Samstag, 23. Juli 2016

Die Zerrreißprobe

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Die gute Fee



Wie Merkel die Lage am Bosporus klärte, wie unser Leben verändert wird, und warum Boris Johnson ein schwieriger Buhmann ist 

Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

 

Wieso ist der Mann überhaupt noch an der Macht? Neigte sich die Ära Erdogan nicht schon vergangenen Sommer ihrem Ende entgegen? Zumindest hatte der türkische Machthaber bei den Wahlen im Juni 2015 die absolute Mehrheit verloren. Und Koalitionen kommen für einen, der alles will, kaum in Frage.

Also wurden Neuwahlen für den 1. November 2015 anberaumt. Doch die Umfragen zeigten: Das Ergebnis vom Juni würde sich wohl wiederholen, Erdogan wäre zur Zusammenarbeit mit anderen Parteien gezwungen worden oder hätte von der Spitze seiner Partei abtreten müssen, damit ein anderer das macht.

Es war zum Verzweifeln, aber dann erschien Merkel im Oktober kurz vor dem Wahltag in der Türkei und klärte die Lage. Die türkische Opposition mag sich große Hoffnungen gemacht haben. Schließlich hatten die Berliner Demokraten, auch die von Merkels CDU, doch immer betont, dass sie sich für den Erhalt von Demokratie und Menschenrechten in der Türkei einsetzten und fest hinter der gebeutelten Opposition stünden.

Ja, da stand Merkel wirklich, allerdings nur in dem Sinne, dass man erst hinter jemanden gelangen muss, um ihm einen Dolch in den Rücken zu rammen. So versetzte die deutsche Kanzlerin der eben noch hoffnungsfrohen türkischen Opposition nur wenige Tage vor der Wahl den Todesstoß, indem sie den wankenden Erdogan mit Geschenken nur so überschüttete.

Visa-Freiheit stellte Merkel in Aussicht, die EU-Beitrittsverhandlungen würden ab sofort eine „Dynamisierung“ erfahren (Merkel: „Dieser Prozess hat jetzt begonnen“) und obendrauf werde es noch Milliarden an Euros auf die Türkei regnen. Nach diesen Ankündigungen lag die Opposition zerschmettert in ihrem Blut, Erdogan stand als strahlender Sieger da und auch der letzte Wechselwähler von Istanbul bis Incirlik wusste nun, wo er sein Kreuz machen sollte: Wenn sogar die Chefin der größten Demokratie der EU dem Erdogan so um den Bart geht, kann er ja gar nicht schlimm sein. Am 1. November holte Erdogans AKP mit Bravour die absolute Mehrheit zurück, die in Deutschland lebenden Türken gaben ihr sogar zu 60 Prozent ihre Stimmen. Dermaßen gestärkt ging der AKP-Führer vermutlich daran, jene schwarzen Listen anzufertigen, die er nun, von einem nebulös-dilettantischen Putsch zur absoluten Macht gepuscht, abarbeitet. 

Warum aber hat Merkel für Erdogan die gute Fee gespielt? Die CDU-Chefin hatte sich und ihr Land mit ihrer „Willkommenskultur“ metertief in den Morast geritten. Der Türke sollte ihr weitere Massen an Asylsuchern aus dem Orient vom Hals halten. Oder zumindest so tun,  als täte er das, damit die Deutschen den Eindruck gewinnen, es täte sich was. Dafür war Merkel zu allem bereit, auch zum Dolchstoß in den Rücken jener türkischen Oppositionellen, welche in den deutschen Demokraten bis dahin ihre Freunde gesehen hatten. 

Ob Erdogan die Hilfe der Kanzlerin zu nutzen weiß und nun seinen Traum vom radikal-islamischen Führerstaat endlich verwirklicht? Da sind wir optimistischer denn je: Der schafft das! Und wenn es einmal haken sollte, ist Merkel sicherlich gern bereit, ihm abermals unter die Arme zu greifen.

Allerdings sollte sie dabei die Entwicklung an der Heimatfront nicht ganz aus dem Blick verlieren. Zwar gibt sich die AfD derzeit alle Mühe, den Regierungsparteien mittels Selbstzerfleischung den Rücken freizukämpfen. Doch das Massaker von Nizza und nicht zuletzt der Amoklauf des jungen Afghanen in der Eisenbahn lassen ungute Gefühle aufkommen.

Grüne und andere Politiker freuen sich ein Bein aus darüber, dass die massenhafte Zuwanderung aus dem Orient das Leben der Deutschen grundlegend verändern wird – besonders der Frauen, darf vermutet werden. Nun aber tritt zunehmend die Aussicht hinzu, dass das Leben vieler Menschen hierzulande nicht bloß verändert, sondern beendet werden könnte durch die Hand des einen oder anderen Schutzsuchenden, der „vor Krieg und Verfolgung Zuflucht bei uns gefunden hat“. Diese Ahnung sorgt für Unmut, mehr und mehr Deutsche haben richtig Angst vor dem radikal-islamischen Terror. Die Bürger wollen Taten sehen, fordern effektiven Schutz und politische Konsequenzen.

Zum Glück hat die Politik den Ernst der Lage erkannt und geht das Übel gemeinsam mit den Sicherheitsorganen energisch an – indem sie im Auftrag von SPD-Justizminister Maas Leuten auf die Pelle rücken, welche ihrer Angst in ungeschlachten Worten im Internet Ausdruck geben. Das ist nämlich „Hatespeech“, zu Deutsch: Hassrede. Solche Reden werden von Beamten und privaten, staatlich geförderten Schnüfflern, darunter auch Linksextremisten, im Netz aufgestöbert, was bis zum polizeilichen Hausbesuch führen kann.

Innenminister de Maizière sagt, völligen Schutz vor Terror-Attacken könne es nicht geben. Da hat er natürlich recht, zumal wenn die Beamten gerade mit etwas anderem beschäftigt sind, etwa dem Aufspüren und Aufsuchen von deutschen „Hassrednern“. Was derweil in den von Erdogans Türkei massiv geförderten Moscheen in Deutschland „geredet“ wird, wollen wir lieber nicht so genau wissen. Das könnte schließlich dazu führen, dass „Rechtspopulisten“ das Gefundene „ausschlachten“.

Immerhin so viel: Im „Handelsblatt“ berichtete Wolfram Weimer im Mai über ein Comic für Kinder, das die staatliche türkische Religionsbehörde Diyanet herausgibt. Dort werde den Kindern vom „Märtyrertod“ vorgeschwärmt, was man wie Werbung für eine Karriere als islamischer Selbstmordattentäter verstehen könnte. Diyanet dirigiert Weimer zufolge die deutschen Ditib-Moscheen immer direkter, was die Gemeinden quasi zu Vorfeldorganisationen der AKP mache. Ob das den Genossen Maas interessiert? Wahrscheinlich nicht besonders. Wenn Sie allerdings auf die Idee kommen sollten, in einem Internet-Kommentar die türkische Moschee-Expansion in Deutschland als „gezielten Feldzug zur Islamisierung des Abendlandes“ zu verunglimpfen, könnten Sie durchaus die Aufmerksamkeit der Behörden und Hilfsschnüffler („Pegida-Jargon!“) erheischen.

Was schimpfen Sie? Da werde auf groteske Weise Gefährlich und Harmlos vertauscht und mit zweierlei Maß gemessen? Selbstverständlich wird es das. Das mit dem zweierlei Maß machen wir doch immer so! Längst nicht nur, wenn es um den radikal-islamischen Terror und die Furcht und Wut der Deutschen geht.

Kurz nach dem Brexit-Referendum erregten sich Medien und Politiker, weil die prominenten Fürsprecher von Londons EU-Abschied „auf Tauchstation“ gegangen seien und sich „der Verantwortung entziehen“, da sie nicht nach den hohen politischen Ämtern strebten, welche den Abschied Britanniens nun durchzuziehen hätten. Der langjährige EU-Gegner Nigel Farage und Londons Ex-Bürgermeister Boris Johnson standen ganz vorn auf der Abschussliste.

Als kurz darauf bekannt wurde, dass die neue Premierministerin Theresa May Boris Johnson zu ihrem Außenminister gemacht hatte, legten die Kritiker eine bemerkenswerte Wende hin. Nun fragten sie aufgeregt, ob es denn angehen könne, dass „so einer“ wie Johnson Außenminister wird.  Eben noch schimpften sie, dass er sich vor hohen Ämtern drücke, dann giften dieselben, dass er eines bekommen hat. Immer wie’s gerade passt.

Johnson passt leider gar nicht, wenn es darum geht, ein Feindbild aufzubauen. Mit seiner robust-freundlichen Art hat er sogar die EU-Außenminister in Brüssel menschlich eingenommen. Für unsere Staats- und Konzernmedien, die so gern im erbarmungslosen Gut-Böse-Kontrast schwelgen, könnte der sympathische Brite noch zum Problem werden



Preussische Allgemeine
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