Anfang Februar ließen Regierungsstellen ein Gutachten an die Presse
durchsickern, das staatliche Ausgaben für Familien im Umfang von 200
Milliarden Euro als weitgehend wirkungslos, ineffizient oder
kontraproduktiv bezeichnet.
Das Gutachten war vom Familien- und
vom Finanzministerium in Auftrag gegeben worden. Wie in solchen Fällen
üblich, distanzierten sich beide umgehend davon. Das Gutachten, das
einer Gesamtevaluation aller 156 familienbezogenen Leistungen dienen
solle, sei noch nicht fertig, verlautete aus dem Familienministerium von
Kristina Schröder (CDU), und es sei nicht sicher, ob es noch in dieser
Legislaturperiode veröffentlicht werde.
Tatsächlich wurde die
Studie an die Presse weitergegeben, um rechtzeitig vor der
Bundestagswahl im September eine Diskussion über die Kürzung von
Leistungen anzustoßen, von denen Millionen Familien abhängig sind, und
um die Reaktion darauf zu testen. Den Hartz-Reformen der Regierung
Schröder, die viele Familien dauerhaft in Armut stießen, waren ähnliche
Debatten vorausgegangen.
Zu den Familienleistungen des Staates,
die in dem Gutachten angeprangert werden, gehören das Kindergeld, die
beitragsfreie Mitversicherung von Familienmitgliedern in der
Krankenkasse, das Elterngeld, die Witwen- und Waisenrente,
Rentenleistungen für die Kindererziehung, Wohnraum- und
Bildungsförderung und die steuerliche Begünstigung von Ehepartnern, das
sogenannte Ehegattensplitting.
Als Kriterium für die Wirksamkeit
oder Unwirksamkeit der einzelnen Leistungen dient den Gutachtern nicht
das Wohlergehen der Betroffenen – der Kinder, Familien und Rentner –,
sondern ihre Auswirkung auf die Geburtenrate und ihr
volkswirtschaftlicher Nutzen. Die Leistungen werden nach rein
ökonomischen und nicht nach humanen Kriterien beurteilt.
Schon
die angegebene Zahl von 200 Milliarden an Familienausgaben ist stark
übertrieben. 50 Prozent dessen, was da ausgegeben wird, zahlen die
Familien über Steuern und Sozialbeiträge selber, wie vor Jahren die
damalige Familienministerin Ursula von der Leyen zugeben musste.
Hauptzielscheibe des Gutachtens ist das Kindergeld,
das mit jährlich 40 Milliarden Euro den größten Anteil an den
familienpolitischen Ausgaben ausmacht. Das Kindergeld ist eine der
wenigen staatlichen Leistungen, die ohne Vorbedingung in gleicher Höhe
an alle ausbezahlt werden. Für das erste und das zweite Kind erhalten
die Erziehungsberechtigten jeweils 184 Euro im Monat, für das dritte
Kind 190 Euro und für das vierte und jedes weitere Kind 215 Euro.
Lediglich
Familien mit hohem Einkommen können über einen Kinderfreibetrag eine
höhere Summe von der Steuer abziehen, während den ganz armen, von
Sozialleistungen lebenden Familien das Kindergeld mit den anderen
Sozialleistungen verrechnet wird.
Vor diesem Hintergrund ist es
geradezu zynisch, wenn das Gutachten das Kindergeld als „wenig effektiv“
bezeichnet, weil es weder die Geburtenrate erheblich beeinflusse noch
Kinderarmut verhindere. Da ausgerechnet die ärmsten, von
Sozialleistungen abhängigen Familien kein volles Kindergeld bekommen,
kann es die Kinderarmut nicht verhindern.
Die beitragsfreie Mitversicherung
von Ehepartnern und Kindern bei den gesetzlichen Krankenkassen
bezeichnen die Gutachter als „besonders unwirksam“. Gerade von dieser
Leistung profitieren ärmere und Durchschnittsfamilien ganz besonders,
insbesondere wenn sie mehr als ein oder zwei Kinder haben und sich ein
Ehepartner entschlossen hat, wenig oder gar nicht berufstätig zu sein.
Vor
allem Arbeiterfamilien profitieren von dieser Leistung, während
Wohlhabende in der Regel privat versichert sind. Dass dem Staat dadurch
27 Milliarden Euro und allein für die Ehepartner elf Milliarden Euro
entgehen, ist für die Gutachter nicht hinnehmbar. Verheiratete Frauen
würden so davon abgehalten, eine sozialversicherungspflichtige Arbeit
aufzunehmen, und bezahlten daher auch keine Steuern und
Sozialversicherungsbeiträge.
Das Gutachten vermischt die
Leistungen, von denen vor allem ärmere Familien abhängig sind, mit
Steuervergünstigungen, die vorwiegend Familien oder Paaren mit hohem
Einkommen zugute kommen, sowie mit Leistungen, die – wie auch das erst
kürzlich von der CSU durchgesetzte Betreuungsgeld – das Ergebnis eines
sehr konservativen kirchenpolitischen Familienbilds sind. Auf diese
Weise versuchen sie, den Klassencharakter ihres Angriffs auf die
Familienleistungen zu vertuschen.
So stuft das Gutachten das Ehegattensplitting, das den Staat jährlich rund 20 Milliarden Euro kostet, als „ziemlich unwirksam“ ein. Von diesem Steuervorteil profitieren vor allem
wohlhabende Ehepaare, in denen der eine Partner deutlich mehr verdient
und der andere nicht oder nur wenig arbeitet. Die Einkommen des Paares
werden addiert, dann halbiert und besteuert, was dem Mehrverdiener einen
geringeren Steuersatz beschert.
Dass Kinder in diesem
Steuermodell keine Rolle spielen und nicht verheiratete Paare außen vor
bleiben, ist ein Beispiel für die soziale Ungleichheit im Steuerrecht.
Zudem gibt es kaum noch Arbeiterfamilien, bei denen die Ehefrau nicht
mitarbeiten muss, um den Lebensunterhalt zu sichern. Da ein Minijob
dafür meist auch nicht mehr ausreicht, tendiert für sie der
Steuervorteil gegen Null.
Auch das von der Großen Koalition eingeführte Elterngeld,
das Müttern und Vätern bis zu vierzehn Monate lang nach der Geburt
eines Kindes gewährt wird, wenn sie während dieser Zeit nicht arbeiten,
kommt vor allem Besserverdienenden zugute. Es trat 2007 an die Stelle
des 300 Euro im Monat betragenden Erziehungsgeldes, das vorwiegend
einkommensschwachen Familien half und 24 Monate lang gezahlt wurde. Die
Höhe des Elterngelds bemisst sich dagegen nach dem letzten Einkommen.
Hartz-IV-Empfänger haben überhaupt kein Anrecht darauf. Es dient also
eher der sozialen Auslese als der Familienförderung.
Das
Gutachten gelangt zum Schluss, das Elterngeld habe nicht zur erhofften
Steigerung der Geburtenrate geführt. Da seine Höhe vom vorherigen
Einkommen abhänge, schöben Eltern den Zeitpunkt der Geburt des ersten
Kindes hinaus, bis sie ein gutes Einkommen hätten.
Die
gegenwärtige Familienpolitik ist alles andere als gut. Sie ermöglicht
der großen Mehrheit der Familien mit Kindern kein sorgenfreies Leben.
Die jährlichen Armutsberichte weisen nach, dass Millionen Kinder und
ihre Familien in Armut leben. Viele Frauen gingen gerne einer
Erwerbsarbeit nach, finden aber weder eine vernünftige Betreuung für
ihre Kinder noch einen anständig bezahlten Arbeitsplatz. Kinder aus
ärmeren Familien haben im selektiven deutschen Schulsystem kaum
Bildungschancen.
Aber weder der Regierung noch der Opposition
geht es darum, hier Abhilfe zu schaffen. Vor allem die
Oppositionsparteien SPD, Grüne und Die Linke haben sich auf das
Gutachten gestürzt, um eine massive Umstrukturierung der Familienpolitik
zu fordern. Sie halten es für notwendig, die verschiedenartigen
staatlichen Leistungen zusammenzufassen und auf eine „neue Grundlage“ zu
stellen.
So fordert der Kanzlerkandidat der SPD, Peer Steinbrück, auf Spiegel online
„eine Umstellung der Familienpolitik“. In Zukunft könne es nicht darum
gehen, „an einzelnen Instrumenten herumzustricken“, meint er.
Offensichtlich schwebt ihm etwas vor wie die sogenannten
„Arbeitsmarktreformen“ der Regierung Schröder, durch die viele Familien
dauerhaft in Armut gestoßen wurden.
Das Gutachten zielt darauf
ab, die Familienleistungen nach dem Muster der Hartz-Reformen neu zu
strukturieren. Auch diesen „Reformen“, die einen gewaltigen
Niedriglohnsektor hervorbrachten und die soziale Ungleichheit
verschärften, war eine Kampagne vorausgegangen, die die bisherigen
staatlichen Leistungen – Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und
Sozialhilfe – als „ineffektiv“ bezeichnete.
Jetzt dient die
angeblich „ineffektive“ Familienpolitik als Vorwand, um Familien von
Arbeitslosen und Arbeitern soziale Leistungen zu streichen.
Mütter
aus armen Familien, für die sich die Aufnahme einer Arbeit wegen der
schlechten Bezahlung bisher nicht lohnte, sollen in einen Niedriglohnjob
gezwungen werden, während die Kinder sich selbst überlassen oder in
eine personell und finanziell ungenügend ausgestattete Betreuung
gesteckt werden.
In dem Gutachten schneiden Investitionen in
Betreuungsplätze in Kindertagesstätten, Krippen und Tagesmütter am
besten ab. Begründet wird dies damit, dass dem Staat Steuern und
Einnahmen für die Sozialversicherung entgehen, wenn Mütter nicht
arbeiten. Von staatlichen Ausgaben für Kinderbetreuung flössen dagegen
bis zu 48 Prozent an den Staat zurück. Bei Ganztagsschulen finanziere
sich der Aufwand des Staates sogar zu 66 bis 69 Prozent selbst.
Auf
diese ökonomischen Argumente stützt sich die Spitzenkandidatin der
Grünen, Katrin Göring-Eckardt, die der Regierung Merkel vorwirft, sie
sei „in der Familienpolitik komplett auf dem falschen Dampfer
unterwegs“. Das Gutachten mache klar, „dass sich jeder Cent für
Kita-Plätze und Ganztagsschulen für die Familien und die Gesellschaft
insgesamt auszahlt“.
Eine Analyse der Kindergelderhöhung aus dem
Jahr 1996 habe gezeigt, dass Frauen in der Folgezeit weniger gearbeitet
hätten, was sich auf ihren Berufsweg und ihr späteres Einkommen
ausgewirkt habe, fuhr Göring-Eckardt fort. Dadurch seien dem Staat
Steuereinnahmen sowie Einnahmen für die Sozialversicherung entgangen.
Ähnlich argumentiert Katja Kipping von der Linkspartei.
Das
Gutachten und die durch seine Weitergabe an die Presse ausgelöste
Diskussion dienen dazu, umfangreiche Kürzungsmaßnahmen bei den
Sozialausgaben für arme und Arbeiterfamilien nach der Bundestagswahl
vorzubereiten. Wie schon bei den Hartz-Gesetzen erweisen sich dabei SPD
und Grüne als eifrigste Befürworter einer solchen „Reform“ – wobei sie
diesmal auch die Unterstützung der Linkspartei haben.
Die
niedrige Geburtenrate, über die das Gutachten so zynisch klagt, wird
dadurch weiter sinken. Sie ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass
viele junge Menschen nur schlecht bezahlte und befristete Arbeitsplätze
finden und nicht wissen, wie ihre Zukunft aussieht. Andere müssen so
hart arbeiten, um ihren Job zu behalten, dass sie lieber auf Kinder
verzichten, weil sie befürchten, sich nicht ausreichend um sie kümmern
zu können.
wsws.org
llll
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