In diesen Tagen denkt das jüdische Volk an Ereignisse, die im biblischen Buch Esther beschrieben werden. Es ist eine Geschichte voll überraschender Wendungen. In Erinnerung daran feiern Juden das Purimfest. Es beginnt am Abend des 23. Februar.
Viele Volksmärchen scheinen ihre Ideen aus der Bibel gewonnen zu haben. Esther, ein Waisenkind, wird zur Königin, nachdem ihre Vorgängerin, die wunderschöne Vasthi, durch Ungehorsam in Ungnade gefallen war. Alle Jungfrauen des Reiches werden gesammelt, um dem mächtigen König Ahasveros zur Wahl zu stehen. Esther ist ein biblisches „Aschenputtel“, wobei es in diesem Fall zum jüdischen Volk gehört. Das aber war am Hof des persischen Königs Ahasveros, der „vom Indus bis zum Nil über hundertundsiebenundzwanzig Länder“ herrschte, nicht bekannt. Anscheinend hatte niemand die Jungfrauen nach ihrer Nationalität gefragt.
Auch eine Verschwörung fehlt in dieser Geschichte nicht. Mordechai,
der Onkel und Pflegevater der hübschen Esther, erfährt vom
hinterhältigen Plan zweier Diener, den König umzubringen, und lässt das
durch seine Nichte, die Königin, den Ahasveros wissen. Die potenziellen
Attentäter werden gehängt und alles „wurde aufgezeichnet im Buch der
täglichen Meldungen für den König“. Bald danach bekommt der Fürst Haman
eine sehr hohe Stellung. „Alle beugten die Knie und fielen vor Haman
nieder; denn der König hatte es so geboten. Aber Mordechai beugte die
Knie nicht und fiel nicht nieder.“ Mordechais Begründung war einfach:
„Ich bin ein Jude!“ Er wusste, vor wem er seine Knie zu beugen hatte.
Von da an stehen Haman und Mordechai als Kontrahenten einander
gegenüber. Haman wird als „Agagiter“ identifiziert. Er gehört zum
judenfeindlichen Volk der Amalekiter. Mordechai ist nicht nur Jude,
sondern gehört auch zum Stamm Benjamin und ist mit König Saul verwandt.
Haman ist durch das Verhalten Mordechais furchtbar gekränkt. Sein Grimm
ist groß: „Es war ihm zu wenig, dass er nur an Mordechai die Hand legen
sollte, sondern er trachtete danach, das Volk Mordechais, alle Juden,
die im ganzen Königreich Ahasveros waren, zu vertilgen.“ Haman redet mit
dem König und erklärt: „Es gibt ein Volk, zerstreut und abgesondert
unter allen Völkern in allen Ländern deines Königreichs, und ihr Gesetz
ist anders als das aller Völker…“ Er bittet um die Erlaubnis, dieses
Volk zu vertilgen und um das dazu nötige Geld. Beides bekommt Haman und
handelt danach schnell. Es werden Schreiben in alle Länder gesandt: „man
solle vertilgen, töten und umbringen alle Juden, jung und alt, Kinder
und Frauen, auf einen Tag, nämlich am dreizehnten Tag des zwölften
Monats, das ist der Monat Adar, und ihr Hab und Gut plündern“.
Mordechai bittet Esther, beim König ein Wort für die Juden
einzulegen. Doch der jungen Königin droht die Todesstrafe, sollte sie
ungerufen vor den König treten. Mordechai lässt sie wissen: „Denke
nicht, dass du dein Leben errettest, weil du im Palast des Königs bist,
du allein von allen Juden. Denn wenn du zu dieser Zeit schweigen wirst,
so wird eine Hilfe und Errettung von einem anderen Ort her den Juden
erstehen, du aber und deines Vaters Haus, ihr werdet umkommen. Und wer
weiß, ob du nicht gerade um dieser Zeit willen zur königlichen Würde
gekommen bist?“ Esther versteht und hört auf ihren Onkel. Sie fordert
ihr Volk auf, drei Tage lang zu fasten. Fasten und Beten sind die
biblische Antwort auf drohende Katastrophen.
Nach drei Tagen fasst Esther den Mut und tritt vor den König. Der ist
von ihrer Erscheinung überwältigt, will ihr jeden Wunsch erfüllen, bis
zur Hälfte seines Königreiches. Doch Esther hat nur einen Wunsch: Der
König möge gemeinsam mit Haman zu einem Festmahl kommen. Obwohl Haman
eine hohe Stellung innehat, reich ist, viele Söhne, eine Frau und
Freunde hat, die ihn unterstützen, ist er doch nicht zufrieden. Der Hass
auf Mordechai und das jüdische Volk treibt ihn. Deshalb lässt er einen
hohen Galgen errichten, an dem er Mordechai am Tag darauf aufhängen
lassen will.
Mordechai wird geehrt
Ausgerechnet in der darauf folgenden Nacht kann der König nicht
schlafen. Er lässt sich die Chroniken bringen und liest darin, wie ihn
Mordechai vor der Verschwörung seiner Diener gewarnt hatte. Dafür will
er Mordechai belohnen. Er lässt Haman rufen und fragt ihn: „Was soll man
dem Mann tun, den der König gern ehren will?“ Haman geht davon aus,
dass er selbst der Mann ist, den der König ehren will, fühlt sich
geschmeichelt und schlägt vor, diesen Mann in königlichen Kleidern auf
dem königlichen Ross durch einen Fürsten in der Stadt herum zu führen
und vor ihm ausrufen lassen: „So tut man dem Mann, den der König gern
ehren will.“ Dem König gefällt die Idee. Er beauftragt Haman, genau das
mit Mordechai zu tun.
Als der König und sein Großwesir Haman dann zum zweiten Mal bei der
Königin speisen, will Ahasveros ihr wieder einen Wunsch erfüllen. Esther
bittet um ihr eigenes Leben und das Leben ihres Volkes, das Haman
bedroht. Haman, der nicht wusste, dass seine Königin Jüdin ist, ist
schockiert. Er fällt vor ihr nieder und bittet um Gnade. Doch König
Ahasveros verurteilt ihn zum Tode: „So hängte man Haman an den Galgen,
den er für Mordechai aufgerichtet hatte“. Danach verleiht der König
durch Esther und Mordechai dem jüdischen Volk in allen Ländern das Recht
auf Selbstverteidigung. Das löst große Freude und Erleichterung unter
den Juden aus, „und viele aus den Völkern wurden Juden, denn die Furcht
vor den Juden war über sie gekommen“.
Mordechai wird „groß am Hof des Königs“. Die Feinde der Juden werden
getötet, darunter auch die zehn Söhne Hamans. Mordechai schreibt diese
Geschichte auf und „sandte Schreiben an alle Juden… sie sollten als
Feiertage den vierzehnten und fünfzehnten Tag des Monats Adar annehmen
und jährlich halten, als die Tage, an denen die Juden zur Ruhe gekommen
waren vor ihren Feinden, und als den Monat, in dem sich ihre Schmerzen
in Freude und ihr Leid in Festtage verwandelt hatten… als Tage des
Festmahls und der Freude und einer dem anderen Geschenke und den Armen
Gaben schicke… Die Juden nahmen es an als Brauch für sich und für ihre
Nachkommen und für alle, die sich zu ihnen halten würden.“
Juden feiern Errettung
Dieses Fest wird vom jüdischen Volk bis heute gehalten. Die
Bezeichnung Purim kommt von dem „Pur“ (Los), das Haman geworfen hatte,
um den passenden Tag für die Vernichtung des jüdischen Volkes zu finden.
Das Los hatte er im Monat Nisan, nach der Bibel der erste Monat des
Kalenders, geworfen. Es fiel auf den letzten Monat des Jahres. Am Ende
des Jahres also, als das Unheil kommen sollte, kam entgegen aller
Erwartung die Errettung. Das Buch Esther ist für Juden nach wie vor hoch
aktuell. Immer wieder war im Laufe der Geschichte der Ruf „Tötet die
Juden!“ zu hören. Nach wie vor warten und glauben viele Juden, dass die
Errettung am Ende „des Jahres“ der Geschichte kommt.
Wie alle jüdischen Feste beginnt Purim am Vorabend des eigentlichen
Festtages. Das Buch Esther wird vorgelesen. Am Tag vor Purim wird
gefastet, um an das Fasten Esthers zu erinnern und ihrem Ruf zu folgen.
Dieses Fasten wird „Ta‘anit Esther“ genannt. Sollte der Vorabend des
Purimfestes auf einen Sabbat fallen – wie das in diesem Jahr der Fall
ist –, wird Ta‘anit Esther auf den Donnerstag davor vorverlegt.
Es ist ein Brauch, sich an diesem Tag zu verkleiden, was vor allem
Kindern – aber nicht nur ihnen – viel Spaß macht. Orthodoxe Juden
erklären das Verkleiden: Gott selbst wird im ganzen Buch Esther nicht
genannt. Er handelt hinter den Kulissen, unsichtbar, wie jemand, der
eine Maske trägt. Das soll durch die Purimkostüme zum Ausdruck kommen,
die heute oft nur wenig mit der biblischen Geschichte zu tun haben. Am
ehesten ist es möglich, unter den vielen Spidermans, Schneewittchen,
Käfern, scheußlichen Skeletten noch eine Königin Esther, das biblische
Aschenputtel, zu finden.
Zum Vortrag des Buches Esther in der Synagoge kommen Kinder
verkleidet. Sie bringen Rasseln und kleine Pistolen mit, um jedes Mal,
wenn der Name „Haman“ fällt, einen ohrenbetäubenden Krach zu
veranstalten. Eine andere Sitte aus dem Talmud ist, sich an Purim zu
betrinken, bis man nicht mehr unterscheiden kann zwischen „Verflucht sei
Haman“ und „Gesegnet sei Mordechai“. So kann man während des
Purimfestes nicht nur verkleidete Menschen antreffen, sondern auch
betrunkene orthodoxe Juden – was sonst praktisch nie vorkommt.
Die Schüler in Israel haben an Purim Ferien. Am letzen Schultag davor
gehen sie verkleidet zur Schule und in den Kindergarten. Aus
öffentlichen Lautsprechern tönen freudige Lieder. Man schenkt sich
gegenseitig Körbchen mit Süßigkeiten, in denen auch „Hamans Ohren“,
gefüllte Teigtaschen, nicht fehlen dürfen. Für die Armen werden in den
Wochen vor Purim Lebensmittel gesammelt. Der 13. Adar fällt in diesem
Jahr auf Samstag, den 23. Februar. Purim ist ein fröhliches Fest und es
ist erstaunlich, wie sich das jüdische Volk allen Schwierigkeiten,
Bedrohungen und tragischen Ereignissen zum Trotz immer wieder freuen
kann.
Von: Krista Gerloff
Quelle: Israelnetz