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Jetzt ist es mir doch passiert: Ich habe jemanden verletzt, weil ich
sie fälschlicherweise des Antisemitismus beschuldigt habe. Dies geschah
zwar „nur“ im Eifer des Gefechts, aber es passierte…
Von Tamara Guggenheim
Worte, das habe ich schon als Kind gelernt, können Menschen härter
treffen als Schläge, denn sie bleiben im Gedächtnis haften. Worte,
Sprache, das ist mein Thema in den letzten Wochen der Debatte um die
Vorhaut, die meine Söhne nicht mehr haben.
Die Verletzung durch Worte erlebte ich in dieser Debatte das erste
Mal, als die FAZ einen Brief veröffentlichte, in der ich der sexuellen
Gewalt bezichtigt wurde, weil ich meine Söhne beschneiden ließ. Nein,
nicht an mich persönlich adressiert, es wurde allgemein herausgestellt,
dass keine Religion diesen Eingriff rechtfertige. Aber es waren solche
Worte, die mein Leben beeinflusst, wenn nicht gar verändert haben.
Ich bin plötzlich kein Mitglied dieser Gesellschaft mehr, denn als
Befürworterin der Beschneidung gehöre ich für einige zu den
„Religioten“, zu einer Gattung, die sich „gegen Vernunft, gegen
Menschenrechte, gegen die Geschichte dieses Landes und seine
Errungenschaften“ stellt. Meine Religion, sagt jemand namens Achim, ist
eine „pestilenzialische, aussätzige und gemeingefährliche Rasse“, auch
wenn er dabei „nur“ Giordano Bruno, den Namensgeber der gleichnamigen
Stiftung zitiert. Genau: das stand nicht vor 70 Jahren im Stürmer, das
war ein Posting auf der Facebook Fan-Seite der Giordano Bruno Stiftung,
einer „Denkfabrik für den evolutionären Humanismus“. Auf der gleichen
Seite attestiert mir heute und hier und von seinen Freunden
unwidersprochen ein Mann mit dem Namen Günther, Juden seien „eine
hysterische und unentspannte Glaubensgruppe mit einem enormen
Standesdünkel“. Von „religiösem Wahn“ ist die Rede und auch die
Fähigkeit des „kritischen Denkens“ wird mir plötzlich von einem Ulf
abgesprochen. Weil ich meine Söhne beschneiden ließ, weil ich hoffe,
dass meine Enkelsöhne ebenfalls beschnitten werden.
Die Giordano Bruno Stiftung (GBS) hat aber geschrieben, in ihren Reihen seien keine Judenhasser. Danke für die klaren Worte.
Es gibt auch gönnerhafte Worte an mich. Ich sei ja „in einer
archaischen Tradition“ aufgewachsen und könne die Beschneidung gar nicht
ablehnen, da ich ja sonst in Frage stellen müsse, was ich meinen Söhnen
antat, die ja im übrigen „traumatisiert und durch mich indoktriniert
seien“. Mahne ich Respekt an, so lese ich „kein Respekt den
Respektlosen“ und bin darüber auch nicht mehr überrascht, seit der
Mitbegründer und Vorstandsprecher der Stiftung schrieb: „Respekt? Wofür
denn?“
Sie sind gut mit ihren Worten, manche der Beschneidungsgegner, vor
allem die, die mit ihren Worten vorangehen. Da werden Halbwahrheiten
ausgesprochen, da werden Behauptungen aufgestellt, die aufgrund ihres
schwammigen, auf Ressentiment statt auf Fakten basierenden Inhalts kaum
zu widerlegen sind. Und natürlich steht es plötzlich auch wieder im
Raum, das Wort vom Juden, dem es nur um Geld geht, selbst aus der
Vorhaut mache er Millionen, vor allem in den – natürlich von Juden
beherrschten – USA. Da werden jüdische Denker zitiert, die sich in eine
Reihe mit dem antisemitischen Namensgeber der GBS stellen würden.
Halbwahrheiten in schöne Worte verpackt werden zwar nicht wahr, aber sie
bleiben haften. Ja, sie kennen sich aus mit Worten, die geistigen
Oberhäupter des evolutionären Humanismus, der neuen säkularen Religion.
Nur – warum erscheint sie mir so intolerant?
Kaum wird ein Artikel zur Beschneidung veröffentlicht, sind schon die
Kommentare dazu da, selten durchdacht, aber immer voller Hass und Wut.
„Geht doch nach Hause“ lese ich oder auch: „Hat hier irgendwer was
dagegen, dass du mit deinen Knäblein nach Australien zu den Aborigines
ziehst und ihnen dort die komplette Penis-Unterseite aus
archaisch-rituellen Gründen aufschlitzen lässt?“
Das sei Rassismus und Antisemitismus pur, sagen meine Freunde. Worte,
die bedrohlich und beängstigend sind. Sind die Worte hier und heute von
Rassismus und Antisemitismus beherrscht? Das böse Wort, das
„Totschlagargument“ gegen die Beschneidungsgegner? Sind die GBS und sind
ihre Anhänger rassistisch und antisemitisch?
„Rassismus ist eine Ideologie, die Rasse in der biologistischen
Bedeutung als grundsätzlichen bestimmenden Faktor menschlicher
Fähigkeiten und Eigenschaften deutet“, lese ich nach und „Rassismus
zielt dabei nicht auf subjektiv wahrgenommene Eigenschaften einer
Gruppe, sondern stellt deren Gleichrangigkeit und im Extremfall die
Existenz der anderen in Frage.“
Auch über diese Worte muss ich nachdenken. Ich will niemanden mit dem
Vorwurf des Rassismus belegen, nicht als „Totschlagargument“. Aber ist
es Rassismus bei den anderen, wenn ich und viele meiner Freunde
subjektiv unsere jüdische Existenz gefährdet sehen? Gibt es hier in der
Debatte die, das lese ich in der Definition von Antisemitismus nach 1945
„pauschale Judenfeindlichkeit, deren Vertreter Juden mit lange
überlieferten Klischees und Stereotypen als übermäßig einflussreiches
Kollektiv betrachten“?
Ich will es genau wissen, lese in den Kommentaren unter den
Zeitungsartikeln und der GBS genau nach. Welche Worte benutzen sie, was
schreiben sie? Dass die Bundesregierung vor uns in unserem Wunsch nach
einer „Sonderregelung“ einknicke, wird da lamentiert und ich finde ein
Bild, das mehr sagt als Worte. Eine GBS-Karikatur, in dem der gesamte
Bundestag sich vor sehr klar erkennbaren Vertretern der drei
Weltreligionen verbeugt, zwei von ihnen, erkennbar als Muslim und als
Jude karikiert, halten ein blutiges Messer in der Hand.
Deckt sich das nicht doch mit der Definition zum Antisemitismus nach
1945, oder bin ich nur zu empfindlich, nehme es zu persönlich in meiner
Existenz als Jüdin und Tochter von Überlebenden? Ich merke, dass mich
diese Vorwürfe persönlich treffen, mich und mein Volk als Ganzes. Ich
fühle mich bedroht, ausgegrenzt und Zielscheibe von Wut und Hass, den
ich nicht verstehen will.
Geht es wirklich nur noch um die Beschneidung? Kann ich nicht gegen
Hassprediger sein und dennoch der Überzeugung, dass die Muslime als
Religionsgemeinschaft friedliebend sind? Kann ich nicht gegen den
Missionsgedanken der christlichen Kirchen sein, ohne die Christen als
Ganzes zu verdammen? Was ist der Unterschied? Ich kann es nachlesen in
den „alten verkommenen Büchern“, wie ein Sascha schreibt.
Judentum beinhaltet Religion, Nation und den Volksbegriff. Egal, was
wir tun, egal wie wir uns positionieren, wir sind ein Teil dieser
Begrifflichkeiten. Egal wo und wie wir leben, wir haben eine Verbindung
nach Israel, egal, welche. Wenn ich meine Worte gegen einen Juden
richte, dann kann ich schnell alle damit meinen. Ja, ich nehme diese
Worte sehr persönlich, denn ich bin ein Teil dieser Gemeinschaft. Ist
dieser neue Humanismus nur ein Spiegelbild alten rechten Gedankenguts?
Die GBS schrieb: „In unseren Reihen sind keine Judenhasser“. Warum
lese ich dort, wo es keine „Judenhasser“ gibt, dass die Beschneidung zu
der „grotesken Situation“ führe, „dass Brandzeichen für Pferde verboten
werden, während Kinder von Juden und Muslimen gewaltsam in Bezug auf die
Religion ihrer Eltern gekennzeichnet werden dürfen“? Was steht für ein
Denken hinter diesen Worten? Und warum muss ich solche Worte auch nach
Tagen noch lesen?
Ein Mensch, der sich gegen die Beschneidung ausspricht, ist kein
Rassist oder Antisemit. Wer seine Worte aber so, wie oben beschrieben
gegen Angehörige einer Religionsgemeinschaft richtet, der muss sich den
Vorwurf des Antisemitismus anhören, denn diese Postings sind voller
Rassismus und – sie sind antisemitisch. Wer sich nicht klar davon
abgrenzt und solche Aussagen unwidersprochen zulässt, macht sie zu
seiner eigenen Wahrheit.
Vielleicht sollten wir den Gebrauch unserer Sprache überdenken,
vielleicht wäre es auch sinnvoll, den Respekt wieder in den Humanismus
zu lassen, denn Respekt und Humanismus sollten zusammen gehören. Beim
Respekt geht es nicht nur um die Worte, da geht es auch um das Handeln.
Ich habe diese Frau verletzt, habe meine Worte nicht mit Bedacht und
dem gebotenen Respekt gewählt, habe mich von meiner Wut leiten lassen.
Sie hat in den Kommentaren der Wütenden und Hassenden nur versucht,
einen rationalen Dialog zu führen. Sie war entsetzt über meine
Anschuldigungen, sie hat gehandelt und das Gespräch gesucht. Ich bin ihr
dankbar, denn sie hat mir wieder bewusst gemacht, wie wichtig Worte
sind, wie sorgfältig wir sie wählen sollten und wie tief Worte verletzen
können. Nicht nur Dich, nicht nur Dich.
Tamara Guggenheim ist Religionslehrerin der Jüdischen Gemeinde
Düsseldorf und hat die Facebook-Gruppe “Für Elternrecht und
Religionsfreiheit” gegründet, die für das Recht antritt, Söhne aus
religiösen Gründen zu beschneiden.
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