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Montag, 3. Juni 2013

Gottlob Frege-Konferenz in Wismar

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Gottlob Frege war eine Gründerfigur der modernen Logik und philosophischen Sprachanalyse. Vor vielen Jahren habe ich mich durch seinen Klassiker Funktion, Begriff, Bedeutung gequält. In Wismar, seiner Geburtsstadt, fand jetzt eine internationale Tagung zu seinem Werk statt. Der heute besonders in den Sozial- und Literaturwissenschaften (und in der Theologie) verbreitete Konstruktivmus wäre Frege ein Gräuel gewesen.

Wolfgang hat für die FAZ die Referate des Kongresses zusammengefasst:
Für Frege bestand die Logik aus den ewig gültigen Regeln des richtigen Denkens und Schließens. Entschieden wandte er sich gegen die „Psychologisten“, für die Gesetze der Logik nur in der Natur des menschlichen Denkens wurzeln. Danach wäre Logik nicht mehr als ein nützlicher kognitiver Mechanismus, der wahr und falsch zu unterscheiden hilft, aber Gültigkeit nur im Rahmen der menschlichen Psyche und ihrer Wahrnehmung der Welt besitzt. Für die Psychologisten sind Wesen denkbar, die einer ganz anderen Logik folgen.

David Zapero (Paris) machte deutlich, dass für Frege diese Vorstellung nicht einmal falsch, sondern buchstäblich sinnlos war, weil sich eine „Logik“ ohne die Gesetze der Identität und Widerspruchsfreiheit gar nicht ernsthaft denken ließe. In einer Zeit, in der ein Glaube an eine positivistische Einheitswissenschaft blühte, wandte Frege sich dagegen, die Logik in die Naturwissenschaften einzugemeinden. Für ihn existierten logische Wahrheiten in einem eigenen rationalistischen „Reich“, angesiedelt zwischen bloß subjektiven Vorstellungen einerseits und der physischen Welt andererseits. Den Bogen in die Aktualität schlug Zapero nicht, aber man darf annehmen, dass Frege der heutige Konstruktivismus mit seinem neurobiologisch begründeten Wahrheits-Relativismus zutiefst suspekt gewesen wäre.


Theo-Blog
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Welchen Gott haben wir getötet

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Ich habe eine Frage an die Nietzsche-Experten. Nietzsche beeindruckt mich immer wieder neu durch seine rigorose Aufrichtigkeit. In seiner Darstellung des Gottesmordes fasst er sprachmächtig das Verschwinden Gottes am Ende der Neuzeit zusammen (Die fröhliche Wissenschaft, KSA, Bd. 3, 1999, S. 480–482). Der Abschnitt geht unter die Haut, lässt doch erst die „Größe“ des Gottesmordes den Menschen groß werden. Hier:
„Der tolle Mensch. – Habt ihr nicht von jenem tollen Menschen gehört, der am hellen Vormittage eine Laterne anzündete, auf den Markt lief und unaufhörlich schrie: ‚Ich suche Gott! Ich suche Gott!‘ – Da dort gerade viele von denen zusammenstanden, welche nicht an Gott glaubten, so erregte er ein großes Gelächter. Ist er denn verlorengegangen? sagte der eine. Hat er sich verlaufen wie ein Kind? sagte der andere. Oder hält er sich versteckt? Fürchtet erch vor uns? Ist er zu Schiff gegangen? ausgewandert? – so schrien und lachten sie durcheinander. Der tolle Mensch sprang mitten unter sie und durchbohrte sie mit seinen Blicken. ‚Wohin ist Gott?‘ rief er, ‚ich will es euch sagen! Wir haben ihn getötet – ihr und ich! Wir alle sind seine Mörder! Aber wie haben wir dies gemacht? Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was taten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Gibt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht? Müssen nicht Laternen am Vormittage angezündet werden? Hören wir noch nichts von dem Lärm der Totengräber, welche Gott begraben? Riechen wir noch nichts von der göttlichen Verwesung? – auch Götter verwesen! Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder? Das Heiligste und Mächtigste, was die Welt bisher besaß, es ist unter unsern Messern verblutet – wer wischt dies Blut von uns ab? Mit welchem Wasser könnten wir uns reinigen? Welche Sühnefeiern, welche heiligen Spiele werden wir erfinden müssen? Ist nicht die Größe dieser Tat zu groß für uns? Müssen wir nicht selber zu Göttern werden, um nur ihrer würdig zu erscheinen? Es gab nie eine größere Tat – und wer nur immer nach uns geboren wird, gehört um dieser Tat willen in eine höhere Geschichte, als alle Geschichte bisher war!‘– Hier schwieg der tolle Mensch und sah wieder seine Zuhörer an: auch sie schwiegen und blickten befremdet auf ihn. Endlich warf er seine Laterne auf den Boden, daß sie in Stücke sprang und erlosch. ‚Ich komme zu früh‘, sagte er dann, ‚ich bin noch nicht an der Zeit. Dies ungeheure Ereignis ist noch unterwegs und wandert – es ist noch nicht bis zu den Ohren der Menschen gedrungen. Blitz und Donner brauchen Zeit, das Licht der Gestirne braucht Zeit, Taten brauchen Zeit, auch nachdem sie getan sind, um gesehn und gehört zu werden. Diese Tat ist ihnen immer noch ferner als die fernsten Gestirne – und doch haben sie dieselbe getan!‘ – Man erzählt noch, daß der tolle Mensch desselbigen Tages in verschiedene Kirchen eingedrungen sei und darin sein Requiem aeternam deo angestimmt habe. Hinausgeführt und zur Rede gesetzt, habe er immer nur dies entgegnet: ‚Was sind denn diese Kirchen noch, wenn sie nicht die Grüfte und Grabmäler Gottes sind?‘“
Ernst Benz ist nun der Auffassung, dass dieser Gedanke nur im Zusammenhang mit Feuerbachs „Projektionshypothese“ zu verstehen sei. Nietzsches Satz vom Tode Gottes „setzt voraus, daß Gott selbst nur als eine mythische Setzung des menschlichen Bewusstseins verstanden wird, deren irrealen Charakter der Mensch inzwischen selbst erkannt hat” (Nietzsches Idee zu Geschichte des Christentums und der Kirche, 1956, S. 168). Kurz: Der Gott, den wir ermordet haben, ist der Gott, den wir zuvor nach unserem eigenen Bilde geschaffen haben.

Ich habe diese These von Benz bei Wolfhart Pannenberg gefunden (Grundfragen systematischer Theologie, 1967, S. 353f). Pannenberg selbst schließt sich ihr an. Ich halte sie auch für plausibel. Meine Frage lautet: Ist diese Interpretationen heute geläufig (also com­mu­nis opi­nio)?

Theo-Blog

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