Aktuelle Entscheidungen zu ALG II / Hartz IV

 

Hartz IV Angemessenheitsregelung verfassungswidrig


Begriff Angemessenheit verstößt gegen Verfassung

Angemessensheitsbegriff bei den Unterkunftskosten verstößt gegen die Verfassung

16.08.2012

Laut eines aktuellen Urteils des Sozialgerichts Mainz verstoßen die Angemessensheitsregelungen bei den Kosten der Unterkunft bei Hartz IV und der Sozialhilfe (SGB II und SGB XII) gegen die bundesdeutsche Verfassung (Aktenzeichen: S 17 AS 1452/09).

Ein interessantes Urteil hat das Sozialgericht Mainz gefällt. Nach Meinung der Sozialrichter widerspreche der sogenannte Angemessensheits-Begriff bei den Kosten der Unterkunft nach § 22 Absatz 1 S 1 SGB II und die Rechtsprechung des Bundessozialgericht zum „schlüssigen Konzept“ dem „Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Artikel 20 Absatz 1 des Grundgesetzes.“

In der Urteilsverkündung gelangten die Richter zu dem Ergebnis, dass die Unterkunftskosten im Sozialgesetzbuch II und XII „die nicht evident unangemessen hoch sind, stets als angemessen anzusehen sind“.

Mit diesem richtungsweisenden Urteil hat das Sozialgericht Mainz geprüft, ob § 22 Abs. 1 SGB II – hier die Beschränkung der Leistungen für Unterkunftskosten auf das "angemessene" Maß – den Anforderungen genügt, die das Bundesverfassungsgericht im sog. "Hartz-IV-Urteil" vom 9. Februar 2010 (1 BvL 1/09) formulierte.

Im Resultat zeigte sich, dass § 22 Abs. 1 SGB II den verfassungsrechtlichen Anforderungen in Bezug auf eine wirtschaftliche Grundsicherung nicht genügt. Aus diesem Grund sind die Unterkunftskosten, die nicht „evident als zu hoch angesehen werden“, immer als „angemessen anzusehen“.

Bereits die Fachanwältin für Sozialrecht, Stella Schicke, formulierte in einer Urteilsauswertung: „Die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes zum „schlüssigen Konzept“ ist nicht mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG vereinbar, wie es im Urteil des BVerfG (NZS 2010, 270) näher bestimmt worden ist. (wm)

Hartz IV: Faktisch keine Prozesskostenhilfe mehr

Bundesregierung plant faktische Abschaffung der Beratungs- und Prozesskostenhilfe

17.08.2012

Während in der Mainstream-Presse „10 Jahre Hartz IV“ mehrheitlich als Erfolg bewertet wird, plant die schwarz-gelbe Bundesregierung die Prozesskostenhilfe für Kläger mit einem geringen Einkommen stark einzuschränken. Statt tiefgreifender Gesetzesänderungen zur Verbesserung der sozialen Lage, soll stattdessen die Prozessflut an den Sozialgerichten eingedämmt werden, die vor allem durch Hartz IV verursacht wird.

Seit Einführung der Hartz IV Armutsgesetze erleben die Sozialgerichte eine regelrechte Klageflut. Allein im letzten Jahr gingen laut dem Bundessozialgericht in Kassel 170.488 Klagen bundesweit ein. In über 50 Prozent der behandelten Fällen konnten die Kläger einen Erfolg oder mindestens einen Teilerfolg vor Gericht erwirken.

Damit Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe-Betroffene überhaupt die Möglichkeit haben, eine Klage gegen den Leistungsträger vor Gericht anzustrengen, nehmen sie die Prozesskostenhilfe (PKH) in Anspruch. Diese Regelung wurde eingeführt, um auch Einkommensschwachen Menschen die Option zu eröffnen, sich gerichtlich zur Wehr zu setzen, um gegebenenfalls einen Rechtsanwalt einzuschalten.

Völlig unbemerkt von der Öffentlichkeit plant nun die schwarz-gelbe Bundesregierung das Prozesskostenhilfe- und Beratungsrecht grundlegend zu ändern. Bereits am Mittwoch passierte der entsprechende Entwurf das Bundeskabinett, dass laut interner Kreise fast deckungsgleich mit einem seit Juni vorliegenden Referentenentwurf sei. Offiziell gab die Koalition über ihren Regierungssprecher Steffen Seibert bekannt, man wolle mit der Gesetzesreform den „Missbrauch staatlicher Hilfeleistungen“ eindämmen. In welche Richtung eine solche tiefgreifende Gesetzesänderung geht, scheint angesichts der Worte des Herrn Seibert schon jetzt klar: Die faktische Abschaffung der Prozesskostenhilfe für Hartz-IV-Bezieher.

Freibeträge werden gesenkt, geringe Streitwerte ausgeschlossen
Eckpunkte des Entwurfs sind beispielsweise, dass die Freibeträge für Geringverdiener deutlich gesenkt und die Zeiträume für die Ratenzahlungen verlängert werden. Ganz besonders im Blickfeld der Bundesregierung scheinen Hartz IV Bezieher zu sein. Meist handelt es sich bei den Klagen der Betroffenen um sogenannte „kleine Beträge“, weil beispielsweise SGB II-Anträge nicht richtig berechnet wurden. Eben jene „geringen Streitwerte“ sollen von der Prozesskostenhilfe künftig ausgeschlossen werden.
„Damit ist keinem der Kritikpunkte der Gewerkschaften und Sozialverbände Rechnung getragen worden“, kritisierte Robert Nazarek, Referatsleiter für Sozialrecht beim Deutschen Gewerkschaftsbund DGB. Der Regierungssprecher Seibert hingegen behauptet, es solle „weiterhin der Grundsatz gelten, dass alle Bürger unabhängig vom Einkommen Zugang zum Recht haben“.
Die Gesetzesänderungen wurden auf den Weg gebracht, um die steigenden Ausgaben für die Prozesskostenhilfe und Rechtsberatungen zu minimieren. Etwa eine halbe Milliarde Euro geben die Länder pro Jahr hierfür aus. Durch die Änderungen plant die Regierung rund 70 Millionen Euro pro Jahr einzusparen.

Kosten für Prozess- und Beratungshilfe seit Hartz IV gestiegen
Der Paritätischen Gesamtverband wies im Juni diesen Jahres daraufhin, dass die Kosten für die Beratungshilfe seit Einführung der Hartz IV Arbeitsmarktreformen stark gestiegen sind. „Ein Gesetz mit vielen inneren Widersprüchen, unbestimmten Rechtsbegriffen und Ermessensspielräumen ausgeführt durch eine suboptimale Verwaltungsstruktur musste zwangsläufig zu vielen fehlerhaften Bescheiden und entsprechendem Rechtsschutzbedürfnis führen“, heißt es in einer Stellungnahme des Verbandes. (sb)

Hartz IV Übergangsleistungen gestrichen

Rechtmäßigkeit und Verfassungskonformität des freien Falls von Arbeitslosengeld auf Hartz IV muss auf den Prüfstand der Sozialgerichte

12.01.2011

Die Übergangsleistungen vom Arbeitslosengeld I zu Hartz IV wurden gestrichen. „Da reibt sich der von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit - trotz wiederholt, deutlich gegenteiliger Signale aus der Berlin Gesetzes-Fabrik – immer noch nicht gänzlich abgefallene Bürger mächtig die Augen,“ stellt Hartz4-Plattform Sprecherin Brigitte Vallenthin verwundert fest. „Sollte es tatsächlich mit „Recht“en Dingen zugehen, dass - auf leisen Sohlen, unter Vermeidung öffentlichen Getöses - ein Gesetz durch die Hintertür eines anderen Gesetzes geändert werden kann – ohne dass Ersteres sich der demokratischen Prüfung durch das Parlament stellen musste?  
Glauben die Damen und Herren Gesetzgeber wirklich, dass sie uns für dumm verkaufen können – und wir es noch nicht einmal merken – wenn sie uns klammheimlich einen Teil der SGB II - Novellierung, getarnt durch das Haushaltsbegleitgesetz (HbeglG), unterjubeln wollen?“

Die Rede ist von dem, was seit dem 1. Januar 2011 überraschend all denen schmerzhaft auf die Füße fällt, die von Arbeitslosengeld I auf Hartz IV stürzen. Bislang erhielten sie – wenn sie innerhalb von zwei Jahren keinen neuen Arbeitsplatz fanden – monatlich eine am letzten Arbeitslosengeld orientierte Übergangsleistung von maximal 160 € im ersten Jahr und 80 € im zweiten Jahr. Das haben die Hartz IV-Verwaltungen nun seit 1 Januar gestrichen - teilweise sogar unangekündigt.

In den zugestellten „Änderungsbescheiden“ wird mit unterschiedlich vernebelnden Begründungen behauptet, ein Recht auf „Wegfall des befristeten Zuschlages gemäß § 24 SGB II“ umsetzen zu müssen und dadurch bereits erteilte Leistungszusagen aus dem – immer noch gültigen! - Sozialgesetzbuch II zurück nehmen zu können.

Nach Einschätzung der Hartz4-Plattform ist in den ihr bislang für die Zeit von Anfang November bis Ende Dezember dokumentierten so genannten Änderungsbescheiden aus beispielsweise Niedersachsen, Hessen und Bayern nichts anderes zu erkennen als Leistungsentzug durch Vortäuschung einer angeblichen Rechtslage mittels unterschiedlicher nicht rechtswirksamer Behauptungen zu erkennen.

Da heißt es nämlich Anfang November aus Hessen:
„Die Bundesregierung hat am 07. Juni 2010 entschieden, den befristeten Zuschlag gemäß § 24 SGB II ab 01 Januar 2011 ersatzlos zu streichen.“

Oder Ende November aus Niedersachsen:
„Eine geplante Rechtsänderung sieht vor, dass der Zuschlag zum Arbeitslosengeld II ab dem 01. Januar 2011 entfällt.“

„Vom 29. Dezember liegt uns aus Bayern der bisherige Gipfel der „Kunden“-Täuschungsmanöver durch die Bundesagentur für Arbeit vor. Da wird - nach dem Motto: die Hartz IV-Betroffenen durchschauen das eh nicht - einfach mal frech der Eindruck erweckt, als sei am 17. Dezember die Gesetzesnovelle von Hartz IV im Bundesrat nicht gescheitert sondern verabschiedet worden. Höchst vorsorglich wird dabei vermieden, den 9. Dezember zu erwähnen, an dem das HBeglG rechtskräftig wurde. Auf das wiederum beruft sich nämlich die Bundesregierung bei ihrer Streichung des § 24 im SGB II,“ stellt Brigitte Vallenthin fest. In dem kurz vor Jahresende hektisch zugestellten Änderungsbescheid heißt es dann auch kryptisch: „Durch Rechtsänderung vom 17. Dezember 2010 entfällt der Zuschlag zum Arbeitslosengeld II ab dem 01 Januar 2011.“

Kein Wunder, dass bei dem Durcheinander die von den Betroffenen angesprochenen Sachbearbeiter ins Schleudern kommen und allenfalls ausweichend bis gar nicht antworten. Dieses abermals vom Sozialministerium und der Bundesagentur für Arbeit mutwillig erzeugte Chaos scheint nach Einschätzung der Hartz4-Plattform – wieder einmal nur noch auf einem Wege zu lösen – nämlich der Überprüfung von Rechtmäßigkeit und Verfassungskonformität durch die Sozialgerichte. Das bedeutet: „Alle § 24 SGB II-Gekürzten sollten sich vorsorglich durch Widerspruch, Überprüfungsantrag, Eilklage und Klage ihre Rechte sichern.
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Wir werden in Kürze dazu ausführliche Erläuterungen und Tipps veröffentlichen,“ fasst Brigitte Vallenthin zusammen.
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„Geradezu schäbig“ findet Brigitte Vallenthin, „dass Ministerin von der Leyen zwar um die Auszahlung von 5,- € ab 1. Januar herum eiert, weil es noch keine Gesetzesgrundlage gäbe – sich gleichzeitig aber nicht schämt, in voraus eilendem Gehorsam gegenüber Finanzminister Schäuble den Berechtigten Leistungen vorzuenthalten, für die es ausweislich der Rechtsunsicherheiten in den ihr unterstellten ARGEn ganz offensichtlich ebenfalls keine Gesetzesgrundlage zu geben scheint.

Wir erwarten deshalb von Ursula von der Leyen, dass sie – gemäß dem Grundsatz „gleiches Recht für alle“ - sofort die Bundesagentur für Arbeit anweist - ebenfalls mangels neuer Gesetzesgrundlage -, die Leistungen des Übergangsgeldes vom Arbeitslosengeld zu Hartz IV nach zu zahlen und auch weiterhin zu leisten.“ (Hartz 4 Plattform)

Hartz IV: Die CDU fordert 75 Euro Gerichtsgebühr für ALG II-Empfänger

Was würde nun passieren, würde man diese, von Union und FDP schon lange, sogar in dieser Höhe, geforderte Gebühr einführen?
Die Zahl der unberechtigten Klagen würde sich tatsächlich deutlich verringern, aber ebenso die der berechtigten Klagen, was klar erkennbar das eigentliche Ziel ist. Ginge es tatsächlich darum, die Last der Sozialgerichte zu verringern, wäre dazu eine klare Gesetzgebung erforderlich, wie sie der Sozialgerichtstag schon lange fordert. Tatsächlich geht es jedoch allein darum, die Kosten für die Sozialleistungen, welche die Jobcentern durch die große Zahl der erfolgreichen Klagen an ALG II-Empfänger zahlen müssen, zu verringern. Sozialleistungen, welche den Betroffenen zustehen und oftmals überlebensnotwendig sind. 

Wenn man mit diesen betroffenen Menschen spricht, ihnen richtig zuhört, wundert man sich nicht, dass sie nicht massenhaft auf den Straßen sind. Wie Wilhelm Heitmeyer konstatierte, die Verarmung und Verelendung in unserer Gesellschaft geht einher mit einem innerlichen Rückzug aus dieser, sowie einer Vereinzelung und Vereinsamung der Betroffenen. Viele "Linke" übersehen leider diese Zusammenhänge, ich denke, nicht aus böser Absicht, sondern einfach aus Unkenntnis der realen Lebenssituation der Betroffenen. Schon in der Weimarer Republik scheiterte die Linke mit ihrer “Verelendungstheorie”, die davon ausging, dass wenn es den Massen erst richtig elend ginge, würden sie zu Massen gegen den Kapitalismus auf die Straßen gehen. Komisch, liest niemand mehr Geschichtsbücher? Dann stellt sich nämlich die Frage gar nicht mehr, warum die Betroffenen nicht massenhaft auf der Straße zu "Wutbürgern" werden! (Dieter Carstensen, Sozialarbeiter)

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9 Februar 2010 gelte auch für die Unterkunftskosten. Danach sei die Pauschalierung dessen, was zum Existenznotwendigen gehört, verfassungsrechtlich nur in engen Grenzen möglich – die Unterkunftskosten gehörten unstreitig dazu, unterstrich Buntenbach.
„Hartz IV ist die neue Sozialhilfe und hier gilt das Bedarfsdeckungsprinzip im Einzelfall. Dieses Prinzip aus Kostengründen oder aus Gründen der Verwaltungseffizienz aushebeln zu wollen, ist weder möglich noch menschenwürdig.“ (pm)

Hartz IV Neuregelung: DGB warnt vor Pauschalisierung der Unterkunftskosten
Das vom Bundesarbeitsministerium erarbeitete Gesetz zur Neuregelung von Hartz IV sieht vor, dass eine Kommune in Zukunft die Höhe der angemessenen Unterkunftskosten per Satzung festlegen darf.

Dieses Vorhaben wird nunmehr sowohl vom Mieterbund als auch vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) scharf kritisiert. In einer gemeinsamen Presseerklärung warnen die beiden Verbände vor einer Kürzung der Unterkunftskosten für ALG II Empfänger durch die Hintertür.

So bestünde bei tatsächlicher Umsetzung des Gesetzesvorhabens die Gefahr, dass sich die mögliche Pauschale für Miet- und Heizkosten eben nicht am örtlichen Mietniveau orientieren wird, sondern vielmehr an der Kassenlage der jeweiligen Kommune. Angesichts knapper kommunaler Haushalte würden dann wieder einmal die Schwächsten den Preis für eine verfehlte Politik zahlen.

“Im Windschatten der Diskussion um die Regelsätze droht für Hartz-IV- und Sozialhilfeempfänger eine Kürzung ihrer Bezüge, die jede geringe Erhöhung der Regelsätze ins Gegenteil verkehrt”, gaben DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach und Mieterbund-Direktor Lukas Siebenkotten zu Bedenken.

ALG II Bezieher: Recht auf größere Wohnung bei regelmäßigem Besuch vom Kind
Das Sozialgericht Dortmund (SG) hat die Rechte von Hartz IV Empfängern gestärkt. Dem am 28.12.2010 ergangenen Urteil zufolge haben sie Anspruch auf eine größere Wohnung zu, falls regelmäßig getrennt lebende Kinder zu Besuch kommen.

In dem Fall, der unter dem Aktenzeichen S 22 AS 5857/10 ER verhandelt wurde, hielt sich die elfjährige Tochter eines ALG II Empfängers jedes zweite Wochenende und die Hälfte der Schulferien in dessen 40 Quadratmeter großen Wohnung auf. Der Mann wollte aus diesem Grund in eine 64 Quadratmeter große Wohung umziehen. Den darauf gerichteten Antrag auf Kostenübernahme beschied der zuständige Leistungsträger allerdings negativ. Damit gab sich der Hilfebedürtige nicht zufrieden un klagte. Er argumentierte, dass die von ihm getrennt lebende Tochter auch in seiner Wohnung ein eigenes Zimmer benötige.
Nach Ansicht des SG handelt es sich bei dem Erwerbslosen und seiner Tochter durchaus um eine “temporäre Bedarfsgemeinschaft”, für die eine Wohnung von 40 Quadratmetern zu klein sei. So stünde der Tochter zumindest ein kleines eigenes Zimmer zu. Laut Urteilsbegründung sei der Umzug in eine größere Wohnung erforderlich, damit das Umgangsrecht im Sinne des Kindeswohls gestaltet werden kann.

Pflege von Angehörigen kann Anspruch auf Mehrbedarf begründen
Beziehern des ALG II mit Kindern stehen Mehrbedarfsleistungen für Alleinerziehende zu, wenn sie einen schwer kranken Angehörigen versorgen müssen.

Dies gilt gemäß einem Urteil des Sozialgerichts Ulm (SG) vom 14.07.2010 auch dann, falls es sich hierbei um den Ehepartner handelt (Az.:S 8 AS 3142/09). Es sei nicht entscheidend, mit wem der pflegende Leistungsempfänger zusammen wohnt oder ob der rechtliche Status eines Alleinerziehenden gegeben ist. Vielmehr komme es darauf an, ob sowohl für die Pflege als auch für die Erziehung der minderjährigen Kinder alleine gesorgt wird.

Im konkreten Fall war der Ehemann einer Hartz IV Empfängerin aufgrund eines Defekts im motorischen Nervensystem unheilbar erkrankt. Letztendlich musste er über eine Sonde ernährt und 16 Stunden täglich beatmet werden. Zunächst bejahten die Behörden einen Anspruch auf Mehrbedarf für Alleinerziehende, obwohl die Klägerin gemeinsam mit dem pflegebedüftigen Ehemann und den gemeinsamen minderjährigen Kindern in einem Haushalt lebt. Später wurden die bereits gewährten Leistungen allerdings wieder zurückgefordert. Zur Begründung gab der Grundsicherungsträger an, dass die Frau schließlich mit ihrem Ehemann zusammen wohne. Die Bewilligung wäre versehentlich erfolgt. Hiergegen setzte sich die Betroffene erfolgreich zur Wehr.

Das Gericht stellte klar, dass die Hilfebedürftige mindestens den gleichen Einschränkungen wie all jene Alleinerziehende unterliegt, die mit ihren Kindern alleine leben. Folglich stehe ihr auch ein
Mehrbedarf für Alleinerziehende zu.

Einigung im Hartz IV Streit frühestens Mitte Januar
Regierung und Opposition konnten sich am Wochenende wieder nicht auf die Neuregelung der Hartz IV Gesetzgebung einigen. Die Verhandlungen wurden daher auf den 17. Januar vertagt. Laut Bundesarbeitsministerium befinden sich die Verhandlungspartner im Zusammenhang mit den ALG II Regelsätzen durchaus “auf einem guten Weg”.

Allerdings sei es nach wie vor “offen”, ob die Sätze letztlich noch verändert würden. Es habe zudem eine deutliche Annäherung beim geplanten Bildungspaket für Kinder gegeben. Aller Voraussicht nach werden auch all jene Kinder vom Bildungspaket profitieren, deren Eltern einen Zuschuss zur Miete in Form des Wohngelds erhalten.

Beim Mindestlohn hingegen gebe es noch “weit auseinander liegende Vorstellungen”. Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Hubertus Heil, sagte hierzu: “Wir haben deutlich gemacht, dass wir einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn für notwendig halten, aber so ist Frau von der Leyen. Die hört und sagt nur das, was ihr gerade in den Kram passt. Aber das reicht nicht aus, um tatsächlich zu einer Lösung zu kommen”.


09.01.2011
Das immer wieder von CDU, CSU und FDP als alleiniges Gegenargument einer bedarfdeckenden Regelsatzerhöhung bei Hartz IV ins Feld geführte Lohnabstandsgebot gibt es im SGB II gar nicht. 
Anders als bei Sozialhilfe und Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, wo § 28 Abs 4 SGB XII ein sog. Lohnabstandsgebot beinhaltet, fehlt es bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende im SGB II an einer solchen Abstandsregelung. Vielmehr soll der Regelsatz des SGB II, anders als im SGB XII, sowohl die physische Existenz, als auch die gesellschaftliche Teilhabe sichern.
Damit unterliegt nicht nur die derzeitige ALG II-Regelsatzberechnung einem grundlegenden Verfahrensfehler, denn die Berechnung erfolgt nachweislich anhand der Vorgaben des § 28 Abs 4 SGB XII, sondern auch das einzige Gegenargument, mit welchem Union und FDP eine stärkere Erhöhung des Hartz IV-Regelsatzes verweigern, ist tatsächlich komplett erfunden. (fm)
 

Jetzt Hartz IV Regelsatz-Klage einreichen

10.02.2011

Nach den gescheiterten Verhandlungen über die Ausgestaltung der sogenannten Hartz IV-Reformen der Bundesregierung, rufen Erwerbslosen-Gruppen zum massenhaften Einreichen von Klagen auf. Die Verhandlungen um die Hartz IV Reformen sind gescheitert. Opposition und Bundesregierung konnten sich in keinem Punkt einigen. 

Die Bundesregierung will dennoch die Gesetzesentwürfe dem Bundesrat zur Abstimmung vorlegen. Man hofft auf Abweichler einiger Ländervertretungen. Denn mit nur mit einer Stimme wurde der Entwurf im Bundesrat seinerzeit abgelehnt. Danach wurde eine Verhandlungsgruppe aus Regierung und Opposition gegründet, deren Kompromissfindung wie bekannt scheiterte.

Erst Antrag, dann Widerspuch und dann Klage
Das Erwerbslosen Forum Deutschland (ELO) ruft nun dazu auf, massenhaft höhere Hartz IV Regelsätze zu beantragen und für Kinder zusätzlich Gelder für Bildung und kulturelle Teilhabe einzuklagen. „Betroffene sollten nun höhere Regelsätze einklagen. Und da wird es um ein vielfaches von fünf Euro gehen,“, sagte Martin Behrsing, Sprecher der Initiative.

Dem Bitten der Oppositions-Verhandlungsführerin Manuela Schwesig (SPD), die Bundesregierung möge doch wenigstens die „5-Euro-Erhöhung“ einführen, erteilte Behrsing eine Absage. Nach Ansicht des ELO warten die Betroffenen keineswegs nur auf eine Fünf-Euro-Erhöhung. „Damit würde über die Hintertür die Regelsatzerhöhung der Regierungskoalition anerkannt werden. Wir sprechen aber von mindestens 80 Euro mehr, nur für Ernährung. Hinzu kommen dann noch andere Sachen, die bisher nicht gedeckt sind“, so Martin Behrsing weiter.

Landessozialgerichtspräsident erwartet Verfassungsklage
Für das Argument einer Klage sprechen auch die Äußerungen des obersten Richters am Landessozialgericht Hessen, Jürgen Borchert. Dieser sagte gegenüber der Süddeutschen Zeitung, dass die Wahrscheinlichkeit nun groß sei, dass die Sozialgerichte das Bundesverfassungsgericht anrufen werden. "Wenn ein Betroffener sein Existenzminimum einklagt, müsste nach meiner Überzeugung jedes Sozialgericht wegen der Regelbedarfe den Fall dem Bundesverfassungsgericht vorlegen", sagte Borchert der Zeitung. Die Regelungen die nach wie vor bestehen, entsprechen nämlich nicht den Vorgaben des Grundgesetzes. Die obersten Verfassungsrichter könnten diesem „Schwebezustand“ ein Ende bereiten und den Regelsatz per einstweiliger Anordnung festlegen.

Deutlich höhere Regelleistungen bei Urteilsspruch
Sehr wahrscheinlich würde das Bundesverfassungsgericht einen deutlichen höheren Bedarf feststellen, als den von der Bundesregierung bislang berechneten. Dafür spricht die Tatsache, dass der Regelsatz nach politisch motivierten Gesichtspunkten mit Hilfe einer Reihe statistischer Tricks herunter gerechnet wurde. Solche Tricks würde sich das Bundesverfassungsgericht als Hüter des Grundgesetzes nicht einfallen lassen. Zahlreiche unabhängige Gutachten
waren zu dem Ergebnis gekommen, dass die Regelleistungen mindestens zwischen 420 und 480 Euro je Person liegen müssten.

Von daher sollten Betroffene nicht länger warten und „Anträge auf höhere Regelleistungen stellen, um dann in Widerspruch und in Klage zu gehen“, erläuterte Behrsing. Bis zum Wochenende wolle man umfangreiches Material zur Verfügung stellen, damit entsprechende Widersprüche und Klageerhebungen leichter von der Hand gehen. Schon jetzt unterstützt das Erwerbslosen-Forum eine Familie aus Niedersachsen. Die Familie hatte Klage gegen ihren Hartz IV-Bescheid eingereicht, weil die Sozialleistungen nicht ausreichen, um das Existenzminimum, kulturelle Teilhabe und Bildung der Kinder zu sichern.

Auch die Linke hat durch ihren Vorsitzenden Klaus Ernst angekündigt, Betroffene zu unterstützen, die eine Klage einreichen. Bis zum Redaktionsschluss stand allerdings noch nicht fest, ob dieses Bekenntnis rein politischer Natur ist, oder ob die Partei Kläger auch finanziell und juristisch unterstützen will. (sb)