Heimat, die sie nie als Heimat akzeptiert haben. Merkels Flüchtlingspolitik verändert alles – das spürt jeder – und zum ersten Opfer könnten gerade jene werden, die sich zu lange selber als »Gastarbeiter« mit einem Rückreiseticket in der Tasche gesehen haben. Während ihre Kinder hier aufwuchsen, haben sie es aber nie eingelöst.


Das beschreibt immerhin schon jeden Fünften im Land: Sie wollten den Wohlstand, mental blieben viele aber dort, wo sie herkamen. Sie bauten ihre Heimat im Kleinen nach und mauerten sich in Ghettos ein. Sie sind die Bildungsverlierer, sie sind die Billigkräfte am Arbeitsmarkt, sie sind irgendwo im Niemandsland verloren zwischen einer vertrauten Identität und einer neuen deutschen – aber die kennen nicht mal die Biodeutschen genau.

Umfragen zeigen: Die Stimmung unter den Bestandsmigranten brodelt

Trotzdem haben sich die Neuen in den letzten 50 Jahren hier etwas aufgebaut. Was aber auch ehrlich gesagt werden muss: Etliche unserer Bestandsmigranten haben sich im sozialen Versorgungssystem eingerichtet, das weltweit zu den gemütlichsten gehört. Jetzt sollen sie den staatlich verteilten Kuchen mit einer neuen Konkurrenz teilen, die auch noch hochmotiviert ist und nichts mehr zu verlieren hat.

Die Stimmung unter unseren Bürgern mit Migrationshintergrund brodelt – ihre Ablehnung gegenüber Flüchtlingen ist fast genauso groß wie bei den Biodeutschen. Die Meinungsforscher vonYouGov haben das verglichen: 40 Prozent der Bestandsmigranten wollen weniger Flüchtlinge aufnehmen. Bei den Biodeutschen sind es 45 Prozent. 24 Prozent würden am liebsten gar keine
aufnehmen. Bei den Biodeutschen sind es 25 Prozent. Verlustangst eint, könnte man also sagen.


Die Hackordnung der Migrantengesellschaft wird durcheinandergewirbelt

In den Stadtvierteln mit hohem Zuwandereranteil sind Dinge zu hören, für die jeder Biodeutsche sofort am Pranger landen würde. Die Hackordnung unserer Migrantengesellschaft wird gerade durcheinandergewirbelt. Nirgendwo ist das so deutlich zu sehen wie in Berlin-Neukölln. Dort lebt die Hälfte von staatlicher Hilfe, zwei Drittel der Einwohner sind Zuwanderer. An der Spitze stehen die Türken, dann kommen die Araber, ganz unten sind Roma und Schwarze.

Gilles Duhem ist Politologe, Volkswirt und Sozialarbeiter in Berlin-Neukölln. Dort hört er oft vom neuen Feindbild Flüchtling und Sätze, die man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen muss: »Warum nehmen wir die ganzen Flüchtlinge auf, die werden unser schönes Deutschland kaputtmachen!«Duhem beschreibt, dass sich die Menschen dort massiv bedroht fühlen: »Es geht um die Verteilung der Pfründe, der Wohnungen, des Sozialgeldes, der Arbeitsplätze. Wenn mehr Leute an einem Kuchen partizipieren, werden die Stücke schmaler.« Die Flüchtlinge könnten auch den schwarzen Arbeitsmarkt härter machen: »Die Menschen verhalten sich alle extrem logisch. Jeder kämpft für sich.«

Berlin-Neukölln könnte explodieren

Duhem betrachtet Berlin-Neukölln als Mikrokosmos, in dem sich die Weltpolitik widerspiegelt: »Da geht es nie darum, dass alle sich mögen, sondern darum, dass der Hasspegel zwischen den Gruppen so austariert wird, dass man sich erträgt.« Die Politik verspricht dem Volk, dass sich dieFlüchtlinge freiwillig dort niederlassen, wo nichts ist. Vorzugsweise in der Brandenburger Uckermark, den Dünen Mecklenburg-Vorpommerns oder unter den Fichten des sächsischen Erzgebirges. Warum sollten sie das? Sie werden dorthin gehen, wo bereits viele Zuwanderer und eine vertraute Kultur sind.

Überfüllte Problemviertel wie Berlin-Neukölln, die jetzt schon der Schandfleck eines gescheiterten Integrationsmärchens sind, werden überrannt. Duhem sieht dort drastische Zustände voraus: »Der Verteilungskampf mit den Bestandsmigranten wird groß sein.« Weil jetzt vor allem Araber kommen, wird die bisher größte Gruppe, die Türken, unter Druck geraten.

Duhem spricht sogar von der Gefahr, dass im Berliner Mikrokosmos »Verhältnisse wie im Libanon, im Irak, in Syrien« kommen. Wenn sich das bewahrheitet, dürften viele Bestandsmigranten verbittert sagen: Dann hätten wir uns das Auswandern auch gleich sparen können.

Markus Mähler




Kopp
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