Misstrauen allerorten
Wieso Verschwörungstheorien auf dem Vormarsch sind, warum Legenden besser sind als Nachprüfbares, und woran die Russen schuld sind / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel
19.12.15
Der Kommentator einer großen Regionalzeitung ist genervt: Immer mehr Menschen glaubten den etablierten Medien nicht mehr und den gewählten Politikern auch nicht. Stattdessen seien Verschwörungstheorien auf dem Vormarsch. Dabei umfasst der Begriff nicht mehr nur den Verdacht, dass sich finstere Mächte hinter unserem Rücken verschworen haben. Längst beschreiben wir mit dem Wort jede Art verschrobener Theorien über die angeblichen Hintergründe des Weltgeschehens.
Und da kann man dem Mann nur Recht geben: Was da so alles durch die Lande flattert an aberwitzigen Erklärungsversuchen, das spottet tatsächlich jeder Beschreibung.
Ein jüngstes Beispiel lieferte uns das öffentlich-rechtliche „Morgenmagazin“. Die Fernsehmacher sind der Frage nachgegangen, warum gerade in den Neuen Bundesländern die Leute den Staats- und Konzernmedien so wenig Glauben schenken wollen, Stichwort „Lügenpresse“.
Die Erklärung ist verblüffend: Weil sie mit dem DDR-Fernsehen, namentlich der „Aktuellen Kamera“, ja reichlich Erfahrung gesammelt hätten mit lügenden Medien. Deshalb trauten sie den heutigen Medien auch nicht. Zudem zeigt man uns einen Einspieler mit dem berüchtigten Karl-Eduard von Schnitzler („Der schwarze Kanal“), wie er gerade gegen die „Hetze“ des Klassenfeindes ankeift, womit natürlich vor allem das Westfernsehen gemeint war. Daher, so soll der Zuschauer offenbar schließen, glauben die Ossis auch ARD und ZDF nicht, weil sie „Sudel-Edes“ Gekläffe noch im Ohr haben.
Darauf muss man erst mal kommen: Ausgerechnet jene DDR-Bewohner, welche die „Aktuelle Kamera“ als Lüge entlarvt hatten, sollen also gleichzeitig den Blödsinn des Genossen Schnitzler für bare Münze genommen haben. Und zwar dermaßen innig, dass sie dessen Gift auch mehr als 26 Jahre nach Ende des „Kanals“ noch immer im Herzen tragen.
Das klingt so sinnig wie ein Ermittler, der auf der Suche nach dem Vergewaltiger als erstes die Belegungslisten der örtlichen Frauenhäuser unter die Lupe nimmt. Fakt ist, dass Millionen DDR-Bewohner bundesdeutschen Medien ebenso wie der Bundesrepublik, ihren Parteien und Organen einen Vertrauensvorschuss sondergleichen darbrachten, den die so Beschenkten nach und nach untergepflügt haben.
Der Verdacht, dass uns nicht immer die Wahrheit gesagt wird, schleicht überall um die Ecken, beileibe nicht nur östlich der Werra. Manchmal flunkern sie dreist, dann wieder ganz subtil, wie hier: Zum Abschluss der Pariser „Klima-Konferenz“ zeigen uns die RTL-Nachrichten ein Bild des überfluteten Hamburger Fischmarkts.
Unverkennbar sollte das Bild den Ernst der Lage illustrieren: Die Gefahr von Überschwemmungen nimmt zu, weil die Polkappen schmelzen wegen der „Klima-Erwärmung“, so die Botschaft. Allerdings weiß jeder Hamburger, dass der Fischmarkt auch in ganz normalen Wintern alle paar Wochen mal absäuft, und das schon seit Menschengedenken.
Darauf gleich noch ein Beispiel, wie die Wahrheit zugehängt wird: Die Sprecherin eines Sigmaringer Krankenhauses, in dessen Nähe eine Erstaufnahmestelle für „Flüchtlinge“ gepflanzt wurde, berichtet, dass seit September monatlich 40 Übergriffe auf Pflegepersonal registriert worden seien: „Unsere Krankenschwestern haben große Angst!“
Was sagt die Polizei? Die kann die Entwicklung „nicht wirklich bestätigen“, lesen wir in der „Südwest Presse“. Es gebe zwar Vorkommnisse, aber die würden die Beamten „nicht vermehrt beschäftigen“. Auch einer befragten Mitarbeiterin der Erstaufnahmestelle ist nichts bekannt davon, dass „Flüchtlinge sich mit Klinikpersonal angelegt haben sollen“. Die Mitarbeiter tauschten sich zweimal pro Woche mit der Polizei aus, dabei sei das bislang „kein Thema“ gewesen.
Ist das nicht geschickt? Die Polizei sieht nichts, und weil sie nichts sieht und nichts sagt, kann die Aufsicht des Asyllagers auch nichts hören, weshalb die Vorkommnisse „kein Thema“ sind. Doch wer jetzt misstrauisch wird, der hängt vermutlich „Verschwörungstheorien“ an.
Ganz schlimm wird es, lesen wir im „Spiegel“, wenn sich radikale Gruppen wie die amerikanische „Tea Party“-Bewegung das Misstrauen der kleinen Leute zunutze machen. „Deren Anhänger vereint das Gefühl, von ,denen da oben‘, den Eliten aus Politik, Wirtschaft und Medien, betrogen zu werden.“
Ja, das böse „Gefühl“. Was fühlt so ein kleiner Sparer, wenn er erfährt, dass die staatlichen Notenbanken die Zinsen ins Nichts gesenkt haben, damit sich Regierungen und Geschäftsbanken praktisch umsonst verschulden können – auf Kosten der kleinen Sparer, die auf diese Weise Schritt für Schritt enteignet werden? Doch hoffentlich keinen Groll gegen ,die da oben‘!
Wenn doch, dann ist es, wenn wir den „Spiegel“ richtig verstehen, die Aufgabe verantwortungsvoller Medien, ihm diesen Groll wieder auszuschreiben. Damit er nicht populistischen Parolen hinterherläuft.
Um das zu verhindern, kommt es entscheidend auf „gute Kommunikation“ an, sagen die Experten. Beispielsweise bei den Erklärungen über die Asylflut; da müssen einem gute Argumente einfallen. Am besten welche, die ohne nachprüfbaren Hintergrund auskommen, denn dann kann sie niemand widerlegen. Soll heißen: Wenn du deine selbstgestrickte Legende mit anderen selbstgestrickten Legenden untermauerst, kann dir keiner was.
Anlässlich der Pariser Konferenz durfte beispielsweise die Vokabel „Klima-Flüchtlinge“ nicht fehlen. Laut Kanzlerin Merkel wiederum hat uns der „liebe Gott“ die Flüchtlinge „auf den Tisch gelegt“. Nun hat sie im „Bericht aus Berlin“ auch noch geredet von den „Flüchtlingen, die uns die Globalisierung gebracht hat“. Wozu diese hergeholten Begründungen? Bislang war doch meist von Kriegsflüchtlingen die Rede!
Richtig, aber das war riskant, weil eine nachprüfbare Begründung, die sich mit einem Kriegsende in der Herkunftsregion erledigt hätte. Jetzt beugen sie vor für den komplizierten Fall, dass die bewaffneten Konflikte im Irak und in Syrien tatsächlich beigelegt werden, weil dann jeder fragt, warum die „Kriegsflüchtlinge“ denn immer noch hier sind. Dabei sollen sie doch unbedingt bleiben, für Multi-Kulti. Daher müssen nun das Klima und die Globalisierung her, und sogar Gott.
Schuld sind die Russen, denn seit deren Auftauchen in Syrien können Washington und die Öl-Staaten den Konflikt nicht mehr allein dirigieren. Es könnte sein, dass sich alle Gruppen auf einen Kompromiss einigen, den IS dann gemeinsam niederringen und eine friedliche Lösung finden.
2012 wäre das schon einmal fast passiert, damals hatte man sich in Genf eigentlich geeinigt. US-Außenministerin Hillary Clinton konnte die Einigung erst im letzten Moment zerschmettern; es folgte ein jahrelanger Krieg und, mit mutmaßlicher Unterstützung der Türkei und Saudi-Arabiens, der sagenhafte Aufstieg des IS.
Aber, wie gesagt: Jetzt sind die Russen da, und es droht tatsächlich Frieden. Daher müssen die USA wohl einlenken. Und was machen Saudis und Türken? Die kitzeln uns am Zwerchfell mit der Nachricht, dass sie eine „Koalition gegen den Terror“ geschmiedet hätten. Ist das nicht goldig? Die drei passen in ein Anti-Terror-Bündnis wie der Teufel in den Stall zu Bethlehem.
Ja, es ist wirklich ungeheuerlich, mit welcher Perfidie Moskaus Schurken die Weltordnung durcheinander bringen. Da muss man die Wut, ja den Abscheu schon verstehen, die jeder im Westen erntet, der einen „russlandfreundlichen“ Eindruck erweckt.
Der setzt sich dem Verdacht aus, mit denen im Kreml heimlich zu kungeln. Wobei so ein Verdacht natürlich keiner Verschwörungstheorie entspringt, sondern „berechtigter Sorge“.
Preussische Allgemeine
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