Bereitet der Westen einen Krieg gegen Russland vor?
von Jens Berger
Der Abschuss eines russischen Kampfjets durch die Türkei vor einiger Zeit,
die offene Unterstützung faschistischer Kräfte in der Ukraine durch auch
deutsche Politiker und nun ein Konzept für den nationalen Notstand, das der
Bevölkerung zu präventiven Hamsterkäufen rät – es scheint, als legten bestimmte
Kreise im Westen großen Wert darauf, Russland zu provozieren und, so irgend
möglich, den NATO-Bündnisfall auszulösen, meint: einen Krieg vom Zaun zu
brechen. Aus berufenem Munde verlautet
inzwischen sogar: „Merkel bereitet die Mobilisierung der Bundesrepublik
Deutschland militärisch und auch innenpolitisch vor“. Doch stimmt das wirklich?
Besteht akute Kriegsgefahr? Zu dieser Frage sowie den Hintergründen des
aktuellen Konflikts mit Russland sprach Jens Wernicke mit dem
Schriftsteller und Juristen Wolfgang Bittner, dessen aktuelles
Buch die Rolle des Westens in der Ukraine-Krise analysiert.
Herr Bittner, im Internet kursieren inzwischen massenweise Videos,
die mit hunderten Panzern beladene Züge zeigen, die durch Deutschland in
Richtung Russland fahren. Die Medien spielen die Geschehnisse herunter und haben
offenbar die Devise ausgegeben, dass „unsere Freiheit“ inzwischen auch auf der
Krim verteidigt wird; die Politik leugnet und behauptet, es geschähe nichts,
was nicht schon immer geschehen sei. Was geschieht hier genau?
Seit 1989, der sogenannten Wiedervereinigung Deutschlands, die wir
bekanntlich der Entspannungspolitik Gorbatschows zu verdanken haben, waren wir
mehrere Jahre lang auf einem guten Wege der Verständigung mit Russland. Es
begann damals eine Zeit gutnachbarlicher Beziehungen wirtschaftlicher und
kultureller Art. Gorbatschow hatte die Zusage, dass sich die NATO nicht weiter
nach Osten ausdehnen würde. Im Gespräch war nach der Auflösung des Warschauer
Pakts sogar ein gesamteuropäisches Verteidigungsbündnis unter Einbeziehung
Russlands.
Und man glaubt es kaum: 2001 hielt der russische Präsident Wladimir Putin
eine Rede im deutschen Bundestag, in der er vom Wert der Beziehungen Europas zu
den Vereinigen Staaten sprach, zugleich aber auch von einem gemeinsamen
europäischen Wirtschafts-, Kultur- und Verteidigungsraum. Auf diese Vision –
nennen wird das mal so – sind die europäischen Politiker nicht eingegangen, das
haben die USA verhindert. Man muss sich mal in Erinnerung rufen: Wladimir Putin
sprach von Goethe, Schiller und Kant, er konstatierte, Deutschland sei der
wichtigste Wirtschaftspartner Russlands, einer der Hauptinvestoren und ein
maßgeblicher außenpolitischer Gesprächspartner. Er bekam sehr viel Beifall.
Wenn wir nun die heutige politische Situation betrachten, kann es einem nur
grausen: Tausende Soldaten, Panzerbataillone, Kampfjets, Bomber, Raketen- und
Radarstellungen an den russischen Grenzen. Das hat doch nichts mit Verteidigung
zu tun, wie man uns weismachen will. Ganz offensichtlich rüsten die westlichen
Politiker und ihre Militärs, unterstützt von den Journalisten der großen
Medien, zum Krieg. Dahinter stehen die Hardliner und Lobbyisten des militärisch-industriellenKomplexes – wie man das nennt – in den USA und in der NATO sowie zahlreiche
Propagandisten einer imperialen US-Politik.
Der Vorwand für das Vorgehen gegen Russland ist dabei die angebliche
Annexion der Krim – in Wirklichkeit handelt es sich dabei um eine Sezession,
und das ist ein wesentlicher Unterschied. Nach dem gewalttätigen Putsch in Kiew
und der Einsetzung der US-Marionetten Jazenjuk und Poroschenko hat sich die
Krim von der Ukraine abgespalten. Das ist verständlich, denn den Krim-Bewohnern
hat das Gleiche bevorgestanden wie der Bevölkerung in der Ostukraine. Es wurde
ein Referendum abgehalten, und bei einer Wahlbeteiligung von 83 Prozent
sprachen sich 96 Prozent für den Anschluss der Autonomen Republik Krim an die
Russische Föderation aus. Das ist völkerrechtlich nicht zu beanstanden.
Nicht erst seit diesem Zeitpunkt wird Putin als intriganter, kriegslüsterner
Diktator hingestellt, als der Leibhaftige in Person, der die alte UdSSR
wiederherstellen wolle. Tatsächlich spricht er aber in all seinen Reden, die
ich bisher gelesen habe, beständig von der Notwendigkeit guter Beziehungen mit
Westeuropa und den USA und wirbt für einen gemeinsamen Wirtschafts- und
Kulturraum von Wladiwostok bis Lissabon.
Was meinen Sie: Warum sind die westlichen Politiker nicht auf das Angebot Putins eingegangen?
Das werden die USA, denen offensichtlich nicht an einem friedlichen,
prosperierenden Gesamteuropa liegt, durchkreuzt haben. Ich war ziemlich
erschüttert, nachdem ich mir die Rede des seinerzeitigen
Direktors eines einflussreichen US-Think Tanks, George Friedman, angehört habe.
Er ist einer der Bellizisten der Republikaner und sagte im Februar 2015 in
Chicago: Ziel der US-Politik seit einem Jahrhundert sei gewesen, ein Bündnis
zwischen Russland und Deutschland zu verhindern. Denn wenn sich deutsches
Kapital und deutsche Technologie mit russischen Rohstoff-Ressourcen und
russischer Arbeitskraft verbänden, wäre das eine Bedrohung für die USA. Um
diese Kooperation zu verhindern, habe man einen „Sicherheitsgürtel“, einen
„Cordon Sanitaire“, wie Friedman das nennt, um Russland herum angelegt.
Und es gibt weitere alarmierende Aussagen: Nach Auffassung des
amerikanischen Politikwissenschaftlers und Regierungsberaters Zbigniew
Brzezinski ist Eurasien für die USA das Schachbrett, auf dem sich der Kampf um
die globale Vorherrschaft abspielen wird. Das hat Brzezinski schon 1997 in
seinem Buch „Die einzige Weltmacht“ geschrieben. Um Weltmacht Nummer 1 zu
bleiben – ein durch nichts gerechtfertigter Anspruch –, werden die USA also ein
Zusammengehen der westeuropäischen Staaten mit Russland mit allen Mitteln
verhindern.
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