Er will nicht gefallen
Der Franzose Michel Houellebecq erscheint in den deutschen Medien
gemeinhin mit dem Namenszusatz „Skandalautor“, wahlweise auch als
„Provokateur“. Man muß das wahrscheinlich als journalistische
Entlastungshandlung verstehen, etwa so, wie die AfD immer mit dem Zusatz
„rechtspopulistisch“ versehen wird. Wer ohne solche Attribute auskommt,
erweckt den Verdacht der Sympathie.
Wer einmal Sympathie anklingen ließ, wird auch noch zehn Jahre später
in Haftung genommen, wenn der Provokateur etwas nun wirklich
Unverzeihliches, nicht mehr zu Tolerierendes geäußert hat.
Nun hat Houellebecq mit seiner Dankesrede zur Verleihung des
Frank-Schirrmacher-Preises – über die groteske Kluft zwischen
Namenspatron und Preisträger breiten wir den Mantel des Schweigens –
einen Stein in den deutschen intellektuellen Konsens-Teich geworfen.
Feuilletonisten wie der Zeit-Mann Robin Detje – zum Bellen
geboren, zum Apportieren bestellt – schlugen prompt an, aber eine
veritable, auf Existenzvernichtung sinnende Hatz wäre wohl nur
losgebrochen, wenn der Autor erstens ein Deutscher und zweitens kein
Millionär wäre. Angesichts seiner vorhersehbaren Folgenlosigkeit
verebbte der Angriff, und der Skandalautor gewann, nur mäßig gezaust,
das rettende linksrheinische Ufer.
Niederwerfungsbereitschaft des Kontinents
Diese Rede, suggerierte der erwähnte Feuilletonist, schände
gewissermaßen das Houellebecqsche Gesamtwerk. Tatsächlich fügt sie sich
so vollkommen nahtlos darein wie ein Zeit-Feuilletonist ins Zeit-Feuilleton
oder ein Pinguin in die Antarktis. Houellebecq handelt die Themen ab,
die sich auch in seinen Romanen finden: die Bindungslosigkeit,
Fortpflanzungsunwilligkeit und Abdankungsgeneigtheit des westlichen
Menschen, die Verweiblichung und Gouvernantisierung der Gesellschaft,
die Niederwerfungsbereitschaft des vor allem von innen sturmreif
geschossenen Kontinents vor dem Islam, die groteske Selbsteinsperrung
der westlichen Intellektuellen ins Laufställchen der Politischen
Korrektheit.
Inbegriffen ist zudem eine maßvolle Attacke auf die französische
Linke; die sei, so Houellebecq, „allem Anschein nach am Sterben“. Er
beobachte einen Prozeß, der sich seit dem Amtsantritt von François
Hollande beschleunigt habe. Die Linke sei „immer aggressiver und
bösartiger geworden. Es handelt sich um den klassischen Fall des in die
Enge getriebenen Tiers, das Todesangst verspürt und gefährlich wird.“
Duktus eines freien Geistes
Wie gesagt, all das ist Houellebecq as usual. „Was damals an Inhalten
von den Linken noch übriggeblieben war, war die Ablehnung des Rassismus
oder, genauer gesagt, ein gegen die Weißen gerichteter Rassismus“,
heißt es im Roman „Die Möglichkeit einer Insel“ (2005). „Ich bin
Rassist“, spricht eine Figur in „Plattform“ (2001). „Ich bin Rassist
geworden. (…) Eine der ersten Folgen des Reisens.“
Im selben Roman findet sich die Passage: „Wir legten eine kurze Pause
ein, um zu Mittag zu essen. Zur gleichen Zeit schlugen zwei Jugendliche
aus der Cité des Courtillières einer Frau in den Sechzigern mit einem
Baseballschläger den Schädel ein. Als Vorspeise nahm ich Makrelen in
Weißweinsauce.“ Der Feuilletonistenblick auf die Welt in drei Sätzen!
Chapeau!
Houellebecq trägt seine Rede im Duktus eines freien Geistes vor;
allein das erhebt sie zu einem Ereignis. Er unternimmt gar nicht erst
den Versuch einer Anpassung an irgendein diskursives Benimmregelwerk.
Warum sich um die Selbstknebelungsrituale einer abdankenden Gesellschaft
scheren? Anthropologischen Optimismus kennt er nicht, daher rührt seine
Fremdheit gegenüber der Linken. Er gehört nirgends dazu. Er will nicht
gefallen. „Seien Sie richtig gemein, dann sind sie wahr“, hat er vor
fast 20 Jahren, damals noch ein unbekannter Autor, im Figaro littéraire als Maxime ausgegeben.
Europa begeht Selbstmord
Wie Gott ist auch er Biologist, und darum trifft er lakonische
Feststellungen wie: „Der Dschihadismus wird ein Ende finden, denn die
menschlichen Wesen werden des Gemetzels und des Opfers müde werden. Aber
das Vordringen des Islam beginnt gerade erst, weil die Demographie auf
seiner Seite ist und Europa, das aufhört, Kinder zu bekommen, sich in
einen Prozeß des Selbstmords begeben hat. Und das ist nicht wirklich ein
langsamer Selbstmord. Wenn man erst einmal bei einer Geburtenrate von
1,3 oder 1,4 angekommen ist, dann geht die Sache in Wirklichkeit sehr
schnell.“
In seinem Roman „Plattform“ hat Houellebecq unmittelbar vor dem 11.
September 2001 den islamischen Terror thematisiert und in „Unterwerfung“
dann die naheliegendste Frage der Gegenwart gestellt, nämlich: Was
geschieht in den westeuropäischen Ländern, wenn der stetig wachsende und
im Vergleich mit den Eingeborenen vor allem deutlich jüngere
muslimische Bevölkerungsteil anfängt, seine Vorstellungen des
gesellschaftlichen Zusammenlebens in die Politik „einzubringen“?
Frauen zahlen den Preis der Islamisierung
Der erste literarische Repräsentant des sexuellen Pauperismus, der
trostloseste Schilderer der existentiellen Erschöpfung des europäischen
Menschen, der Erfinder des Begriffes „nullogam“ und Verkünder einer
neuen Kallokratie – „Die körperliche Schönheit spielt hier genau die
gleiche Rolle wie der Geburtsadel im Ancien régime“ („Die Möglichkeit
einer Insel“) – stimmte auf einmal den Sirenengesang der Erlösung an.
Eine Erlösung hat naturgemäß ihren Preis. Es war kein Zufall, daß ein
Literat, der den Krieg der Geschlechter in falkenäugiger
Illusionslosigkeit schildert, irgendwann jene Zivilisation in den Blick
nehmen würde, die diesen Krieg von vornherein unterbindet. Das
skandalöse Geheimnis des Buches „Unterwerfung“ besteht ja nicht darin,
daß es islamfeindlich ist – das ist es nämlich nicht –, sondern daß es
beschreibt, wer den Preis einer Islamisierung Europas zahlen würde: die
Frauen. Die Kölner Silvesterkirmes war gewissermaßen die erste Rate.
Der westliche Mann, dessen ist sich Houellebecq gewiß, wird den neuen
Frontverlauf mit einem Achselzucken hinnehmen. Er wird die Frauen nicht
verteidigen. Was seine eigene Tauglichkeit angeht, hat der
Schriftsteller schon vor Jahren ein Urteil getroffen: „Es war nicht
sicher, ob die Gesellschaft sehr lange mit Individuen wie mir überleben
konnte.“
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