Als ob ein Ventil geöffnet wurde – so hat ein Freund die Reaktionen auf
meinen Artikel „Dann mach doch die Bluse zu“ beschrieben. Eine
Nachbetrachtung.
Der gewaltige Zuspruch ist das eine. Das andere dürfte die Erkenntnis
sein, dass es in Deutschland die viel zitierte schweigende Mehrheit
immer noch gibt.
Ja, Autoren sind eitel, sie wollen gelesen werden, sie wollen
Aufmerksamkeit, sie verbreiten Meinung, und sie setzen sich auch mal
richtig in die Nesseln. Worst Case bleibt allerdings: nicht gelesen zu werden.
Es ist nicht planbar, nicht kalkulierbar und schon gar nicht
beeinflussbar, ob die eigene Meinung ankommt. Entweder man trifft den
Nerv oder nicht. Wenn man ihn überhaupt treffen will! Es war also nicht
abzusehen, dass sich dieser Artikel zu einem Phänomen entwickeln würde, das mich – das dürfen Sie glauben – am meisten überrascht hat.
Das Frauenkollektiv ist tot
Geschrieben in der Nacht, wütend, aufgebracht. Die Schreibfeder
platzte nach der Gruppentherapie-Sendung von Günther Jauch. Diese
klammheimliche Freude von Alice Schwarzer. Dies Beharren auf dem ewigen
Opfer-Status der Frau, gepaart mit einer
Ich-hab’s-schon-immer-gesagt-Attitüde. Als Frau fühlte ich mich da nicht
vertreten. Auch nicht von der #Aufschrei-Urheberin Anne Wizorek, die
mit in der Sendung saß. Angeblich die moderne Frau von heute, die mit
mir aber nichts zu tun hat, genauso wenig wie mit den Frauen, mit denen
ich eine Woche lang über das Thema Sexismus diskutiert hatte. Es war
genug Frauen-Happening. Das Frauenkollektiv ist tot. Diese Debatte ist
der beste Beweis. Frau Schwarzer konnte kaum noch an sich halten. Ist
irgendjemandem außer mir noch aufgefallen, dass Sie Frau Wizorek ständig
beim Vornamen anredete und den auch noch verhaspelte? Wir, die Anne und
ich, wir wissen, was Sache ist. Das sollte wohl die Botschaft sein.
Eine Anmaßung, die mich in Rage bringt.
Seit „mach die Bluse …“ online ist, strömten Hunderte, Tausende von
Reaktionen durch das Netz. Die Seite explodierte hier beim European und
brach bei freiewelt.net,
die den Text nachdruckten, sogar zusammen. Ich bekam Post von Männern
und Frauen. Letzteres freut mich besonders. Ja doch, ich bin wenig
zimperlich ins Gericht gegangen mit meinem eigenen Geschlecht. Der
Schuss hätte auch nach hinten losgehen können. Selbst oder gerade, weil
es die Wahrheit ist, dass wir Frauen unsere weiblichen Waffen sehr wohl
oft und gezielt einsetzen. Doch weiblicher und männlicher Zuspruch
halten sich die Waage, auch wenn mir manche Damen gerne unterstellen,
ich bediente nur die Macho-Fraktion. Tut mir leid, ich bleibe dabei, die
Fakten sprechen eine andere Sprache. Es sind selbstbewusste Frauen, die
mit ihrem Frausein glücklich sind und sich nicht als hilfsbedürftige
Mäuschen betrachten lassen wollen.
„Das konnte nur eine Frau schreiben“
Männer schreiben anders. Die häufigsten E-Mails und Briefe enthalten
Formulierungen wie „Das konnte nur eine Frau schreiben, ein Mann wäre
anschließend erledigt“. Mindestens jedes zweite Schreiben enthält den
Hinweis, ich möge doch bitte das Lob für den Artikel nicht falsch
verstehen. Dies sei ein ehrliches Kompliment, einfach so, ohne
Hintergedanken. Männer fühlen sich also neuerdings genötigt, dies extra
anzumerken. Keine Frage also, die Debatte hat Wirkung hinterlassen. Ob
das wünschenswert ist, steht auf einem anderen Blatt.
Wüste Beschimpfungen und Beleidigungen von der Toleranzfraktion waren natürlich auch im Postfach, so in der Art:
„This is the most sexist, fucked up, slut-shaming, victim-blaming, feminism-unaware, and uninformed piece of trash that I have read all year. And I am following Fox News.“
Wirklich ganz großes Kino. Ach ja, ein paar Heiratsanträge und
Liebeserklärungen sind ebenfalls eingegangen. Sehr höflich formuliert,
aber ich muss leider absagen meine Herren, ich bin schon lange in festen
Händen.
Männer schreiben mir auch ihre Wut – danke für das Vertrauen an
dieser Stelle – und sie erzählen von eigenen Begegnungen der besonderen
Art. Alle Berufe, alle Altersklassen. Anwälte, Lehrer, Pfarrer,
Kneipenwirte, Handwerksmeister und Journalisten-Kollegen. Von Frauen,
die sich danebenbenehmen, die sie offen anmachten, was sie als Mann
nicht als angenehm empfanden. Von wegen, „die Männer“ stehen auf so
etwas. Sie sind peinlich berührt, wissen oft auch nicht, wie man damit
richtig umgehen soll.
- Der angehende Pastor, der von einem jungen Mädchen belästigt wird, „Kanzelschwalben“ nennt man so etwas unter seinen Kollegen, der Begriff war mir neu …
- Die Sekretärin, die sich ungefragt bei der Weihnachtsfeier auf den Schoß des verheirateten Chefs setzt …
- Die Studentin, die halb ausgezogen zum Gespräch über die zu scheiternde Promotion kommt …
- Die Schülerinnen, die im Sommer „fast in Unterwäsche“ im Unterricht sitzen …
Vielleicht stelle ich mal eine anonymisierte Liste zusammen, was Mann
mir so aus dem Alltag berichtet hat. Dies alles soll den tatsächlich
existierenden Sexismus gegen Frauen in diesem Land keineswegs
relativieren. Aber es zeigt deutlich, dass auch diese Medaille eine
Kehrseite hat.
Da steht selbst Brüderle als Kavalier da
Festzuhalten bleibt: Sexismus ist nicht allein Geschäft irgendwelcher
notgeiler Männer, Frauen beherrschen es auch. Die einen kämpfen mit
Herrenwitz, die anderen mit dem, was sich schon immer bewährt hat. Wer
Erfahrungsaustausch braucht, kann ja heute an Weiberfastnacht einmal
durch die Kölner Südstadt und andere jecke Hochburgen laufen und darüber
berichten, wie es so ist, als Mann in ein Rudel betrunkener Frauen zu
geraten. Witzig geht anders. Da steht selbst Brüderle am Ende noch als
Kavalier da.
Wenn wir also über Sexismus reden wollen, dann müssen bitte alle
einmal abrüsten und im Gegenzug alle Aspekte auf den Tisch bringen. Auch
diejenigen, die wir Frauen nur ungern hören.
Dann müssen wir auch darüber reden, warum Jungs in Schulen nur
aufgrund ihres Geschlechtes im Durchschnitt schlechter benotet werden.
Dann müssen wir darüber reden, warum bei Sorgerechts-Streitigkeiten in
90 Prozent die Mütter das Sorgerecht bekommen. Dann müssen wir darüber
reden, warum es in Stadträten aufgeregte Sondersitzungen gibt, wenn
H&M halbnackte Frauen an die Bushaltestellen plakatiert, die
Sitzungen aber nicht stattfinden, wenn uns an gleicher Stelle David
Beckham in Unterwäsche anlächelt. Dann müssen wir darüber reden, wieso
Männer Signale nie falsch verstehen dürfen, Frauen aber die alleinige
Deutungshoheit halten, wie ihre Signale bitte schön zu verstehen seien.
Dann müssen wir darüber reden, warum es lustig ist, wenn Männer in der
Werbung als dämlich dargestellt werden, es aber als sexistisch gilt,
wenn wir Gleiches mit Frauen tun. Wenn wir also das Fass aufmachen, dann
bitte ganz.
Die Schweigespirale lebt
Warum hat es bei diesem Thema eigentlich erst so einen Anstoß-Artikel
gebraucht, damit sich die Gegenmeinung zum Aufschrei wie ein Dammbruch
im Netz artikuliert? Es ist diese Frage, die mich noch viel mehr
beschäftigt. Belegt sie doch offensichtlich das Problem, dass es in
Deutschlands politischem Alltags-Diskurs Meinungen gibt, die als Tabu
gelten. Die in den Mainstream-Medien nicht zu Wort kommen, selbst wenn
ein ganzes Land gerade diskutiert. Aus Angst. Aus Unsicherheit. Weil es
schlecht für die Karriere sein kann, sich gegen den Mainstream zu
stellen.
Die Political Correctness hat sich wie Mehltau über den normalen
demokratischen Austausch gelegt. Mann muss ja nicht jede Meinung teilen,
geschweige denn gutheißen. Aber man muss doch darüber reden dürfen. Wer
Toleranz fordert, muss sie auch selber aufbringen. Im besten Sinne nach
Voltaire: „Ich teile Ihre Meinung nicht, ich werde aber bis zu meinem
letzten Atemzug kämpfen, dass Sie Ihre Meinung frei äußern können.“ Was
für ein großartiger Satz! Ja, ich begreife gerade seit vergangener
Woche, wie recht Elisabeth Noelle-Neumann mit ihrer Theorie von der
Schweigespirale hatte. Wer glaubt, auf der Verliererseite zu stehen,
hält lieber den Mund.
Es ist nicht das erste Mal, dass ich selbst diese Erfahrung mache,
öffentlich angegriffen zu werden, im Hintergrund aber massenhaft
Unterstützung erfahre. Oft reicht ein Reizwort, und die Berufsempörten
sind zur Stelle. Zweifeln Sie mal am menschgemachten Klimawandel.
Argumentieren Sie mal sehr sachlich gegen ein Adoptionsrecht für
gleichgeschlechtliche Paare. Oder zitieren Sie in einer Talkshow mal
ganz wertfrei Thilo Sarrazin.
Dann lernen Sie die Medienmaschinerie und auch viele ihrer Mitmenschen mal ganz anders kennen.
Und wo bleibt die Politik bei all diesen brisanten Themen, die die
Menschen bewegen? Wer greift das auf? Es ist das Drama der etablierten
Parteien der Mitte, dass sie offensichtlich nicht in der Lage sind, die
Sorgen und Nöte der Mehrheit der Bevölkerung aufzufangen. In direkter
Folge verstummen zu viele in allgemeiner Politikverdrossenheit nebst
Wahlenthaltung und driften vormals normale Wählergruppen zu den
politisch linken und rechten Idioten ab, weil sie sich in der Mitte
nicht mehr verstanden und vertreten fühlen.
Doch wer andere Meinungen und Lebenserfahrungen als die eigenen
verteufelt oder totzuschweigen versucht, leistet der freien, offenen
und, wie man so schön sagt, bunten Gesellschaft einen Bärendienst.
Lesen Sie auch die letzte Kolumne von Birgit Kelle:
Dann mach doch die Bluse zu!
von Birgit Kelle
Quelle
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