Der Kindesmissbrauch in der Kirche führte bei den Grünen zu Protesten.
Doch ihre eigene Vergangenheit betrachten sie lieber mit mythischer
Verklärtheit. Es wird Zeit für eine schonungslose Aufklärung. Von Claus Christian Malzahn
Die Geschichte der
Achtundsechziger, von ihnen selbst erzählt, klingt bisweilen wie ein
deutsches Märchen: Es war einmal ein verwunschenes Land mitten in
Europa, in dem alte Nazis, böse Papisten und dicke Patriarchen neben
rissigen Atomkraftwerken lebten und das dumme Volk mithilfe einer fiesen
Zeitung jahrzehntelang in geistiger Umnachtung hielten.
1968 aber wurde
Dornröschen endlich von tapferen Recken wach geküsst und befreit; für
die notwendige Illumination sorgten brennende Barrikaden. Und wenn sie
nicht verloschen sind, dann glühen sie heute noch.
Grüner Selbstbetrug
Ein gerütteltes
Maß dieses heldenhaften Selbstbildes ging zwölf Jahre später auf jene
Partei über, deren Protagonisten das linke, freiheitliche Erbe von 68
reklamierten. Schon wenig später bildeten sich die Grünen sogar ein, die
Bundesrepublik Deutschland "gründlich zivilisiert" zu haben. Dass es in
Wahrheit andersrum war, dass nach dem langen, traurigen Marsch durch
die Ödnis von K-Gruppen, Terror, linksradikaler Militanz und
konkurrierenden Ideologievereinen mit der Gründung der Grünen für viele
verlorene Kinder der Republik endlich ein Ort und eine Organisation
gefunden war, mit der man sich in das zivile Deutschland wieder
integrieren konnte, blieb lange ungesagt. Die Gründung der Grünen war
eben auch ein ideologischer Rückzug, der gekonnt als ökologische Attacke
getarnt wurde.
Die Historie der Grünen
wird deshalb gern als reine Heilsgeschichte erzählt; und wenn es
Irrungen und Wirrungen in ihr gab, dann dienten auch diese nur einer
höheren, edlen Sache. Mit dem Bösen, hieß es treffend vor ein paar Tagen
in der Hamburger "Zeit", könnten die Grünen nichts anfangen, "zumindest
nicht mit dem Bösen in den Grünen".
Dass es das Böse
bei den Grünen einmal gegeben haben soll, werden die meisten ihrer
jungen Mitglieder für ganz unmöglich halten. Den Älteren dämmert es
womöglich ein bisschen, wenn heute erwachsene Männer berichten, wie sie
von einem grünen Kommunarden sexuell missbraucht wurden.
Die wilden Jahre
Angenehm sind
diese Erinnerungen an die frühen, radikalen, anarchistischen Jahre
nicht. Man hat diese Zeit regelrecht zugeschüttet und nur ein paar
Ikonen aufbewahrt: Turnschuhe, das Bild von Petra Kelly, Sonnenblumen,
Fotos von Bartträgern im Bundestag. Was daneben an Irrsinn existierte,
wie breit sich Päderasten im grünen Apparat machen konnten, wird einem
auch von Google nicht verraten. Die saure Wahrheit steckt zwischen
Aktendeckeln aus Altpapier – und in den Erinnerungen mancher Altgrüner,
von denen die wenigsten öffentlich reden.
Die Grünen von
heute scheinen über ihre eigene, frühe Geschichte wenig zu wissen. Über
die Geschichte der katholischen Kirche und den dort an vielen Orten
grassierenden sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen wussten sie
dagegen schon immer sehr viel. Dass sie nun den Göttinger Politologen
Franz Walter beauftragt haben, das dunkle Kapitel der Partei endlich
aufzuklären, ist einerseits ehrenhaft.
Walter wird das
sicher ohne Rücksicht auf Verluste tun. Auf der anderen Seite hoffte man
freilich, das unliebsame Thema damit für ein, zwei Forschungssemester
ausgelagert zu haben. Doch so einfach geht es nicht.
Die Achtundsechziger und der Sex
Die Grünen
haben den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen natürlich
nicht erfunden. Aber sie haben über sehr lange Zeit Menschen in ihren
Reihen geduldet, die diesen Missbrauch hoffähig und straffrei machen
wollten – und selbst daran beteiligt waren. Möglich war das auch, weil
zum Erbe von 1968 auch die unselige Politisierung der Sexualität gehört.
Prüderie wurde bekämpft.
Die Familie war
suspekt. Diese Institution zu schwächen war linke Ehrensache. Wer gegen
Pädophilie argumentierte, sie gar für kriminell erklärte, galt in
manchen Zirkeln der Partei mindestens als reaktionär. Kriminalität war
keine linke Kategorie. Und Polizei war eigentlich überflüssig. Die
Päderasten bei den Grünen salbaderten ja von "Freiwilligkeit"; dass
zwischen Kindern und Erwachsenen per se ein Herrschaftsverhältnis
besteht, wurde flott negiert.
Der Missbrauch von Kindern geschah im grünen, Post-68er-Milieu vermutlich nicht so häufig wie in der "progressiven" Odenwald-Schule
oder der katholischen Kirche – schon deshalb nicht, weil die Grünen
keine Schulen oder Internate unterhielten. Das ideologische Rüstzeug für
ihre Verbrechen aber konnten sich Kinderschänder eben auch bei grünen
Aktivisten abholen.
Hier haben die
Grünen das, was man auf Neudeutsch ein "Alleinstellungsmerkmal" nennen
würde. SPD, CDU und FDP waren Anfang der Achtzigerjahre mehrheitlich
alle für Atomkraft. Aber Kinder waren bei ihnen relativ sicher.
Cohn-Bendits Tabuverletzungen
Daniel
Cohn-Bendit, 68er-Ikone und grünes Urgestein, schwärmt noch 1982 in
einer Talkshow vom "erotischen Spiel" mit einer Fünfjährigen. Heute
beteuert er, es sei nie etwas Anzügliches passiert. Dafür gibt es
tatsächlich keinen Beleg. Seine unsägliche Kindersex-Suada aber sollte
man sich bei YouTube ansehen. Man ahnt, mit welcher Leichtfertigkeit im
alternativen Milieu über Kinderseelen hinweggetrampelt werden durfte,
wenn es denn dem Fortschritt diente.
Daniel Cohn-Bendit
hat seine Verdienste in der Europa- wie in der Menschenrechtspolitik.
Doch manche Tabuverletzungen sind schwer zu verzeihen. Hat er das
fünfjährige Mädchen, über das er damals ebenso ungeniert wie großspurig
sprach, je um Verzeihung gebeten?
Mit solchen
Schandflecken in der Biografie müssen die Grünen nun leben. Wer von
ihnen etwas weiß, sollte endlich reden. Dass sich Cem Özdemir und Katrin
Göring-Eckardt der Debatte stellen, ist redlich. Aber sie waren damals
nicht dabei. Interessanter wäre, an was sich ein Jürgen Trittin oder
eine Renate Künast so erinnern könnte.
Gnade der späten Geburt
Auf die Gnade
der späten Geburt können die beiden sich jedenfalls nicht berufen. Und
auf den frühen Utopie-Überschuss, der die Partei heute noch quält,
sollten sie sich nicht rausreden.
Schließlich
gibt es die Opfer des grünen Funktionärs Hermann Meer, der über Jahre
als Landesvorstandsmitglied in NRW und danach als Sprecher einer
Bundesarbeitsgemeinschaft seinen pädophilen Wahnsinn verbreiten durfte.
Er hat ihn auch ausgelebt. Die Opfer leben noch, sie leben nicht gut,
manche können die bösen Erinnerungen nur mit Psychopharmaka in Schach
halten.
Sie sind kein
Kollateralschaden sexueller Befreiung. Die Übergriffe waren sehr
gezielt. Sie von höchster Stelle zu bedauern reicht nicht. Was die
Grünen für die Opfer von katholischen Päderasten gefordert haben, sollte
für die Opfer grüner Päderasten billig sein – auch wenn die Täter keine
Soutane trugen, sondern im Gewand des Weltverbesserers angeschlichen
kamen.
Die Welt.de
...
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen