Merkel: Wenn wir bei der Wahrheit
bleiben, gewinnen wir
Bundeskanzlerin Merkel sagte im Bundestag, die etablierten Parteien
müssten nur „bei der Wahrheit bleiben, dann gewinnen wir“. Das ist eine
sehr gefährliche Dialektik, weil sie den politischen Diskurs unmöglich
macht. Vor allem stellt sich die Frage: Haben die Deutschen von Merkel
in den vergangenen Jahren wirklich immer nur die Wahrheit gehört?
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat am Mittwoch im Bundestag versucht,
alle ihre Kritiker mit einer einzigen dialektischen Finte auszuhebeln.
Merkel sagte:
(Wir mussten) vor drei Tagen einen
Wahlsonntag erleben, an dem letztlich nur die AfD gewonnen hat, und zwar
zweistellig. Sie hat allen anderen Parteien Prozente abgenommen, gar
nicht so sehr in absoluten Stimmzahlen, indem sie vor allem auch
Nichtwähler mobilisiert hat. Das hat dazu geführt, dass die Christlich
Demokratische Union im Landtag hinter der AfD liegt. Uns alle treibt die
Frage um: Wie gehen wir mit einer solchen Situation um?
Wählerbeschimpfungen bringen gar nichts.
Das ist auch nicht angebracht. Ich habe das noch nie richtig gefunden.
Politiker, die wie wir Verantwortung tragen, sollten sich sowieso in
ihrer Sprache mäßigen.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der LINKEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn auch
wir anfangen, in unserer Sprache zu eskalieren, gewinnen nur die, die
es immer noch einfacher und noch klarer ausdrücken können.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Horst Seehofer!)
Wenn wir anfangen, dabei mitzumachen, dass Fakten beiseitegewischt oder ignoriert werden können,
dann sind verantwortbare und konstruktive Antworten in der Sache nicht
mehr möglich. Wenn wir anfangen, uns sprachlich und tatsächlich an denen
zu orientieren, die an Lösungen nicht interessiert sind, verlieren am
Ende wir die Orientierung.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Jeder von uns muss sich nach Wahlabenden
wie dem vom Sonntag an die eigene Nase fassen, selbstkritisch schauen,
was in Zukunft anders und besser gemacht werden kann. Das versteht sich
von selbst, und es gibt ja auch noch genug Probleme zu lösen. Es
versteht sich auch von selbst, dass Sorgen, ob nun begründet oder
unbegründet, ernst zu nehmen sind, auch indem wir zeigen, dass das Ernstnehmen von Sorgen und das Erläutern von Fakten zwei Seiten ein und derselben Medaille sind,
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
indem wir alle gemeinsam gut daran tun,
zu erkennen, dass eine Partei wie die AfD nicht nur eine Herausforderung
für die Christlich Demokratische Union ist – auch wenn deren
Protagonisten das munter verbreiten und andere es mehr oder weniger
gerne aufgreifen, zum Teil wider besseres Wissen –, sie vielmehr eine Herausforderung für uns alle in diesem Hause ist, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Wenn wir untereinander nur den kleinen
Vorteil suchen, um zum Beispiel irgendwie mit einem blauen Auge über
einen Wahlsonntag zu kommen, gewinnen nur die, die auf Parolen und
scheinbar einfache Antworten setzen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Ich bin ganz sicher: Wenn wir uns das verkneifen und bei der Wahrheit bleiben, dann gewinnen wir. Wir gewinnen dann so das Wichtigste zurück, was wir brauchen: Vertrauen der Menschen,
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Merkel hebt mit ihrer Rede den politischen Diskurs auf eine pseudo-moralische Ebene,
die nicht den Wettbewerb unterschiedlicher Ideen als Ziel sieht,
sondern ein gutes Stück in Richtung Orwell geht: Dieser hat in „1984“
ein „Wahrheitsministerium“ erfunden, in dem die Politik definiert, was
wahr ist und was falsch. Bei Orwell gipfelt diese politische Hybris im
Neusprech, das dazu führt, dass die Begriffe vertauscht werden – „Krieg
ist Frieden, und Frieden ist Krieg“.
Tendenziell macht Merkel dasselbe: Sie will sich nicht mit den
politischen Forderungen und Ideen der AfD auseinandersetzen und dann
entweder den Wählern ein besseres Angebot machen oder aber das eigene
Programm den Wünschen der Wähler anpassen.
Merkel sagt indirekt, dass die AfD – und diese steht nur stellvertretend für Andersdenkende – eine Gefahr („Herausforderung“) für
die anderen Parteien sei – und zwar für alle. In der
sozialdemokratischen Diktion nach der Wahl in Mecklenburg-Vorpommern
hieß es, man werde mit allen „demokratischen“ Parteien zusammenarbeiten –
also mit allen außer der AfD. Merkel hatte bei einem gemeinsam
Vorschlag für den Bundespräsidenten überlegt, den mit „allen“ im
Bundestag vertretenen Parteien zu präsentieren – außer der Links-Partei.
Damit zeigt Merkel, dass auch andere sich ganz schnell im Abseits von
der Regierungs-Wahrheit finden können.
Merkel, die in ihrer Zeit als DDR-Führungspersonal vom Nihilismus geprägt wurde
– sehr ähnlich vielen DDR-Leistungsträgern, die es verstanden haben,
sich so nahe als möglich an die Nomenklatura heranzupirschen und
gleichzeitig nur so viel zu riskieren wie unbedingt nötig – greift in
der Spät-Phase ihrer Karriere zu irrationalen Metaphern. Zuletzt hatte
sie Flüchtlinge, die wegen
der vom Westen im Nahen Osten mit angezettelten Kriege aus ihrer Heimat
vertrieben wurden, als Aufgabe des Herrgotts bezeichnet. Man sollte
diese religiösen Metaphern vor dem Hintergrund ihrer nihilistischen
Orientierung nicht als Wandlung zum Bessern, sondern als Ausdruck der
völligen Rat- und Hilflosigkeit interpretieren.
Was Merkel aus ihrer DDR-Sozialisierung geblieben ist, ist die Kunst der Dialektik:
Sie drückt Dinge so aus, dass sie das Gegenteil dessen bedeuten, als
das sie erscheinen. Merkel sagt: Wählerbeschimpfung mache ich nicht; wir
wollen nicht so laut schreien wie die anderen; wir sollten uns selbst
bescheiden usw. Wer würde hier nicht applaudieren?
Doch mit einem einzigen Satz verkehrt Merkel ihre scheinbar menschenfreundlichen Erwägungen ins Gegenteil:
Sie sagt, wir – die etablierten Parteien – brauchen nicht zu eifern, zu
streiten, zu kämpfen. Wir brauchen den „kleinen Vorteil“ nicht zu
suchen – denn wir sind im Besitz der Wahrheit: „Wenn wir… bei der
Wahrheit bleiben, dann gewinnen wir.“
Mit diesem Satz macht Merkel klar, dass sie an einem politischen Diskurs nicht interessiert ist;
schon gar nicht ist sie interessiert an offener oder gar harter Kritik.
Dieser Satz ist der Komplementär-Gedanke zu der ebenso unsinnigen
„Lügenpresse“. Merkel unterstellt ihren Kritikern, dass sie nicht die
Wahrheit sagen – weil ja sie, Merkel, wisse, was die Wahrheit sei. Das
ist genauso pervers wie der Lügenpresse-Vorwurf: Natürlich lügen die
Medien nicht kollektiv – aber sie werden mit dem Lügenpresse-Vorwurf
stigmatisiert. Doch Merkel will die Wahrheit gepachtet haben?
Merkel will mit dieser berechnenden Einordnung – durchaus eiskalt und nicht ohne Zynismus – klarmachen, dass, wer nicht ihre Meinung vertritt, auf der Seite der „Unwahrheit“ steht.
Aus dieser Feststellung ergibt sich die Legitimation zur Ausgrenzung.
Merkel folgt hier auf raffinierte Weise der alten CIA-Doktrin, nämlich
alle Kritiker als paranoide Irre zu diffamieren, die sich der
„objektiven“ Wahrheit verweigern.
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Das hat gesellschaftspolitisch zersetzende Wirkung,
weil diese Haltung die Grundlage für eine repressive Gesetzgebung im
Hinblick auf die Bürgerrechte schafft. Damit wird Merkel nicht, wie sie
hofft, „das Vertrauen“ der Bürger gewinnen. Mit einer Spaltung der
Gesellschaft in jene, die „die Wahrheit“ kennen und jenen, die außerhalb
dieser Wahrheit stehen, werden Missgunst, Denunziation und Ideologie zu
Tugenden, um im Glanz der „Wahrheit“ der Kanzlerin zu verbleiben. Krieg
ist Frieden, und Frieden ist Krieg.
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In der Bundestagsdebatte hat Merkel in gespenstischer Weise alle
anderen Parteien vereinnahmt, indem sie einfach erklärte, dass alle
Parteien von der AfD bedroht würden und es daher eine gemeinsame Aufgabe
gäbe, nämlich die AfD zu bekämpfen.
Die AfD arbeitet mit rassistischen Elementen, Überzeichnungen,
Halbwahrheiten und Absurditäten. Das ist unerfreulich und schreit
eigentlich nach politischen Alternativ-Angeboten.
Doch können die Bundesregierung und alle im Bundestag vertretenen
Parteien aus Angst vor einer neuen Partei tatsächlich den
fundamentalistischen Anspruch erheben, im Besitz der Wahrheit zu sein?
Muss man nicht die Bundesregierung an ihren Taten messen?
Hier wird man sehr schnell sehen, dass „die Wahrheit“ im Einsatz für
die Bundesregierung ein sehr schillernder Vogel ist: Euro-Rettung,
Banken-Rettung, EU-Flüchtlingspolitik, Unterstützung der Kriege gegen
Libyen, den Irak und Syrien, Ukraine-Politik, Terror, „Islamisierung“,
neuer Kalter Krieg gegen Russland, Überwachung, Einschränkung der
Bürgerrechte – ja, haben wir da von Merkel immer nur die Wahrheit gehört, nichts als die Wahrheit?
Jean-Claude Juncker ist mit dem Spruch berühmt geworden: „Wenn es
ernst wird, muss man in der Politik manchmal lügen.“ Wir gehen davon
aus, dass Merkel ihre Rede im Bewusstsein gehalten hat, dass die Lage
durchaus ernst ist.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten
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