Nach dem Fall der Mauer wurden in Ostberlin zahlreiche leerstehende
Häuser von linken Aktivisten besetzt und zu „alternativen Wohnprojekten“
gestaltet. Oft gibt es in diesen Häusern Lokale, die wöchentlich eine
„Volksküche“ (kurz „VoKü“ genannt) anbieten. Man kann dort gegen eine
bescheidene Spende ein leckeres Essen zu sich nehmen: Teilweise gibt es
für um die 3 Euro veritable 3-Gänge-Menüs – meist vegan (ohne jedes
tierische Produkt – also auch keine Milch) oder zumindest vegetarisch.
Fundamentale Meinungsverschiedenheiten
Der
ideologische Charakter dieser Lokale ist unterschiedlich stark
ausgeprägt. Sie verstehen sich als antifaschistisch, antirassistisch,
antikapitalistisch, antimilitaristisch und antisexistisch. Sie sind
gegen Atomkraft, gegen einen Überwachungsstaat und für ein umfassendes
Asylrecht. Ich bin seit Jahren gern in einigen Lokalen dieser Art zu
Gast gewesen. Daraus, dass ich praktizierender Katholik bin und sich
daraus auch fundamentale Meinungsverschiedenheiten ergeben, habe ich nie
einen Hehl gemacht. Nicht wenige meiner Bekannten aus diesem Milieu
schätzen mich gerade deswegen als Gesprächspartner.
„Wir müssen mal mit dir reden!“
Ein
Lokal, das ich seit etwa 6 Jahren regelmäßig besucht habe – vor allem
zur Volksküchenzeit –, war das Bandito Rosso in der Lottumstraße 10a.
Vorletzten Freitag war ich wieder dort – unmittelbar nach dem
Abendgottesdienst, was mir selbst ein bisschen witzig vorkam. Ich kam
gar nicht dazu, mich zu setzen, denn plötzlich stand ein Vertreter des
Barkollektivs neben mir, der mir – sehr ernst, aber nicht direkt
unfreundlich – mitteilte: „Wir müssen mal mit dir reden.“ „Wir“ waren in
diesem Fall er und eine junge Kollegin. Das Gespräch fand im Nebenraum
statt – im Stehen, aber ich durfte mir vorher noch etwas zu trinken
kaufen.
Ein Kreuz als Stellungnahme
Der Vertreter des
Barkollektivs – also der Verantwortliche für Lokal wie Volksküche –
eröffnete das Gespräch mit dem Hinweis, es sei aufgefallen, dass ich vor
dem Essen bete. „Ist das ein Problem?“, fragte ich. „Nein.“ Dann jedoch
leitete der Wortführer über zu der Bemerkung, er habe mich vor einigen
Monaten am Rande des „Marsches für das Leben“ (er nannte ihn allerdings
den „1.000-Kreuze-Marsch“) gesehen, also der jedes Jahr im September in
Berlin stattfindenden Demonstration einiger tausend Christen für den
Schutz ungeborener Kinder. Offenbar hatte er zu den Gegendemonstranten
gehört und zunächst angenommen, ich zählte auch dazu. Dass ich nun aber
vor dem Essen beten würde, habe ihn dann zweifeln lassen. Daraufhin habe
er sich – man höre und staune! – Videoaufzeichnungen vom „Marsch für
das Leben“ angesehen und mich als Teilnehmer entdeckt, und zwar mit
einem Kreuz in der Hand! Nun wollte er von mir eine Stellungnahme dazu
hören. Ich erwiderte schlicht, meine Teilnahme sei als „Stellungnahme“
doch wohl eindeutig genug gewesen.
Ist der, der für den Lebensschutz eintritt, rechtsextrem?
Da
war der Ofen dann aus. Ob mir denn nicht bewusst sei, dass im Lokal
Bandito Rosso massiv gegen den „Marsch für das Leben“ mobilisiert worden
sei. Doch, doch, erwiderte ich, das sei mir sehr wohl aufgefallen, ich
hätte es aber toleriert. Die in meinen Worten enthaltene Andeutung, ich
hätte mir umgekehrt eine ähnliche Toleranz gewünscht, stieß aber auf
keinerlei Gegenliebe. Stattdessen hieß es: Man könne ja mancherlei
tolerieren, nicht aber die Teilnahme an einer derart
anti-emanzipatorischen, frauen- und schwulenfeindlichen,
fundamentalistischen Veranstaltung, die im Übrigen auch rechtsextreme
Züge trage. Das Bandito Rosso sei schließlich ein linker, emanzipativer
Freiraum, ein Schutzraum geradezu gegen solche Zumutungen, wie ich sie
verkörpere. Die junge Dame vom Barkollektiv sekundierte, sie würde es
als persönliche Beleidigung auffassen, einen Frauenfeind (wie mich)
bedienen zu müssen. Vor Empörung bebend teilte mir der Wortführer mit,
ich solle jetzt gehen und nicht wiederkommen. Mein Getränk dürfe ich mit
rausnehmen, nicht aber an Ort und Stelle austrinken. Ich verzichtete
auf weitere Auseinandersetzungen und ging.
Aber fassen wir mal zusammen:
- • Die Tatsache, dass ein Gast in einem „alternativen“ Lokal vor dem Essen betet, macht ihn verdächtig.
- • Dieselben Leute, die auf den „Überwachungsstaat“ schimpfen, werten Videoaufzeichnungen aus, um ihre Gäste einer Gesinnungskontrolle zu unterziehen.
- • Der Einsatz für das Lebensrecht schwacher und wehrloser Menschen – seien sie ungeboren, behindert, chronisch krank oder alt oder hinfällig – wird als „anti-emanzipatorisch“, „frauen- und schwulenfeindlich“, „fundamentalistisch“ und in letzter Konsequenz als rechtsextrem eingestuft.
- • Eine inhaltliche Auseinandersetzung über diese Einschätzung ist nicht erwünscht.
Enorm emanzipatorisch und progressiv, meine lieben Freunde!
idea.de
....
Hier der ganze Artikel
...
2 Kommentare:
Nett, dass mein Artikel - in der gekürzten Fassung des "IdeaSpektrums" - hier ge-"rebloggt" wird. Hier ein Link zur ungekürzten Fassung:
http://mightymightykingbear.blogspot.de/2013/02/ich-bin-die-rosa-parks-des-katholizismus.html
Grüße
KingBear
Aber gerne doch. So etwas muss man einfach verbreiten!
Und danke für den Link!
LG Jani
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