Freitag, 20. Juli 2018

Widerstand - heute vor 74 Jahren.


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Ungehorsam und 
das Recht auf Widerstand 



Heute vor 74 Jahren, am 20.07.1944, schrieb Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg mit seinem Attentat auf Hitler Widerstandsgeschichte. Aus diesem Anlass veröffentliche ich eine Betrachtung zum Recht auf Widerstand meines Lesers und Gastautors
 Dr. Hans-Jürgen Wünschel.


Sind unsere Zeiten so, dass an Ungehorsam, gar an Widerstand zu denken wäre? Sicher, denn die politische Landschaft zeigt auf, dass es mit der sprichwörtlichen Ruhe als erster Bürgerpflicht vorbei ist. Gut so. Denn eine Demokratie, in der das Denken von Gutmenschen der Beharrung gleichgeschaltet wird, und nicht mehr kontrovers diskutiert werden kann bzw. darf, verabschiedet sich als freiheitliche Regierungsform.


Haben wir Deutsche ein Verhältnis zum Ungehorsam, gar zum Widerstand? Wenn ja, welches? So oder ähnlich ist die Frage gestellt, die in den Jahren der 68er Bewegung, der Debatte um die Notstandsgesetze, in den Monaten der Nachrüstungsdebatte 1980 diskutiert wurde. Dolf Sternberger schrieb 1968 in der FAZ: „In der NS-Zeit gab es einen Tyrannen und wenig Widerstand. Heute gibt es viel Widerstand oder doch Widerstandsbedürfnis und keinen Tyrannen“.


Siebzig Jahre nach dem Ende der Tyrannis des Nationalen Sozialismus und ein Vierteljahrhundert nach dem Abschütteln der Tyrannis im Osten Deutschlands sind besonders in den sozialen Netzwerken die Forderungen nach Widerstand und Ungehorsam gegen die reaktionären Gutmenschen und Vertreter der Beharrung, des „Establishments“ – Parteien, Wirtschaft, Kirchen – auch gegen die demokratisch gewählten Regierungen im Bund und in den Ländern erneut zu lesen. Die Täter der kommunistischen Antifa proklamieren „Leistet Widerstand“ und ziehen mit Gewalt gegen Andersdenkende. Vor Jahren versammelten sich in Dresden Bürger unter dem Schlagwort PEGIDA zum friedlichen Protest gegen die gewaltsame Islamisierung Deutschlands und Europas. Die Partei „Alternative für Deutschland“ schaffte es, aus dem Stand mit einer Parole „Gegen den Euro und die verordnete Einheitlichkeit Europas“ in das Europaparlament und in Landesparlamente einzuziehen.


Die politische Diskussion wird davon angeheizt, dass auf den Artikel 20, Absatz 4 des Grundgesetzes verwiesen wird: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“


Können die heutigen Überlegungen mit dem überlieferten Widerstandsbegriff gleichgesetzt werden, wie er etwa verwendet wird, um die Gegnerschaft in einem totalitären System zu kennzeichnen? Vieles, was heute unter dem Schlagwort „Widerstand“ diskutiert wird, ist oft schlicht und einfach demokratische Opposition. Diese ist aber ein grundlegendes Kennzeichen unserer freiheitlichen Demokratie. Vom Widerstandsrecht, das in Art. 20 Abs. 4 des Grundgesetzes ausdrücklich anerkannt ist, ist also das Recht auf Widerspruch zu unterscheiden, welches jedem Bürger zusteht und das durch die Grund- und Menschenrechte unserer Verfassung garantiert wird. Wer das Recht auf Widerspruch mit dem Widerstandsrecht gleichsetzt, verwechselt Demokratie und Tyrannis. Dass dies geschieht, lässt auf einen schlimmen Zustand unserer politischen Sprache schließen.


Widerstand im demokratischen Staat ist ein Widerspruch. Der Verfassungsrechtler Hans Schneider drückte dies einmal so aus: „Das im Grundgesetz eingebaute Widerstandsrecht erlaubt dem Staatsbürger ein hilfsweises Eingreifen zum Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung, nicht aber gestattet es einen Angriff auf die etablierte Ordnung.“ Die Betonung liegt eindeutig auf „Schutz der bestehenden verfassungsmäßigen Ordnung“. Die aktuellen Parolen etwa bei facebook meinen aber genau das Gegenteil: Recht auf Widerstand gegen die bestehende demokratische Freiheitsordnung. Auch Ungehorsam oder gar passiver Widerstand lässt sich schwer mit Art.20,4 vereinbaren. Dieses Recht besteht aber verfassungsmäßig nicht, ob es naturrechtlich verankert sein könnte, muss diskutiert werden, ist aber nach herkömmlicher, die Grundwerte unseres Staates beachtende Position zu verneinen, denn das Widerstandsrecht würde auf solche Weise in sein Gegenteil verkehrt werden, denn es würde ja die die Menschenrechte garantierende Verfassung zu beseitigen versuchen. Das gilt auch, wenn Verfassungsrechtler der gegenwärtigen Bundesregierung mehrfach den Bruch des Rechts und der Verfassung etwa bei den Entscheidungen über den Euro oder die Asylanten zuweisen.


Demokratie ist die Staatsform, in der man irren darf, ohne bestraft zu werden. Doch es ist auch die Staatsform, in der nach der persönlichen Verantwortung und Schuld der politisch Handelnden gefragt werden darf und muss.


„Was wolltest Du mit dem Dolche, sprich?“ – „Die Stadt vom Tyrannen befreien!“ Wir alle haben diese beiden Zeilen aus dem Gedicht „Die Bürgschaft“ von Friedrich Schiller in der Schule kennengelernt – die Älteren mussten es zum Glück sogar auswendig lernen. Vielleicht haben auch manche in der Schule „Wilhelm Tell“ gelesen: „Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht … Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden, wenn unerträglich wird die Last, greift er hinauf getrosten Mutes in den Himmel und holt herunter seine ewgen Rechte, die droben hangen unveräußerlich und unzerbrechlich wie die Sterne selbst.“


So sehr wir als Schüler vielleicht den Tod des Tyrannen durch den Schuss Wilhelm Tells herbei gewünscht haben, so stellt sich die Frage nach dem Ungehorsam, gar nach Widerstand gegen eine Regierung, die demokratisch gewählt, legal an die Macht gekommen ist.


Viele, abgelenkt durch „Brot und Spiele“, vertrauen der Obrigkeit, gegen die nach Martin Luther niemand rebellieren darf, doch ist es nicht allzu oft Bequemlichkeit, in Ruhe gelassen zu werden? „Rebelliert der Passive erst dann, wenn es zu spät ist“ – wie einmal die Parole an der Universität Heidelberg 1972 hieß? Wer hat das Recht, sein Gehorchen als Vorwand für die Rechtfertigung seines falschen Handelns zu benutzen, wie dies Adolf Eichmann tat?


Ein Blick in die Geschichte des Widerstandsrechtes könnte uns vielleicht die Problematik näher bringen. Es ist bekannt, dass die Grundlagen unseres heutigen Rechts ihren Ursprung im römischen Staat und Staatsgedanken haben. Der Grundsatz des römischen Verwaltungsapparates lautete: Das Recht ist vom Staat gegeben, der, wollte er sich nicht selbst in Frage stellen, kein Recht auf Widerstand dulden konnte.


Der Glaube aber oder die Hoffnung wie Wilhelm Tell es ausdrückt, dass außerhalb oder oberhalb des Staates auch ein Recht vorhanden sein könnte, ist germanischen – deutschen – Ursprungs. In den Kodizes der Römer ist vergebens zu finden, was wir in den Volkssammlungen unserer germanischen Vorfahren entdecken. So wurden z. B. im Zeichen des Widerstandsrechtes bei den Westgoten von 35 Königen 17 getötet. Wir lesen in einer Chronik: „Als der König gegen den Wunsch seines Volkes keinen Frieden schließen wollte, redete der greise Gesetzessprecher von Tiundaland: ,Dieser König lässt keinen mit sich sprechen und mag nichts hören. Deshalb wollen wir Bauern, dass Du, König, Frieden schließt. Willst Du aber nicht, so werden wir Dich töten und nicht länger Unfrieden und Ungesetzlichkeit dulden“.


Wer klagt heute bei Gesetzesverstößen durch Politiker an? Die vierte Gewalt – die Medien – nimmt sich heraus, alles und jedes zu kritisieren, aber meist nur, was den Kräften der Beharrung zuwiderläuft! Themen, die außerhalb des Mainstreams und des Establishments liegen, können von ihnen nicht aufgegriffen werden, da sie deren Teil repräsentieren.


In der Geschichte des Mittelalters fand vielleicht die bedeutendste Formulierung des Rechtes auf Ungehorsam ihren Niederschlag im „Sachsenspiegel“, in der zu Beginn des 13. Jahrhunderts gefertigten Rechtssammlung des Eike von Repkow. Darin heißt es: „Der Mann muss auch seinem König, wenn dieser Unrecht tut, widerstehen und helfen, ihm zu wehren in jeder Weise . . . Damit verletzt er seine Treuepflicht nicht.“ Eike von Repkow hat damit dem Selbstbewusstsein und der Selbstverantwortung der Deutschen auch in einer Demokratie ein eindrucksvolles Denkmal gesetzt, dessen wir uns mit Recht erinnern sollten.


Die Frauen und Männer in den ostdeutschen Ländern, im positiven Recht der SED sozialisiert, haben sich wohl 1989 wie die Gegner gegen den Nationalen Sozialismus (1933-1945) an den „Sachsenspiegel“ erinnert. Heute würden wir sagen, dass der Staatsauffassung des germanischen Widerstandsrechtes die Idee eines Rechtes zugrunde lag, das wir Naturrecht, Menschenrecht nennen. Diesem Recht waren Herrscher und Untertanen gleicherweise unterworfen. Es gründete auf der Annahme, dass schon vor der Entstehung staatlicher Organisation ein gutes „altes“ Recht vorhanden ist, das nicht erst vom Volk geschaffen werden musste.


Die mittelalterliche, Römisch-Katholische Kirche in Mitteleuropa wurde mit dem germanischen Recht konfrontiert. Damit aber prallten zwei Welten zusammen: Das Staatenbild der christlichen Kirche war im römischen Weltreich der Zäsaren geformt worden; die Vorstellung, dass die Staatsgewalt vom Volke ausgeht, lag außerhalb der Phantasie der römischen Christen. Die germanischen Staatsgründungen bauten aber auf dieser vom Volke ausgehenden Gewalt auf, sie verkündeten die Verantwortung der Freien für die Organisation des Staates. Theorie und Praxis der Demokratie, der Volkssouveränität, des Widerstandsrechts, standen zunächst in einem unüberbrückbaren Gegensatz zu der römisch-christlichen Vorstellung eines göttlichen König- und Kaisertums.


Die Bibel lässt die Antwort nach einem Widerstandsrecht offen: Nach einem Paulus-Wort ist jedermann der Obrigkeit untertan, denn „es ist keine Obrigkeit ohne Gott“. Allerdings steht auch geschrieben: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ Während nun der Katholizismus schließlich Widerstand und Gehorsam durch seine Tyrannenlehre versöhnte, wurde die Protestantische Kirche in Deutschland durch die Verbindung von Thron und Altar während der letzten Jahrhunderte in dem Sinne beeinflusst, dass der Gehorsam gegenüber dem Staat an erster Stelle stand. Martin Luthers lehnt Widerstand und Ungehorsam gegenüber der Obrigkeit ab. Weshalb protestantische Bischöfe in der Zeit des Nationalen Sozialismus zu Stichwortgebern für die schrecklichen Taten der Regierung des Nationalen Sozialismus wurden wie der Philosoph Karl Jaspers einmal feststellte: „Hitler hat nur getan, was Luther vorgeschlagen hatte“.


Umso erstaunlicher, dass der Ungehorsam in der DDR Unterstützung fand von protestantischem Fußvolk.


Die Unabhängigkeitserklärung der USA nennt 16 genau beschriebene Verfehlungen des Königs in England, die die Bürger der 13 Kolonien veranlassten „von jeglicher Treuepflicht gegen die britische Krone entbunden“ zu sein, auch weil durch die Säumigkeit des Königs „der Staat allen Gefahren eines Einfalls von außen und Erschütterungen im Innern ausgesetzt“ wäre. Sie kündigten ihm den Gehorsam auf. Doch nicht leichtfertig, sondern genau nach dem Abschnitt des GG 20,4, „wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“ Sie rechtfertigten sich:



weiterlesen Vera Lengsfeld
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