Frauen bestehen auf ihrem Recht, sexy zu sein – ganz für sich selbst,
natürlich. Darauf reagieren darf Mann nämlich nicht, sonst folgt gleich
der nächste Aufschrei.
Vielleicht wäre uns diese ganze Debatte erspart geblieben, wenn an
diesem ominösen Abend an der Bar nicht Rainer Brüderle, sondern George
Clooney gestanden hätte, um seine Tanzkarte an Frau Himmelreich
weiterzureichen. Aber so müssen wir alle teilhaben an dem jämmerlichen
Balzversuch des Altpolitikers gegenüber der aufsteigenden
Jungjournalistin. Denn die ganze Nummer bekommt einen ganz neuen Dreh,
wenn männliche Annäherung auf fruchtbaren Boden fällt. Dann wäre es
unter Umständen die Geschichte eines heißen Flirts geworden und Frau
Himmelreich hätte bis an ihr Lebensende einen echten Clooney bei ihren
Freundinnen zum Besten geben können. Was wir daraus lernen? Wo
persönliche Befindlichkeit als ausreichender Gradmesser erscheint, um
Sexismus zu definieren, verkommt der Begriff zur Beliebigkeit.
Ein Bärendienst für alle Journalistinnen
Nein, ich wollte mich dazu nicht äußern. Weil ich diese ganze
Brüderle-Sexismus-ich fühl-mich-ganz-doll-bedrängt-Diskussion
aufgebauscht und heuchlerisch finde. Weil die einzige Diskussion zu dem
Thema Brüderle, die es wert wäre, geführt zu werden, die ist, wieso
neuerdings der „Stern“ als Qualitätsmedium gegen Sexismus aller Art
gilt. Etwa wegen der zahlreichen unbekleideten Damen, die regelmäßig auf
dem Cover zu sehen sind, um den investigativen Charakter des Blattes zu
unterstreichen? Und die zweite Frage, die mir als Frau dazu einfällt,
ist diejenige, wieso die Herren in der Redaktionsleitung des „Stern“
eigentlich eine junge Journalistin, die sich angeblich von einem
Politiker bedrängt fühlt, ein ganzes Jahr noch auf weitere Termine mit
dem gleichen Mann schickt.
Wenn es also tatsächlich so unverzeihlich und dramatisch ist, was ein
Brüderle sich da nachts an der Bar geleistet hat, dann hätte ein
verantwortungsvoller Arbeitgeber seine junge Mitarbeiterin davor
bewahren und schützen müssen, anstatt sie dem weiter auszusetzen.
Stattdessen sitzt der Chefredakteur bei Günther Jauch und gibt den
Vorkämpfer der Frauenbewegung. Und als Gipfel fordert die Medienmeute
eine Entschuldigung von Brüderle bei der Journalistin. Um es mal klar zu
sagen: Die einzige Entschuldigung, die hier fällig ist, wäre die von
Rainer Brüderle an seine eigene Frau, und die hat es mit Sicherheit
schon gegeben.
Gleichzeitig hat die Geschichte allen Journalistinnen im Land einen
Bärendienst erwiesen, denn welcher Politiker wird es ab sofort noch
wagen, sich alleine mit einer Journalisten-Kollegin irgendwo zu treffen?
Ein falscher Satz und gleich ist wieder Aufschrei. Gerhard Schröder
kann von Glück reden, dass er seine Doris, einst Journalistin beim
„Focus“, schon vor mehreren Jahren dienstlich traf. Heute hätte das
junge Glück ein jähes Ende gefunden, noch bevor es richtig an Fahrt
gewinnt. Denn heute hätten seine Berater dafür gesorgt, dass er niemals
in die Verlegenheit kommt, sich ihr zu nähern, oder zumindest eine
Anstandsdame dazwischen gesetzt. Auch Joschka Fischer könnte heute
Ehefrau Nummer vier aus dem Lebenslauf streichen. Presse-Praktikantin
Nicola hätte man heute nicht mehr zu ihm vorgelassen. Vertrauliche
Hintergrundgespräche und gemütlicher Ausklang an der Bar werden ab
sofort männliches Privileg sein. Danke, liebe „Stern“-Redaktion.
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Die amerikanische Schauspielerin Megan Fox ziert gerade in
Unterwäsche das aktuelle Cover des „Esquire“, gibt aber gleichzeitig von
sich, sie wolle von ihrem sexy Image weg. Dann mach doch die Bluse zu,
möchte man ihr da zurufen! Vielleicht schaut dir dann auch mal einer in
die Augen. Wir verpacken schon kleine Mädchen in Lolita-Klamotten und
zerreden die Intimität von Sexualität als Prüderie. Wir laufen in
Slutwalks durch die Straßen und proklamieren das Recht, wie Schlampen
herumlaufen zu dürfen. Gleichzeitig wollen wir aber nicht als Schlampe
bezeichnet oder gar behandelt werden. Wir punkten mit unserem Aussehen,
gelten als das schöne Geschlecht, schnüren uns die Brüste hoch beim
Oktoberfest, aber nein, wir wollen damit keine Aufmerksamkeit, wir
wollen damit nur unsere inneren Werte betonen.
Gerade prostituieren sich bei RTL wieder
junge Damen mit ihrem Aussehen in der x-ten Staffel des „Bachelor“. In
einer Folge „Bachelor“ lernt man mehr über Frauen als durch 100
feministische Bücher. Frauen ziehen sich aus für den „Playboy“ und haben
für das Recht gekämpft, ihren Körper verkaufen zu dürfen. An Männer.
Keine Frage, die weibliche Anatomie taugt sehr gut als Waffe. Wenn eine
Heidi Klum fröhlich erzählt, das Erste, was ihr an ihrem Ex Seal
auffiel, sei das große Gemächt in der engen Radlerhose gewesen, dann ist
das unser Heidi, ach nein wie süß. Der gleiche Spruch von einem Mann
über den Busen seiner Frau wäre Sexismus. Er könnte einpacken. Wir
messen mit zweierlei Maß.
Nein, mein Gott, ich möchte nicht Mann sein in dieser Welt, in der
bereits 13-Jährige mit Push-up-BHs zur Schule gehen. Ich möchte nicht
Mann sein in einer Welt, in der man überlegen muss, ob man noch mit
einer Kollegin Kaffee trinken kann. Und vor allem möchte ich als Frau
nicht in einer Welt leben, in der ich als armseliges Opfer betrachtet
werde und Männer vor lauter Angst, etwas Falsches zu sagen, lieber gar
nichts mehr sagen. Wir haben es selbst in der Hand als Frauen, wir haben
die Männer in der Hand.
Lesen Sie auch die letzte Kolumne von Birgit Kelle: Landlust reloaded
Quelle
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1 Kommentar:
Lesenswert dazu auch die neue Kolumne von Birgit Kelle: "Dirndlgate und was Voltaire dazu sagt".
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