Liebe Brüder und Schwestern!
„Dein Bruder war verloren und er ist wieder gefunden. Er war tot und
er lebt wieder.“ (Lk 15,32) Was ist das für eine Situation, mit der
Jesus zu tun hat? Warum fällt es so schwer, die Barmherzigkeit Gottes
anzunehmen? Warum tun gerade wir, die wir so ganz drinnen sind in der
Kirche, uns manchmal so schwer, zu verstehen, warum Jesus, warum Gott,
gerade mit denen, die verloren sind, besonders barmherzig ist? Gerade
mit denen, die besonders verloren sind. Man hat fast den Eindruck, als
würde es Gott hinziehen zu denen, die verloren sind. Und wenn wir in der
Kirchengeschichte schauen, da gibt es auch heute immer wieder diese
ganz starken Berufungen: Menschen, die irgendwie ganz besonders
hingezogen sind zu jenen, die ganz am Rand, ganz unten sind.
Vor einer Woche wurde Mutter Teresa von Kalkutta heiliggesprochen. Da
war doch genau das, was wir hier heute im Evangelium hören. Da haben
sich auch Leute aufgeregt – und sie tun das bis heute -, Mutter Teresa
habe das nur gemacht, um Selbsterfüllung zu finden, sie habe nicht
wirklich den Armen geholfen, sie habe ja nicht die Welt verändert usw.
Aber es hat sie hingezogen zu denen, die besonders am Rand waren,
besonders zu den Ausgestoßenen. Was ist das im Herzen Gottes, im Herzen
Jesu, das so hinzieht zu denen, die ja gerade das sind, was einen nicht
anzieht? Warum ist ein Damian de Veuster auf die Insel Molokai gegangen?
Auf diese Insel hatte man die Leprakranken verbannt, damit man sie
nicht sehen muss, damit ihr unvorstellbar schreckliches Schicksal aus
unseren Augen ist. Gerade dorthin hat es Damian de Veuster gezogen.
Die Logik der drei Gleichnisse in den heutigen Lesungen ist eine ganz
eigenartige. Wenn man hundert Schafe hat, ja mein Gott, dann geht halt
eins verloren, das kommt doch vor… Papst Franziskus hat einmal etwas
Hartes gesagt über unsere Kirche heute: 99 Schafe unserer Kirche sind
schon weggelaufen und das eine, das noch da ist, streicheln wir zu Tode.
Jesus geht dem verlorenen Schaf nach, es ist ihm nichts zu mühsam. Man könnte doch sagen, das ist doch ganz unlogisch, ganz unvernünftig! Warum dem einen nachgehen?
Gehen da nicht die 99 in Gefahr, wenn der Hirte sie verlässt? Aber
was ist das für eine wunderbare Erfahrung, wenn uns Jesus sagt: Selbst
wenn du noch so verloren bist, du bist für mich kein Verlorener. Ich
werde dir nachgehen, wohin du dich auch verirrt hast.
Es gibt für Jesus keine hoffnungslosen Fälle. Er geht mir wirklich
nach. Und ich finde es so berührend für die 99, die zurückbleiben. Sie
könnten ja sagen: Um Gottes Willen, der Hirte ist weg, was wird uns
passieren? Aber wenn sie erfahren, dass der Hirte dem verlorenen
nachgeht, bis es gefunden ist? Das ist doch eine wunderbare Botschaft
für uns, denn jeder von uns könnte einmal verloren gehen. Auch wenn wir
vielleicht nicht äußerlich verloren gehen, weil wir einen sicheren
Lebensrahmen haben, Versicherungen usw. Denn wir können auch seelisch
verloren gehen, wir können den Boden unter den Füßen verlieren, in
Depression geraten, in Verzweiflung und Sinnlosigkeit. Und dann ist es
wunderbar zu wissen: Wenn mir das passiert, dann wird ER mich nicht
verlassen!
Dann das Gleichnis von der Drachme: Wenn ich noch so sehr im Dreck
liege, im Staub, am Boden, irgendwo im Mist, ER wird mich suchen, bis er
mich gefunden hat, er wird mich aufheben. Und das Bild, das auf der
Münze ist, ist das Bild Gottes in uns, das Bild wird wieder leuchten, er
wird mich aus dem Staub heben, und es wird Freude sein.
In allen drei Gleichnissen ist im Mittelpunkt die Freude. Und Jesus
will sagen: Freut euch doch, dass Gott so barmherzig ist, freut euch
doch, dass es für ihn keine hoffnungslosen Fälle gibt!
Aber wir sind angesprochen von dem älteren Bruder, der vom Feld
zurückkommt, der Musik hört, Tanz… Und er fragt sich: Was ist da los?
„Dein Bruder ist zurückgekommen und der Vater hat das Mastkalb
geschlachtet, weil er gesund ist“, sagt der Knecht. So wie wir sagen:
Das Wichtigste ist Gesundsein. Dann kommt der Vater heraus, und der
ältere Bruder ist ganz zornig, und er sagt: DEIN Sohn, der DEIN Vermögen
mit den Dirnen durchgebracht hat… Wenn der Vater zur Mutter sagt:
„DEINE Tochter“, dann weiß man schon, was es geschlagen hat. Nein, es
ist unsere Tochter, müsste sie dann sagen, es ist UNSERE Tochter,
genauso Deine Tochter. Er sagt: Dein Sohn. Der Vater sagt zu ihm: Dein
Bruder. Er erinnert ihn: Es ist DEIN Bruder. Dein Bruder, der auf die
schiefe Bahn geraten ist. Dein Bruder war tot und er lebt wieder.
Brüder und Schwestern, ich muss noch etwas hinzusagen, das vielleicht
die Wirtschaftsleute unter ihnen besser verstehen und was gerne
verschwiegen wird bei diesem Gleichnis: Der Jüngere, der alles vertan
hat, kommt zurück, und er weiß ganz genau, dass er das Erbe verspielt
hat. Darum sagt er zum Vater: „Nimm mich als Taglöhner, nimm mich als
Knecht bei dir, ich hab kein Recht mehr, Sohn zu sein. Ich hab mein Erbe
vertan“. Was macht der Vater? Er sagt: „Schnell, holt das beste Gewand,
steckt ihm einen Ring an den Finger, wir müssen feiern, denn mein Sohn
lebt!“
Was heißt das praktisch und wirtschaftlich, dass der Vater ihn wieder
als Erben einsetzt, als Sohn? Und wer muss die Rechnung zahlen? Der
ältere Bruder! Denn der Erbteil, den der jüngere Bruder durchgebracht
hat, ist ja weg. Da ist nur noch das Erbteil des Älteren. Und mit diesem
Falotten muss der Ältere jetzt das Erbe teilen. Das ist der
wirtschaftliche Hintergrund, denn Jesus hat gewusst, wie es in der
Wirtschaft läuft, und in seinen Gleichnissen ist er immer ganz konkret.
Der Ältere ist aufgefordert, mit seinem jüngeren Bruder nicht nur das
Haus zu teilen, sondern auch das Erbe. Ich weiß, wovon ich rede, ich
kenne das aus eigenen Familiengeschichten. Das tut weh! Aber die
Barmherzigkeit kostet etwas, die Barmherzigkeit ist nicht billig.
Barmherzig sein ist nicht ein Zuckerguss, den man drüberstreut.
Barmherzigkeit kostet etwas.
Jetzt muss ich ganz zum Schluss noch auf die Lesung aus dem Buch
Exodus eingehen. Dort haben wir nämlich dieselbe Geschichte gehört, nur
umgekehrt. Das Volk ist schnell vom Weg abgewichen, es hat sich einen
Götzen gemacht. Und was sagt Gott zu Mose: DEIN Volk, das DU aus Ägypten
herausgeführt hast… Gott redet wie der ältere Bruder zum Vater: DEIN
Volk. Es ist das Volk Gottes, nicht das Volk des Moses. Und Mose
antwortet ihm: Herr, strafe doch nicht DEIN Volk, was werden die Leute
sagen, wenn du DEIN Volk so behandelst?
Mir kam heute mit Blick auf unsere Situation in Europa Folgendes in
den Sinn: Wir sind ein wenig wie der jüngere Bruder. Wir haben das Erbe
durchgebracht, wir haben das christliche Erbe durchgebracht und
verschleudert. Und jetzt wundern wir uns, wie es in Europa ausschaut. Es
geht uns wie dem verlorenen Sohn, der das kostbare Gut des Vaters, das
kostbare christliche Erbe durchgebracht hat. Und jetzt stellen wir fest,
dass es uns hinten und vorne fehlt, wenn wir in Not geraten. Nicht nur
wirtschaftlich, auch das wird kommen, aber vielmehr auch menschlich,
religiös und glaubensmäßig.
Was wird aus Europa werden?
Heute vor 333 Jahren ist Wien gerettet worden.
Wird es jetzt einen dritten Versuch einer islamischen
Eroberung Europas geben? Viele Muslime denken und
wünschen sich das und sagen: Dieses Europa ist am Ende.
Und ich denke, dass das, was heute Moses in der Lesung
tut und was Gott der Barmherzige mit seinem jüngeren
Sohn tut, wir heute für Europa erbitten sollen: Herr, gib
uns noch einmal eine Chance! Vergiss nicht, dass wir dein
Volk sind So wie Moses ihn daran erinnert: Es ist doch
DEIN Volk, DU hast es herausgeführt, DU hast es geheiligt,
es ist DEIN Volk.
So bitten wir: Herr, erinnere Dich daran, es ist DEIN Volk.
Und wenn wir in die Irre gegangen sind und wenn wir das
Erbe durchgebracht haben, Herr, verstoß uns nicht!
Verstoß nicht dieses Europa, das so viele Heilige
hervorgebracht hat. Verstoß uns nicht, weil wir im
Glauben lau geworden sind. In allen drei Lesungen
gibt uns Gott heute eine Verheißung. Die Verheißung,
die Paulus in das wunderbare Wort zusammenfasst:
Ich habe Erbarmen gefunden. Obwohl ich es nicht
verdient habe! Zweimal sagt er: Ich habe Erbarmen
gefunden, obwohl ich der Erste unter den Sündern bin.
Brüder und Schwestern, ich lade ein, dass wir bei
dieser Maria Namen Feier, in ihrer großen 70jährigen
Tradition Gott in diesem Jahr der Barmherzigkeit bitten:
Hab Erbarmen mit deinem Erbe, hab Erbarmen mit
deinem Volk, mit Europa, das daran ist, Dein
christliches Erbe zu verspielen! Hab Erbarmen mit uns
und richte uns wieder auf, zur Ehre deines Namens
und zum Segen für die Welt!
Amen.
Schreibfreiheit
.....