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Freitag, 7. Juni 2013

Enttäuschte der Papst die Protestanten?

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Cicero - die Meldung wurde am 24. September 2011 eingestellt


Die Erwartungen der Evangelischen an den Papst waren hoch. Doch dieser erfüllte die Hoffnungen zum großen Teil nicht.  Auf den Kirchenfenstern im Augustinerkloster sind Maria und der Heilige Martin zu sehen. Sie haben schon auf Martin Luther heruntergeschaut, der hier vor dem Altar kniete und betete, als er noch Mönch war. 

An diesem Freitag, 500 Jahre später, schauen Maria und der Heilige Martin auf den Papst hinunter. Für Luther war der Papst der „Antichrist“. Jetzt steht Benedikt XVI. hier am Altar und feiert zusammen mit Luthers Nachkommen eine Andacht. Zuvor haben der Papst und eine Delegation der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) eine halbe Stunde lang miteinander gesprochen, auf ausdrücklichen Wunsch des Papstes wurde der Begegnung mehr Zeit im Reiseprogramm eingeräumt.  Benedikt würdigte den Mönch Luther als tiefgläubigen Menschen. Doch dann, bei der gemeinsamen Andacht, erteilte er den Evangelischen eine Ohrfeige.  Was hat der Papst gesagt?  Benedikt XVI. ist fast zu Ende mit seiner Rede, da spricht er das „ökumenische Gastgeschenk“ an, das „verschiedentlich“ von seinem Besuch erwartet worden sei. Er spielt damit auf die Hoffnung von evangelischer Seite an, er werde Anstöße geben, wie es in strittigen Fragen der Ökumene weitergehen könne, etwa in der Frage eines gemeinsamen Abendmahls. Ein solches Gastgeschenk zu erwarten, sei ein „politisches Missverständnis des Glaubens und der Ökumene“, sagt der Papst. Schließlich sei er nicht als Staatsoberhaupt gekommen, es gehe im Verhältnis von evangelischer und katholischer Kirche auch nicht um Verträge, wie sie zwischen Staaten ausgehandelt würden. „Der Glaube der Christen beruht nicht auf einer Abwägung unserer Vor- und Nachteile“, sagt Benedikt. „Ein selbst gemachter Glaube ist wertlos. Nicht durch Abwägung von Vor- und Nachteilen, sondern nur durch ein tieferes Hineindenken und Hineinleben in den Glauben wächst die Einheit.“ Damit macht er deutlich: Mit ihm als Papst wird es in naher Zukunft keine konkreten Fortschritte in der Ökumene geben.

Dabei hatte der Vormittag hoffnungsvoll begonnen. Bei dem Treffen im Kapitelsaal sagte der Papst, dass es ihn „immer neu trifft“, wie sehr Martin Luther die Frage nach einem gnädigen Gott umgetrieben habe. Diese Frage treibe auch ihn um. Zur Freude der Protestanten erinnerte Benedikt auch an die „großen ökumenischen Fortschritte der letzten Jahrzehnte“. Diese Gemeinsamkeiten dürften nicht verloren werden.Die beiden Kirchen hätten auch viele gemeinsame Aufgaben in der Welt, etwa in der Entwicklungs- und Sozialpolitik, beim Schutz des menschlichen Lebens, beim Kampf gegen die Säkularisierung. Darüber hinaus könnten Fortschritte in der Ökumene aber nur gelingen, wenn man sich gegenseitig helfe, „tiefer und lebendiger zu glauben“.


Wie haben die Vertreter der evangelischen Kirche reagiert?
Auch Nikolaus Schneider, EKD-Ratspräsident, und Katrin Göring-Eckardt, Präses der EKD-Synode, betonten die gewachsenen Gemeinsamkeiten zwischen den Kirchen. Sie sprachen, vorsichtig und freundschaftlich, auch von ihrer Hoffnung und Sehnsucht nach weiteren Annäherungen. In den vergangenen Jahren hatte die evangelische Seite gern den Begriff „Ökumene der Profile“ benutzt, um die Unterschiedlichkeit der Konfessionen auszudrücken. Schneider schlug am Freitag einen anderen Ton an und sprach von der „Ökumene der Gaben“, in der sich die unterschiedlichen „Charismen“ der beiden Kirchen „ergänzen und einander erhellen“. Er warb dafür, in Luther ein „Scharnier“ zwischen beiden Religionen zu sehen. Göring-Eckardt begrüßte den „lieben Bruder Papst Benedikt“ und beschrieb Luther als Suchenden, der aufgebrochen ist, weil er „Macht ohne Liebe, Glaube ohne Freiheit, Angst ohne Ausweg“ hinter sich lassen wollte. Er habe eine Freiheit gefunden, die in Gott wurzelt und auch dem Papst nicht fremd sein könne. Sie sei zuversichtlich, dass die beiden Kirchen „zum richtigen Zeitpunkt“ gemeinsam und füreinander den Tisch decken werden, sagte Göring-Eckardt in Anspielung auf ein gemeinsames Abendmahl, das heute noch nicht möglich ist.

Die schroffe Rede des Papstes über das „ökumenische Gastgeschenk“ kam bei Vertretern der evangelischen Kirche als „Ohrfeige“ an, auch wenn das keiner offiziell so sagen wollte. Man habe „sehr ernsthaft, tief und geschwisterlich miteinander gesprochen“, sagte Nikolaus Schneider hinterher. „Aber wichtige Fragen bleiben ungeklärt.“ Nach Jahrhunderten erbitterter Feindschaft stehe die „freundschaftliche Ökumene“ eben erst am Anfang. Deutlicher wurde der Berliner Bischof Markus Dröge: Der Papst habe keine weiterführende Perspektive aufgezeigt, sagte er der Katholischen Nachrichtenagentur. Zugleich habe ihn die Äußerung vom politischen Missverständnis im Zusammenhang mit der Ökumene „irritiert“. Politische Kompromisse seien einseitig negativ ausgelegt worden. Es gehe in der Ökumene aber um ein gemeinsames theologisches Ringen.


Was hat das Verhältnis zwischen evangelischer und katholischer Kirche in den vergangenen Jahren geprägt?
Auf dem II. Vatikanischen Konzil in den 1960er Jahren hat die katholische Kirche beschlossen, nach der Einheit mit der evangelischen Kirche zu suchen. Das war der Durchbruch. 1980 gab Johannes Paul II. bei seinem ersten Deutschlandbesuch den Anstoß, das Gespräch weiter zu vertiefen. 1999 veröffentlichten die beiden Kirchen eine gemeinsame Rechtfertigungslehre, in der sie bekräftigten, dass dem Menschen Heil allein aus Gottes Gnade zuteil wird, unabhängig davon, was er auf Erden erreicht hat. Doch dann veröffentlichte die römische Glaubenskongregation unter Vorsitz von Joseph Ratzinger das Dokument „Dominus Jesus“, in dem der evangelischen Kirche abgesprochen wird, Kirche im vollen Sinn zu sein. In der Folge kühlte sich das ökumenische Klima ab.

Zu den konfessionellen Unterschieden gehört unter anderem, dass die Protestanten den Papst nicht als Stellvertreter Christi anerkennen, ein anderes Amtsverständnis haben und dem Abendmahl eine andere Bedeutung beimessen, als es die Katholiken tun.


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Mittwoch, 27. März 2013

Grüne? Nein Danke!

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Der grüne Ekel vor bildungsfernen Discount-Deutschen

 
 
Für die Grünen bedeutet Politik vor allem Umerziehung. Und dafür soll ich sie auch noch wählen? Alexander Marguier erklärt, warum er auf keinen Fall die Grünen wählt


Seit anderthalb Jahren gehört auch die Abschaffung der Plastiktüte offiziell zu den politischen Zielen der Grünen. Auf ihrem Kieler Parteitag im November 2011 beschlossen die Delegierten, „Tüten auf Basis von fossilen Rohstoffen“ müssten „in Deutschland und europaweit aus dem Verkehr gezogen werden“. Welch ein Fanal! Endlich wieder Hoffnung für unsere geschundene Mutter Erde! Weil aber selbst die Naivsten unter den Grünen kaum daran glauben dürften, mit diesem Vorstoß irgendetwas auch nur halbwegs Sinnvolles für den Umweltschutz erreicht zu haben, sollte man ihn tunlichst dort verorten, wo er hingehört. Und zwar in der Kategorie „Symbolpolitik“.

Im demokratischen Wettbewerb jedoch sind politische Symbole, und mögen sie noch so weltfremd sein, keineswegs läppische Schaufensterauslagen, die zum Ergötzen der Laufkundschaft hinter Glas platziert werden und dort nach ein paar Wochen in Ruhe Staub ansetzen dürfen. Sie stehen vielmehr für die Wesensmerkmale einer Partei wie Sakramente in der Kirche. Womit wir auch schon bei einer Eigenschaft wären, die den Charakter der Grünen seit ihrer Entstehung Ende der siebziger Jahre prägt wie keine andere: der quasi religiöse Absolutheitsanspruch, das Selbstverständnis einer manichäischen Bewegung zum Ziele der Verbesserung des Menschen an sich. Die Plastiktüte ist ein schönes Beispiel dafür, denn natürlich handelt das propagierte Aus-dem-Verkehr-Ziehen nicht von ihr, sondern von jenen verlorenen Seelen, die solche Tüten benutzen. Und zwar wohlgemerkt in ganz Europa, nicht etwa nur in Deutschland.

Plastiktüten mögen eine ökologisch unschöne Hervorbringung der Wegwerfgesellschaft sein, aber das sind andere Dinge, die ebenfalls „auf Basis von fossilen Rohstoffen“ produziert werden, auch: Weinflaschen beispielsweise, Fruchtjoghurt- oder Bio-Kefir-Becher. Von entsprechenden Verbotsanträgen ist mir bisher allerdings nichts bekannt. Nein, die Plastiktüte soll es treffen, besser gesagt: die Plastiktütenträger. Diese Spezies ist gewöhnlich nicht auf den Wochenmärkten in den bürgerlichen Stadtvierteln anzutreffen oder im Manufactum-Shop. Sondern bei Aldi, Penny und Lidl. Überall dort also, wo Leute einkaufen, die nicht unbedingt zu den Privilegierten in diesem Land gehören. Die Grünen sagen „Plastiktüte“ (oder auch „Einwegdose“) und meinen in Wahrheit: Unterschicht. Es geht ihnen im Kern nämlich nicht um die Umwelt, sondern um kulturelle Hegemonie. So manifestiert sich der grüne Ekel vor den bildungsfernen Discount-Deutschen auch in einer ästhetischen Rigorosität gegenüber Tüten.
 
 
Diese Haltung steht nur in scheinbarem Widerspruch zum linken Selbstverständnis der Grünen. Denn die „kleinen Leute“ spielen im Weltbild des saturierten Öko-Bürgertums weniger eine Rolle als ernst zu nehmende Individuen, sondern vielmehr als willfährige Empfänger öffentlicher Subsidien. Mit dem großzügigen Verteilen von Staatsknete lässt sich das eigene soziale Gewissen eben immer noch am einfachsten beruhigen. In einer ähnlichen Mischung aus Selbstgefälligkeit und Ignoranz jagen die Grünen übrigens unbeirrt von allen Problemen weiterhin ihren Multikulti-Träumen hinterher. Aber während im Justemilieu einer urbanen Bio-Boheme die Vorzüge ethnischer Vielfalt besungen werden, dürfen die Bewohner der weniger bevorzugten Stadtteile die Folgen gescheiterter Integration aushalten. Und wem das nicht passt (oder wer es auch nur wagt, am herrlichen Migrationsmythos zu zweifeln), der bekommt schnell die härteste Waffe der Grünen zu spüren: ihre stets überlegene Moral in Form der Rassismus-Keule.
 
Politik, das ist für die Grünen vor allem ein groß angelegtes Umerziehungsprogramm (was auch kein Wunder ist für eine Partei, deren Klientel überwiegend aus Lehrern und höheren Beamten besteht). Da ermahnt etwa der nordrhein-westfälische Umweltminister Johannes Remmel sein gefräßiges Volk, nur einmal pro Woche Fleisch zu essen, während seine grüne Ministerkollegin Barbara Steffens ein landesweites Verbot von Raucher-Clubs durchsetzt. Und stets droht die grüne Tugendhaftigkeit, ins Persönlich-Diffamierende zu kippen: Als etwa der CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Fuchs im Zuge der Energiewende nicht von seinem Pro-Atom-Kurs lassen wollte, marschierten regelmäßig grüne Demonstranten bei ihm auf – vor seinem Privathaus, wohlgemerkt. So viel zur frommen Legende, die Grünen seien eine liberale Partei.
 
Sind wirklich alle Grünen so schlimm? Selbstverständlich nicht. Wie in jeder anderen Partei finden sich auch bei ihnen kluge, tolerante, nachdenkliche, sympathische und verantwortungsbewusste Männer und Frauen. Was mich an ihnen stört, sind weder Claudia Roth noch Hans-Christian Ströbele oder der vor Arroganz erstarrte Jürgen Trittin. Sondern die aggressive Dünkelhaftigkeit, mit der sich die Grünen über Andersdenkende erheben. Kann ich mir trotzdem vorstellen, sie zu wählen? Na klar, so weit reicht meine Fantasie schon. Werde ich es auch tun? Ganz sicher nicht.
 
 
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Montag, 10. Oktober 2011

Magazin CICERO im Oktober: Wer zähmt das Raubtier Kapitalismus?

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Promis zur Krise

„Kompromisse mit Märkten gibt es nicht“


von Egon Bahr, Peter Gauweiler und anderen
Wie bedrohlich ist die Finanzkrise für unsere Demokratie? Für die Oktober-Ausgabe fragte das Magazin CICERO 50 Prominente aus Politik, Kultur und Wirtschaft. Lesen Sie im ersten Teil der Umfrage, wie Egon Bahr, Rudolf Dreßler, Peter Gauweiler und andere die Situation einschätzen.
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„Sind Sie der Auffassung, dass die immer noch weitgehend unregulierten Finanzmärkte den Wohlstand und die Demokratie bedrohen? Falls ja, welche konkrete Forderung würden Sie an die Politik stellen, um diese Entwicklung zu stoppen?

Egon Bahr, Bundesminister a. D., SPD
Gier global
Die Gier, Geld zu gewinnen unabhängig von der Produktion, hat von Washington bis Moskau, von Portugal bis Japan, bei Banken, Regierungen und Kommunen zu einer Blase geführt. Als sie platzte, mussten die Staaten mit Unsummen von Geld einspringen. Weil die Gier nicht gestorben ist, entsteht bereits eine neue Blase. Die Folgen eines Platzens könnten die Staaten nicht mehr bezahlen. Die wirtschaftlichen Konsequenzen wären revolutionär. Nur die Politik kann die Katastrophe verhindern, am besten durch globale Regeln, jedenfalls für die USA und die EU, mindestens für Europa, notfalls auch nur für den Euroraum. Selbst der Mindestraum würde Attraktivität entwickeln. Falls das misslingt, wäre das die Abdankung der Politik gegenüber der Herrschaft der Finanzmärkte und ihren Interessen.


Thomas Brussig, Schriftsteller
Politik kann mehr
Eine Finanztransaktionssteuer würde einem Laien wie mir sofort einleuchten. Wenn es gerade die Aussicht auf Marginalgewinne sind, die die Märkte nervös werden lassen und schließlich ins Rutschen bringen, dann wird eine Finanztransaktionssteuer eben diese Art von Marktaktivität dämpfen. Eine Transaktion würde erst getätigt werden, wenn sie mehr Gewinn verspricht, als die Besteuerung zunächst frisst. Die Politik hat die Mittel, um den entfesselten Finanzmärkten einen ruhigeren Pulsschlag zu verordnen.




Rudolf Dreßler, SPD-Politiker
Primat der Politik
Nur gesellschaftspolitische Ignoranten glauben, dass die unregulierten Finanzmärkte Demokratie und Wohlstand nicht bedrohen. Um die „Parallelgesellschaft Finanzmärkte“ zu entmachten, bedarf es der Wiederherstellung des Primats der Politik in vielen Schritten. Unter anderem: einer Finanzmarktregulierung, einer Finanztransaktionssteuer, einer Beteiligung der Banken an bereits entstandenen Kosten, einem Verbot von Leerverkäufen. Ein Verzicht jedweder Art der politischen Entscheidungsträger auf Wiederherstellung des Primats der Politik wird ihre Abhängigkeit von den Finanzmärkten und dem Handling der Ratingagenturen weiter erhöhen.


Peter Gauweiler, CSU-Politiker
Wettverbot
Der Verfassungsrechtler Paul Kirchhof hat nach der großen Bankenkrise geschrieben: 

„Das selbstverantwortete Eigentum ist heute mehr bedroht durch den Shareholder Value als durch den Sozialismus.“ Ich habe eine Reihe von Punkten, deren Umsetzung aus meiner Sicht zur Vermeidung der Fehlentwicklungen, die zur Krise geführt haben, erforderlich sind, bereits bei der letzten Bankenkrise den verantwortlichen Entscheidungsträgern von Union und SPD mitgeteilt. Leider ist hier aufgrund des hartnäckigen Widerstandes aus dem Kreise der Banken und deren vorzüglicher Kontakte in die Ministerien, die für ihre Gesetzentwürfe immer öfter die Anwaltskanzleien der Großbanken beschäftigen, kaum etwas getan worden. Aus meiner Sicht müsste Folgendes getan werden:
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1. Reine Wetten sind Banken zu verbieten. Prüfung der Geschäftstätigkeit der Banken bezüglich der eingegangenen Risiken.
2. Erhöhung der Sorgfaltspflichten der Bankiers/der Versicherungsvorstände (Einlagen der Bankkunden/Prämienzahlungen der Versicherten sind besonders schützenswert).
3. Erhöhung der Haftung der Verantwortlichen.
4. Vergütungssysteme müssen neben Prämien (Boni) für mittelfristig (!) positive Ergebnisse auch Mali für negative Ergebnisse enthalten.
5. Abfindungen sind im Falle schlechter Leistungen zu verbieten.
6. Für jede Art von Verbriefung sind nachprüfbare Standards zu schaffen.
Forderungen an die Rechnungslegungsexperten des International Accounting Standards Board (IASB) bezüglich des International Financial Reporting Standards (IFRS):
7. Vereinfachung der Internationalen Rechnungslegungsstandards (Forderung des Präsidenten der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung).
8. Volle Information über alle Risiken aus off-balance Zweckgesellschaften.
9. Abschaffung der Mark-to-Model Zeitwertbilanzierung.
10. Erfordernis der Objektivierung aller Jahresabschlusszahlen.
Falls diese Forderungen nicht binnen Jahresfrist vom IASB erfüllt werden, sollte das Endorsement durch die European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) verweigert werden.
  

weiterlesen ..... cicero.online
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Samstag, 24. September 2011

Ökumene - Enttäuschte der Papst die Protestanten?

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Die Erwartungen der Evangelischen an den Papst waren hoch. Doch dieser erfüllte die Hoffnungen zum großen Teil nicht.

Auf den Kirchenfenstern im Augustinerkloster sind Maria und der Heilige Martin zu sehen. Sie haben schon auf Martin Luther heruntergeschaut, der hier vor dem Altar kniete und betete, als er noch Mönch war. An diesem Freitag, 500 Jahre später, schauen Maria und der Heilige Martin auf den Papst hinunter. Für Luther war der Papst der „Antichrist“. Jetzt steht Benedikt XVI. hier am Altar und feiert zusammen mit Luthers Nachkommen eine Andacht. Zuvor haben der Papst und eine Delegation der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) eine halbe Stunde lang miteinander gesprochen, auf ausdrücklichen Wunsch des Papstes wurde der Begegnung mehr Zeit im Reiseprogramm eingeräumt.

Benedikt würdigte den Mönch Luther als tiefgläubigen Menschen. Doch dann, bei der gemeinsamen Andacht, erteilte er den Evangelischen eine Ohrfeige.

Was hat der Papst gesagt?
Benedikt XVI. ist fast zu Ende mit seiner Rede, da spricht er das „ökumenische Gastgeschenk“ an, das „verschiedentlich“ von seinem Besuch erwartet worden sei. Er spielt damit auf die Hoffnung von evangelischer Seite an, er werde Anstöße geben, wie es in strittigen Fragen der Ökumene weitergehen könne, etwa in der Frage eines gemeinsamen Abendmahls. Ein solches Gastgeschenk zu erwarten, sei ein „politisches Missverständnis des Glaubens und der Ökumene“, sagt der Papst. Schließlich sei er nicht als Staatsoberhaupt gekommen, es gehe im Verhältnis von evangelischer und katholischer Kirche auch nicht um Verträge, wie sie zwischen Staaten ausgehandelt würden. „Der Glaube der Christen beruht nicht auf einer Abwägung unserer Vor- und Nachteile“, sagt Benedikt. „Ein selbst gemachter Glaube ist wertlos. Nicht durch Abwägung von Vor- und Nachteilen, sondern nur durch ein tieferes Hineindenken und Hineinleben in den Glauben wächst die Einheit.“ Damit macht er deutlich: Mit ihm als Papst wird es in naher Zukunft keine konkreten Fortschritte in der Ökumene geben.

Dabei hatte der Vormittag hoffnungsvoll begonnen. Bei dem Treffen im Kapitelsaal sagte der Papst, dass es ihn „immer neu trifft“, wie sehr Martin Luther die Frage nach einem gnädigen Gott umgetrieben habe. Diese Frage treibe auch ihn um. Zur Freude der Protestanten erinnerte Benedikt auch an die „großen ökumenischen Fortschritte der letzten Jahrzehnte“. Diese Gemeinsamkeiten dürften nicht verloren werden.Die beiden Kirchen hätten auch viele gemeinsame Aufgaben in der Welt, etwa in der Entwicklungs- und Sozialpolitik, beim Schutz des menschlichen Lebens, beim Kampf gegen die Säkularisierung. Darüber hinaus könnten Fortschritte in der Ökumene aber nur gelingen, wenn man sich gegenseitig helfe, „tiefer und lebendiger zu glauben“.

Wie haben die Vertreter der evangelischen Kirche reagiert?
Auch Nikolaus Schneider, EKD-Ratspräsident, und Katrin Göring-Eckardt, Präses der EKD-Synode, betonten die gewachsenen Gemeinsamkeiten zwischen den Kirchen. Sie sprachen, vorsichtig und freundschaftlich, auch von ihrer Hoffnung und Sehnsucht nach weiteren Annäherungen. In den vergangenen Jahren hatte die evangelische Seite gern den Begriff „Ökumene der Profile“ benutzt, um die Unterschiedlichkeit der Konfessionen auszudrücken. Schneider schlug am Freitag einen anderen Ton an und sprach von der „Ökumene der Gaben“, in der sich die unterschiedlichen „Charismen“ der beiden Kirchen „ergänzen und einander erhellen“. Er warb dafür, in Luther ein „Scharnier“ zwischen beiden Religionen zu sehen. Göring-Eckardt begrüßte den „lieben Bruder Papst Benedikt“ und beschrieb Luther als Suchenden, der aufgebrochen ist, weil er „Macht ohne Liebe, Glaube ohne Freiheit, Angst ohne Ausweg“ hinter sich lassen wollte. Er habe eine Freiheit gefunden, die in Gott wurzelt und auch dem Papst nicht fremd sein könne. Sie sei zuversichtlich, dass die beiden Kirchen „zum richtigen Zeitpunkt“ gemeinsam und füreinander den Tisch decken werden, sagte Göring-Eckardt in Anspielung auf ein gemeinsames Abendmahl, das heute noch nicht möglich ist.

Die schroffe Rede des Papstes über das „ökumenische Gastgeschenk“ kam bei Vertretern der evangelischen Kirche als „Ohrfeige“ an, auch wenn das keiner offiziell so sagen wollte. Man habe „sehr ernsthaft, tief und geschwisterlich miteinander gesprochen“, sagte Nikolaus Schneider hinterher. „Aber wichtige Fragen bleiben ungeklärt.“ Nach Jahrhunderten erbitterter Feindschaft stehe die „freundschaftliche Ökumene“ eben erst am Anfang. Deutlicher wurde der Berliner Bischof Markus Dröge: Der Papst habe keine weiterführende Perspektive aufgezeigt, sagte er der Katholischen Nachrichtenagentur. Zugleich habe ihn die Äußerung vom politischen Missverständnis im Zusammenhang mit der Ökumene „irritiert“. Politische Kompromisse seien einseitig negativ ausgelegt worden. Es gehe in der Ökumene aber um ein gemeinsames theologisches Ringen.

Was hat das Verhältnis zwischen evangelischer und katholischer Kirche in den vergangenen Jahren geprägt?
Auf dem II. Vatikanischen Konzil in den 1960er Jahren hat die katholische Kirche beschlossen, nach der Einheit mit der evangelischen Kirche zu suchen. Das war der Durchbruch. 1980 gab Johannes Paul II. bei seinem ersten Deutschlandbesuch den Anstoß, das Gespräch weiter zu vertiefen. 1999 veröffentlichten die beiden Kirchen eine gemeinsame Rechtfertigungslehre, in der sie bekräftigten, dass dem Menschen Heil allein aus Gottes Gnade zuteil wird, unabhängig davon, was er auf Erden erreicht hat. Doch dann veröffentlichte die römische Glaubenskongregation unter Vorsitz von Joseph Ratzinger das Dokument „Dominus Jesus“, in dem der evangelischen Kirche abgesprochen wird, Kirche im vollen Sinn zu sein. In der Folge kühlte sich das ökumenische Klima ab.

Zu den konfessionellen Unterschieden gehört unter anderem, dass die Protestanten den Papst nicht als Stellvertreter Christi anerkennen, ein anderes Amtsverständnis haben und dem Abendmahl eine andere Bedeutung beimessen, als es die Katholiken tun.


cicero online

Jani's Anmerkung ...  da ich Protestantin bin, fühle ich mich genötigt, zu antworten. Nein und nochmals nein, ich bin nicht enttäuscht. Denn das würde ja voraussetzen, dass ich irgendwelche Erwartungen gehegt hätte.

Da wiederum stellt sich mir die Frage, welche Erwartungen das hätten sein sollen. Auch bin ich niemand, der sich anbiedert. Ganz im Gegenteil, solch Verhalten widert mich an. Wer ist der Papst, das wir Protestanten ihn so wichtig nehmen? Wollen wir auch einen Papst haben? Oder wollen wir ihn haben? Wollen unsere Bischofe mehr Macht analog der RKK haben?

Denn immerhin funktioniert  das Wesen unserer Kirche (ganz biblisch) von unten nach oben - im Gegensatz zu Römisch-Katholisch. Der Machthebel sitzt dort oben. Eben nicht biblisch. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass es auch in unseren Kirchen Bestrebungen einiger gibt, dem nachzueifern. Gott bewahre uns davor - so wie Er uns bisher bewahrt hat.

Und wer jetzt in meine Worte hineininterpretiert, ich wäre gegen Katholiken, dem muß ich eine Absage erteilen. Mitnichten bin ich gegen sie. Denn ich meine, dass es in beiden Kirchen Christen gibt und dass beide Kirchen einander bedingen. Sozusagen als Korrektiv der jeweilig anderen. Denn zuoft hat uns die Geschichte gezeigt, was passiert, wenn Macht in einer Hand liegt.   
Ich mein: Haben wir nicht wichtigere Aufgaben? Wichtigere, als uns immer nur, um uns selbst zu drehen?  Was zusammengehört, kommt zusammen. Haben wir doch endlich einmal Vertrauen zu Gott, denn Er wird es schon richten. Unsere Aufgabe dabei? Von Gottes Liebe erzählen!

Digital naiv, neoliberal und gefährlich

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Alle haben die Piraten lieb, sympathisch sind sie und vielleicht ein wenig unbedarft. Aber kaum ein Wähler hat in deren Programm geschaut. Dort finden sich neben allgemeinen Floskeln und allerlei Unsinn auch Forderungen, die zeigen, Piraten sind längst nicht so selbstlos, wie sie sich geben. Im Kern sind sie eine neoliberale Partei. Ein Kommentar
 
Eines ist toll an den Piraten: Sie liefern Journalisten so schöne Metaphern. Jetzt haben sie also das Abgeordnetenhaus in Berlin „geentert“ – johoho, und ne Buddel voll Rum. Seltsam: Neoliberale Klientelparteien sind doch eigentlich gerade auf dem absteigenden Ast. Denn dies sind die Piraten im Kern. Ihr Hauptziel ist es, im Internet ungestört auf Kaperfahrt gehen zu können, mit möglichst wenig Regeln und ohne großes Bedauern für die, die nicht mitkommen.

Ein buntes Völkchen sind die Wähler der Piraten. Laut Infratest Dimap liefen neben vielen Nichtwählern vor allem Grüne, Linke und Sozialdemokraten zur schwarzen Fahne über. Ob die wissen, wen sie da gewählt haben?

Wer lesen kann, ist klar im Vorteil, Parteiprogramme zum Beispiel. Im Programm der Bundes-Piraten stehen drei große Kapitel zu Urheberrecht (weitgehend abschaffen), Patentwesen (dito) und digitale Kommunikation (für alle zugänglich machen) im Mittelpunkt und damit drei Kernthemen einer Technokratenpartei. Dafür stellen sich die Berliner Piraten mitten ins Leben. Ihr Grundsatzprogramm beginnt mit dem Recht auf Rausch.

Richtig ist, die Piraten durchpflügen politische Gewässer, die andere Parteien sträflich vernachlässigen. Gleich das Kapitel ihres Programms ist „Mehr Demokratie“ überschrieben. Wenn die Existenz der Freibeuter-Partei einen Sinn hat, dann den, Bürgerrechtsliberale jeglicher Couleur an alte Werte zu erinnern: den Schutz der Freiheit des Einzelnen und seiner unveräußerliche Rechte sowie eine Demokratie, die diesen Namen verdient. Da legen die Segler unter schwarzer Flagge das Enterbeil in eine klaffende Wunde der Parteiendemokratie – um die Metapher mal so richtig auszukosten.
Anders sieht es in der Wirtschafts- und Sozialpolitik aus. Diesen Themen widmen sich die Jungpolitiker nur in einem winzigen Kapitelchen weit hinten. Es trägt die Nummer elf und beschränkt sich auf die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen für alle. Nun muss man kein Marxist sein, um zu wissen, dass Nachdenken über die Gesellschaft zwecklos bleibt, wenn man die materielle Basis ausblendet. Aber offenbar sitzt auf diesem Auge die schwarze Piratenklappe und verhindert den Durchblick.

Oder ist es vielleicht doch eher so, dass – Datenschutz hin, Grundeinkommen her – die Politik der Piratenpartei auf die Durchsetzung eigener Interessen gerichtet ist und auf einen Markt, der alles regelt? Das Berliner Wahlprogramm ist denn auch geprägt von der Forderung nach Deregulierung und freiem Wettbewerb. Einzig mit ihrer Kritik an der Privatisierung der Berliner Versorgungsbetriebe setzen sie einen kurzen anderen Akzent. Sonst geht es um Sonderprobleme der digitalen Bohème, um mehr Urbanität für die Kreativwirtschaft oder die Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft in der Industrie- und Handelskammer. Das klingt nach Klientelpflege vom Feinsten – das immerhin können die 

Nachwuchspolitiker schon... Sind die Piraten also doch nicht so selbstlos, wie sie vorgeben? Steckt in der Piratenpartei ein neoliberaler Kern?

Bundeschef (oder metaphernmäßig Piratenkapitän) Sebastian Nerz kennt die Erklärung dafür, warum so viele vor allem junge Menschen (bei den unter 34-Jährigen 15 Prozent) ihr Kreuzchen bei den Freibeutern setzten: „Die Menschen vertrauen den etablierten Parteien einfach nicht mehr.“ Es mag sein, dass es für dieses Misstrauen den einen oder anderen Grund gibt – aber welchen gibt es denn, der Piratenpartei zu trauen?

Der Berliner Landesvorsitzende Gerhard Anger rief am Wahlabend aus: „Wir sind jetzt die stärkste liberale Partei in Berlin.“ Früher gab es eine Partei, die füllte den Begriff „liberal“ mit deutlich mehr Inhalt als Straflosigkeit für Raubkopierer oder Freiheit für Finanzjongleure. Wenn die Piraten sich nun an der FDP messen, spricht das Bände über den desolaten Zustand der Freidemokraten. Aber was sagt dies über die Newcomer im Parteiensystem?

Kein FDP-Kandidat hätte es gewagt, wie der Berliner Spitzenkandidat der Piraten, Andreas Baum, die Schulden der Stadt im Wahlkampf bagatellisierend mit „viele, viele Millionen“ zu beziffern. Die Piraten taten dies anschließend als kleine Schwäche ab und haben anschließend, „um zu zeigen, dass Piraten kreativ mit ihren Bildungslücken umgehen“, eine Schuldenuhr als Smartphone-App programmiert. Die zeigt nun völlig korrekt viele, viele Milliarden Euro, konkret knapp 64.

Technisches Können soll also mangelndes Verständnis ausgleichen. Aber Baums Panne zeugt weniger von geringer Sachkenntnis, sondern vor allem von der mangelnden Bereitschaft, sich mit den Themen Finanzen und Schulden überhaupt auseinanderzusetzen. Der moderne junge Großstadtmensch will im Internet nicht nur kostenlos auf alle Inhalte zugreifen können, er will auch umsonst mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren. Allen Kreativen soll die Stadt Räume oder Flächen für ihre Arbeit zur Verfügung stellen. Das ist letztlich nur konsequent, denn für die Rechte an den Werken, die sie schaffen, soll im Internetzeitalter schließlich niemand mehr bezahlen.

Wie diese Wohltaten finanziert werden, ist den Piraten offenbar egal. Nach den Schlagworten Steuern und Finanzen sucht man im Programm der Partei vergeblich. Allein, wie will denn jemand ernsthaft parlamentarisch mitarbeiten, der seine wichtigsten Hausaufgaben nicht macht?

Immerhin hat Spitzenkandidat Baum sich, wie er am Wahlabend stolz erzählte, vor der Wahl schon einmal auf die Besuchertribüne des Abgeordnetenhauses begeben. Dort dürfe man nicht twittern, „das können wir dann ja gleich mal ändern“. Als wäre das das größte Problem der Hauptstadt. Es ist reichlich unbedarft zu glauben, man müsse nur Transparenz herstellen, dann werde in Staat und Verwaltung alles gut. Fast möchte man meinen, die Piraten und ihre Anhänger wären nicht Digital Natives, sondern digitale Naive.

Eine Männerveranstaltung sind sie außerdem. Fünfzehn Namen haben die Piraten auf ihrer Landesliste stehen, alle 15 wurden ins Abgeordnetenhaus gewählt. Nur eine Piratin ist darunter; selbst die CSU hat eine bessere Frauenquote. Sie wollen ihre Lernprozesse in einem Internet-Blog mit den Wählern teilen, so „Sendung-mit-der-Maus-mäßig“, sagt der Neu-Abgeordnete Christopher Lauer. Man mag das sympathisch finden.

Oder auch gefährlich. Würden die Berliner an die Piraten denselben Maßstab anlegen wie an andere Parteien, dann sollten sie nicht milde schmunzeln, sondern sich ernsthaft Sorgen um ihre Hauptstadt machen. Mal angenommen, die Piraten regieren irgendwann mit. Mal angenommen, dann reicht das Geld vor lauter urbaner Kreativität nicht mehr für Kindergärten und Schwimmbäder. Wahrscheinlich hängt dann an den verrammelten Türen ein Schild, so Sendung-mit-der-Maus-mäßig: „Das war – piratisch.


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Montag, 4. Juli 2011

Für eine gute Pointe würde ich zum Islam übertreten

Interview mit Henryk M. Broder

„Es kann doch nicht sein, dass die Geschlossenheit der Partei wichtiger ist als ideologische Klarheit.“   













Er kritisiert, spitzt zu und polemisiert wie kein Zweiter – Henryk M. Broder. Mit Cicero Online spricht er über eine Kloschüssel auf dem Obersalzberg, über Mainstream und über das Phänomen des Antisemitismus in der Linken.



Herr Broder, Sie gelten gemeinhin als Provokateur. Der Feuilletonchef der FAZ – Patrick Bahners – spricht im Zusammenhang mit der Art und Weise wie Sie Kritik üben von einer „Polemik als symbolische Übersprunghandlung  einer zeitgemäßen Liberalität“. Er sieht darin eine Umwertung aller Werte als bewährtes Verfahren der Aphoristik. Und in der Tat ist ihre Polemik doch sehr speziell. Wenn Sie sich beispielsweise in ihrer TV-Sendung als Holocaust-Mahnmal-Stele verkleiden und auf eine Holocaust-Gedenkfeier gehen, schießen Sie da nicht übers Ziel hinaus?
Hat das Patrick Bahners mit diesem Beispiel illustriert?


Nein.
Zu Patrick Bahners sage ich nichts, weil ich das, was er schreibt, nicht verstehe. Und zu Dingen, die ich nicht verstehe, sage ich nichts. Was die Stele angeht: Für eine gute Pointe würde ich zum Islam übertreten. Hamed Abdel-Samad und ich fanden die Idee gut und dann sagten wir, das machen wir. In der Staffel, die wir jetzt gerade drehen, laufen Hamed und ich mit einer Kloschüssel, die wir im Baumarkt gekauft haben, auf den Obersalzberg und stellen die Schüssel dort ab, wo früher die Terrasse des Führers war. Wir fanden das beide sehr lustig. Ob es die Leute lustig finden, ist mir egal.


Kann man von einer Methode Broder sprechen? Das folgende Zitat von Ihnen bringt ihre Art der Zuspitzung und Formulierung auf den Punkt: „Ich halte Toleranz für keine Tugend, sondern für eine Schwäche – und Intoleranz für ein Gebot der Stunde.“
Ich gehe an das, was ich mache, wirklich vollkommen unschuldig heran. Es gibt Sachen, die ich nicht verstehe. Ich versuche dann, mir diese Sachen zu erklären, nähere mich ihnen und schreibe darüber. Wenn Leute darin ein Konzept sehen, ok. Ich glaube aber, ich habe keines.


Sie sagen, Sie haben kein Konzept. Schaue ich mir ihren Blog „Die Achse des Guten“ an, entdecke ich doch eines: Ein Konzept des politisch Inkorrekten.
Sie entdecken ein Konzept, ein anderer ein anderes Konzept. Das ist das Schöne an einem Konzept: Jedem das Seine.


Gegen alles vermeintlich politisch Korrekte und Gutmenschentum zu polemisieren, das ist doch, schaut man sich das Meinungsbild im Internet an, mittlerweile Mainstream.
Kann sein. Wir beabsichtigen mit der Seite „achgut“ nicht gegen oder mit dem Mainstream zu sein. Wir gehen von Fall zu Fall vor. „Achgut“ hat ein sehr weites Spektrum. Von linken Autoren bis zu konservativen Katholiken. Auch da gibt es kein festgelegtes Konzept. Wir sind einfach radikal für den Gedanken der Meinungsfreiheit, der persönlichen Verantwortung und dafür, dass Leute nicht entmündigt werden. Es macht uns riesigen Spaß, Blasen aufzustechen und zu zeigen, dass sie aus lauwarmer Luft bestehen. Das ist schon alles. Wenn das querdenkerisch ist, dann ist es querdenkerisch, und wenn es Mainstream ist, dann ist das Mainstream.
 

Sehen Sie nicht die Gefahr, dass diese Plattform das politisch Inkorrekte zu einem Dogma erhebt. Also genau das macht, was es den vermeintlich linken Ideologen vorwirft?
Nein, schauen Sie, wir sind ja nicht gegen den Ausstieg aus der Atomenergie, weil alle dafür sind. Meinetwegen soll der Ausstieg aus der Atomkraft vollzogen werden. Mir ist diese Technologie ja auch unheimlich. Ich bin nur dagegen, dass daraus eine pseudo-religiöse Angelegenheit gemacht wird. Ich war kürzlich auf einem Nachhaltigkeitskongress und da hat Bundesumweltminister Röttgen, der nun wirklich die größte Luftblase in diesem Kabinett ist, den Satz gesagt: „Die Regierung braucht die Unterstützung der Gesellschaft.“ Und da ich ja versehentlich in Polen aufgewachsen bin, sind bei mir sofort alle Alarmglocken angegangen. 

Die Regierung braucht die Unterstützung der Gesellschaft? Ich unterstütze sie, in dem ich sie alle vier Jahre wähle und alle vier Jahre wieder abwähle. Mehr können die von mir nicht verlangen.

Die Regierung ist dafür da, meinen Müll abzuholen, meinen Pass auszustellen und die Polizei zu bezahlen, die meine Sicherheit garantiert. Aber die Aussage, die Regierung will von der Gesellschaft unterstützt werden, ist eine Aufforderung an die Arbeiterbrigaden, wieder auf die Straße zu gehen, um die Fünfjahrespläne des ZK zu unterstützen. Das ist eine unglaubliche Blase und ich bin entsetzt, wenn sie niemandem auffällt, wenn die Leute nicht in Ohnmacht fallen, wenn ein Bundesminister einen solchen Einstiegskanal in eine totalitäre Zukunft aufmacht.
 

Schaut man sich Debatten im Internet an, die Anfeindungen denen  vermeintliche Gutmenschen ausgeliefert sind, müsste es da heute nicht heißen: Der Mutige ist der politisch Korrekte?
Schauen Sie, Mut ist eine Kategorie, die ich aus meinem Wörterbuch gestrichen habe. Es gibt in diesem Land etwa zwei Dutzend Preise für Mut, Zivilcourage und Toleranz. Das gehört alles aus dem Wörterbuch gestrichen. Hier brauchen Sie Mut, um eine Einladung zu Anne Will abzusagen. Mehr Mut braucht es in diesem Land nicht. Alles was wir machen, erfordert eine Haltung aber keinen Mut. Wenn die Leute sich gegenseitig Medaillen verleihen, dafür dass Sie mutig sind, verlasse ich sofort den Raum. Mutig sind die Demonstranten in Kairo, die sich gegen das Regime stellen. In dieser Gesellschaft brauchen Sie keinen Mut. Mir ist das nur suspekt. Je weniger Mut Sie brauchen, um etwas zu sagen, umso mehr Leute stellen Sie als Mutigen da. Das ist doch vollkommen absurd.


Mut, beziehungsweise eine Haltung, scheint dieser Tage auch der Linken zu fehlen, gegen antisemitischen Antizionismus in den eigenen Reihen vorzugehen. Sie haben bereits in den 70ern als einer der ersten zusammen mit Jean Améry auf Antisemitismus in der Linken verwiesen.
Ja, Améry war damals jemand, den ich gelesen habe. Sartres Aufsatz über die Judenfrage kannte ich jedoch zu dieser Zeit noch nicht. Hätte ich diese Schrift gekannt, hätte ich meine Version wahrscheinlich nicht geschrieben, weil Sartre das schon alles vorweggenommen und viel besser beschrieben hatte. Vieles von damals finden wir heute aber nach wie vor in der Linken. Beispielsweise halten sich große Teile der Linken per se für bessere Menschen, die für Antisemitismus nicht anfällig sind.

Ich hatte eine Debatte in den 70er Jahren mit Gerhard Zwerenz, der damals wie heute behauptete, Linke können keine Antisemiten sein. Das ist so, als wenn ich sagen würde, Juden schlagen ihre Frauen nicht, Katholiken saufen sich nicht die Hucke voll und Protestanten lügen nicht. Das ist vollkommen absurd. Aber das ist die Art, wie sich damals und heute die Linke selbst immunisiert hat.


Was hat sich seither geändert?
Ich beschrieb damals in meinem Buch „Der ewige Antisemit“ in den 80ern marginale Phänomene, von denen ich nicht mal glaubte, dass sie sich in die Mitte der Gesellschaft bewegen würden. Die Kritik an diesem Buch zielte dann auch genau darauf ab. Es wurde kritisiert, dass  ich marginale Phänomene beschreibe und sie überbewerte. Mit dem Blick zurück kann ich nur sagen: Ich habe sie noch unterschätzt.  Alles was damals marginal war, ist heute Mainstream, verkleidet sich aber nur anders.

Dahinter steckt die Erkenntnis, dass der Antisemitismus natürlich einem Wandel unterliegt. Es unterliegt alles einem Wandel. Frauen- und Fremdenfeindlichkeit heute hat eine andere Ausprägung als sie zur Zeit von Otto Weininger hatte. Die Linke aber, die sonst versucht dynamisch zu sein, beharrt darauf, dass der Antisemitismus darin besteht, dass man Juden und Jüdinnen diskriminiert. Die Weiterleitung, der Sprung zu Israel, zu Juden, die sich als Zionisten organisiert haben, zu Juden, die nicht nur eine Religion sein wollen, sondern sich national definieren, diesen Sprung schafft die Linke nicht.

Die Linke verschafft sich ein gutes Gewissen, indem sie immer noch gegen Auschwitz demonstriert, zugleich aber eine Einstaatenlösung favorisiert, die de facto die Vernichtung Israels bedeutet. Linksparteimitglied Christine Buchholz hat vor kurzem ganz klar gesagt, Boykottaufrufe und die Forderung nach einer Einstaatenlösung seien kein Antisemitismus. Dabei sind genau das die Kernbestandteile des modernen Antisemitismus.
 

Werfen wir einen Blick auf die Kritisierten: Gregor Gysi versucht es mit parteiinterner Autorität und initiierte einen Fraktionsbeschluss. Klaus Ernst hingegen schießt gegen die Kritiker zurück. Beispielsweise rät er dem Präsidenten des Zentralrates der Juden Dieter Graumann, nach dessen Kritik an der Linken, die „Niederungen der Parteipolitik zu verlassen“.
Ernst ist ein ehrlicher Dummkopf. Gysi ist ein hochintelligenter Heuchler, denn er weiß es besser. Ich habe mehrere Unterhaltungen mit ihm gehabt, wo er genau das artikuliert hat, was ihm heute vorgeworfen wird, eben dass es Antisemitismus in der Linken gibt. Aber um diesen maroden Laden zusammenzuhalten, will er davon nicht abrücken. Es ist erklärbar, warum gerade die Linkspartei heute zu einem Zentrum antisemitischer Argumentation geworden ist. Sie ist keine antisemitische Partei per se, weil es genug Leute gibt, die diese Meinungen nicht teilen. Aber sie hat eine zum Teil antisemitische Programmatik. Und das ist kein Zufall.

Das kommt von zweierlei: Erstens kommt es bei einer Partei, die zwischen sieben und elf Prozent hin und herpendelt auf jedes Prozent an. Und ein oder zwei Prozent Antisemiten, die sich angezogen fühlen, können für eine so kleine Partei entscheidend sein. Größere Parteien können damit rigider umgehen. Zweitens ist die Linkspartei die Verkörperung des pathologisch gesunden Gewissens. Sie sind Antifaschisten in einem Land, in dem es keinen Faschismus gibt. Sie sind heute gegen die Nazis, obwohl die Nazis heute nur noch als Kostümnazis irgendwo hinter Rostock auftreten.

Die Leute in der Linkspartei haben vergessen, dass niemand so schnell zu Nazis übergelaufen ist, wie die Kommunisten. Heute rot, morgen braun. Es ist das klassische antisemitische Motiv der 20er, 30er Jahre. Damals war der Antisemitismus der Kitt, der die Parteien zusammenhielt, sozusagen der kleinste gemeinsame Nenner. Das hat die Linke auch versucht. Einen Spagat zwischen links und rechts über das Mittel des Antisemitismus.
 

Jetzt muss aber doch der Linken zugutegehalten werden, dass die größten Kritiker aus der Partei selbst kommen. Angefangen mit Dietmar Bartsch, der die Vorwürfe sehr ernst nimmt, oder Bodo Ramelow, der noch einen Schritt weitergeht und die Anerkennung des israelischen Existenzrecht in das Grundsatzprogramm aufnehmen will. Ganz zu schweigen von der BAK-Shalom, ein Arbeitskreis innerhalb der Linken, der sich massiv gegen Antizionismus zur Wehr setzt.
Die größten Kritiker aus der Partei äußern sich immer dann, wenn es gar nicht mehr anders geht. Das ist der Versuch einer Schadensbegrenzung. Ich habe nicht den geringsten Zweifel an der Integrität von Ramelow, Kipping, Pau oder anderen. Nur habe ich manchmal den Verdacht, sie spielen das Spiel „good cop, bad cop“. Der eine Vernehmer ist der Brutale und der andere bringt Tee und Plätzchen. Das ist eine Form der Arbeitsteilung innerhalb der Partei.

Das Zweite ist: Wenn sie so integer sind, was machen sie dann noch in dieser Partei? Warum schwindeln sie sich ständig etwas zurecht, um in der Partei bleiben zu können. Es kann doch nicht sein, dass die Geschlossenheit der Partei wichtiger ist als ideologische Klarheit. Deswegen glaube ich nicht, dass man denen etwas zugutehalten muss. Sie versuchen sich aus einer Situation zu retten, in die sich selber gebracht haben.
 

Der antisemitische Antizionismus ist über die Sowjetunion, beziehungsweise über den Marxismus-Leninismus stalinistischer Prägung, über die Ostblockstaaten in die Neue Linke nach Westdeutschland gelangt. Heute kommen jedoch die größten Israel-Kritiker in der Linkspartei aus dem Westen. Wie erklären Sie das?
Ich habe keine Erklärung. Antisemitismus ist ein irres Phänomen. Es gab einen amerikanischen Richter, der ist mal gefragt worden, ob er Pornographie definieren könnte. Er antwortete: “No I can’t, but I know it, when I see it.“ Und genau das gilt auch für den Antisemitismus. 
 

Sehen Sie nicht die Gefahr, dass die fokussierte Diskussion über Antisemitismus in der Linken den Antisemitismus der bürgerlichen Parteien überdeckt?
Nein. Der Antisemitismus ist im Prinzip in dieser Gesellschaft vorhanden aber nicht gesellschaftsfähig. Das ist der große entscheidende Fortschritt zu früher. Mit einer antisemitischen Bemerkung stellen sie sich außerhalb des Konsens. Es gibt natürlich trotzdem weiter Antisemitismus. Der linke Antisemitismus ist deshalb so schlimm, weil er so herzig daher kommt, weil er sich seiner selbst nicht bewusst ist und weil er nicht anerkennen will, dass man das antisemitische Potential par ordre de mufti nicht aus der Luft schaffen kann. Und nachdem sich das antisemitische Potential heute nicht mehr auf den einzelnen Juden konzentrieren kann, konzentriert es sich auf das jüdische Kollektiv. Und wenn die Leute dann sagen, es sei Israelkritik, dann ist das ein weiterer Etikettenschwindel. Denn Israelkritik ist vollkommen legitim. Jeder kann, darf und soll…


… und kaum ein anderer Staat wird ja so offen und häufig kritisiert wie Israel.
Ja, Israelkritik muss weder richtig, noch begründet sein. Aber ich darf natürlich genauso die Motive der Israelkritiker hinterfragen. Ich darf fragen, warum sagt Ihr nichts zu Syrien, warum fällt Euch zu Gaddafi nichts ein? Was ist mit Nordkorea? Dieses Kaprizieren auf Juden und jetzt auf Israel ist ein typisches antisemitisches Motiv. Ich halte den linken Antisemitismus für viel schlimmer, ich würde nicht sagen gefährlicher, aber schlimmer, weil er erstens mit einem guten Gewissen daherkommt und sich zweitens politisch verbrämt hat.

Kritik verhält sich immer nach dem Verhalten des Kritisierten. In dem Fall aber hat die "Kritik" eine ganz andere Struktur. Egal was Israel macht, es macht es falsch. Das ist übrigens auch eine Analogie zum klassischen Antisemitismus. Waren die Juden reich, waren sie Ausbeuter, waren sie arm, waren sie Schmarotzer. Waren sie intelligent, waren sie überheblich. Waren sie dumm, waren sie Parasiten. Das heißt, aus der Sicht des Antisemiten kann der Jude nichts richtig machen. Und aus der Sicht des Antizionisten kann Israel nichts richtig machen. Hält es Gaza besetzt, ist es besetzt. Räumt es Gaza, dann ist es nur ein Trick, um die Besetzung mit anderen Mitteln aufrecht zu erhalten. Deshalb ist der linke Antizionismus eine vollkommen verlogene Geschichte, während der klassische bürgerliche Antisemitismus à la Möllemann und Hohmann doch relativ überschaubar ist. Da funktionieren auch die gesellschaftlichen Mechanismen komischerweise viel schneller, als beim linken Antisemitismus.

Herr Broder, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Timo Stein.

cicero
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Sonntag, 12. Juni 2011

Bitte Schulden machen

von Giacomo Corneo

Eine rasche Tilgung der Staatsschulden bringt uns keine Generationengerechtigkeit, schafft Spielraum für politischen Opportunismus und schadet den deutschen Kleinanlegern. Vor allem lenkt sie die Debatte von den wichtigen ökonomischen Fragen in Deutschland ab.


Als ich noch in Italien lebte, plünderten Christdemokraten und Sozialisten dort die Kassen des Staates. Es herrschten Verschwendung und Korruption, und die Staatsverschuldung kletterte auf 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), begleitet vom sinkenden Vertrauen in öffentliche Institutionen und die Politik. Kein Wunder also, dass ich die deutsche Stabilitätskultur als angenehm beruhigend empfinde. Gleichwohl ist es für den Ökonomen in mir befremdlich, wie oft in Deutschland die Staatsverschuldung verteufelt wird.

Schlagworte wie Schuldenbremse, Generationengerechtigkeit oder Haushaltskonsolidierung bestimmen hierzulande die Debatte. Dabei sind Schulden an sich nichts Schlimmes, während die Politik durch unkontrolliertes Sparen des Staates das bisher so erfolgreiche Gesellschaftsmodell Deutschlands aufs Spiel setzen kann.

Zwar ist die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen zu Recht das zentrale Grundanliegen jedes guten Finanzministers. Denn sie bedeutet, dass der Staat sämtliche Verpflichtungen erfüllen wird, die er mit der Aufnahme von Schulden eingegangen ist. Der Blick ist dabei in die Zukunft gerichtet, auf den Zeitpunkt, wenn die Zinsen gezahlt und die Schulden getilgt werden müssen. So konnte sich der japanische Staat bisher trotz einer Schuldenstandsquote von 200 Prozent immer noch problemlos refinanzieren. Die irischen öffentlichen Finanzen galten dagegen bereits bei einer Schuldenstandsquote von etwa 60 Prozent als nicht mehr nachhaltig. Das liegt daran, dass die Märkte nicht nur auf die Höhe der Staatsschulden schauen, sondern auch auf die zu erwartenden Haushaltssalden. Japan trauen die Anleger zu, in Zukunft ausreichende Primärüberschüsse zu erzielen. Bei Irland fürchten sie dagegen, dass das Land zahlungsunfähig wird, und verlangen daher eine Risikoprämie.

Es ist unbestritten, dass Länder wie Irland ihre Haushalte konsolidieren sollten, um den Zinssatz für neue Kredite zu verringern. In Ländern wie Deutschland, das von den Märkten als hundertprozentig kreditwürdig betrachtet wird, gilt diese Logik aber nicht. Für sie ist es viel wichtiger herauszufinden, wie hoch ihre optimale, staatliche Neuverschuldung ist.

Ja, so etwas gibt es. Die beste Analogie, um das zu erklären, ist die des „guten Familienvaters“. Wann geht dieser zur Bank, um einen Kredit aufzunehmen? Wenn er dadurch das Wohlergehen seiner Familie erhöht. Dies geschieht, wenn für seine Familie der Nutzen der durch die Verschuldung ermöglichten Investition die Kosten der Verschuldung (Zinsen und Tilgung) übersteigt. Analog dazu sollte der Staat zum Weltkapitalmarkt pilgern und sich verschulden, wenn für seine Bürger der Ertrag der damit finanzierten Maßnahmen (Steuersenkung, Transfererhöhung, Erhöhung des Staatskonsums oder der öffentlichen Investitionen) die Kosten der Verschuldung (Zinsen und Tilgung) übersteigt. Umgekehrt ist ein Schuldenabbau sinnvoll, wenn die vermiedenen Kosten der Verschuldung größer sind als der soziale Ertrag der Maßnahmen, auf die verzichtet wird.

Als guter Familienvater kann der Staat durch eigene Verschuldung und Entschuldung die Steuersätze im Zeitverlauf konstant halten. Dadurch verringert er die Kosten für die Privathaushalte, die aus einer ständig schwankenden Besteuerung resultieren würden. Ferner sollte die staatliche Neuverschuldung antizyklisch sein. So bedingt die relativ hohe Arbeitslosigkeit während einer Rezession, dass die tatsächlichen Kosten von Neueinstellungen für den Staat geringer sind als die dafür bezahlten Löhne. Kreditfinanzierte öffentliche Vorhaben, die indirekt Arbeitsplätze schaffen oder sichern, sind daher am Anfang einer Rezession viel sinnvoller als während eines Booms.

Entgegen der Sicht der Boulevardpresse und des Bundes der Steuerzahler beinhaltet die nominale Höhe der Staatsverschuldung keine relevante Information. Dagegen signalisiert ein konstantes Verhältnis der Staatsschulden zum BIP – die Schuldenstandsquote – sowohl den Wählern als auch den Märkten, dass die künftige Verschuldung nicht ausufern wird. Falsch ist die Vorstellung, dass ausgeglichene Haushalte die Schuldenstandsquote stabilisieren. Bei nominal wachsendem BIP und Nulldefiziten verringert sich ständig die Schuldenstandsquote, bis sie verschwindend gering ist.

Hartnäckig wird auch behauptet, dass eine rasche Schuldentilgung zu geringeren Kosten für den Staat führe. Es stimmt zwar, dass eine hohe Verschuldung mit hohen Schuldendienstaufwendungen einhergeht. Beträgt die Schuldenstandsquote 70 Prozent und refinanziert sich der Staat zu einem Zins von 4 Prozent, gibt er jedes Jahr 2,8 Prozent des BIP für die Zinsen aus. Es ist aber ein Irrtum, dass die Lasten für den Staat geringer wären, wenn er sofort einen Teil seiner Schulden tilgen würde. Zahlt der Staat heute eine bestimmte ausgeliehene Summe vorzeitig zurück, vermeidet er zwar entsprechende künftige Zinsausgaben, aber das auf diese Art verwendete Geld steht ihm dann nicht mehr zur Verfügung. Der Staat hätte dieses Geld beispielsweise für festverzinsliche Wertpapiere ausgeben können. Durch die Tilgung verzichtet der Staat auf die Zinsen, die diese Wertpapiere abgeworfen hätten. Dieser verborgene Einnahmeverlust ist mindestens so groß wie die Zinsausgaben, die sich der Staat dank der vorzeitigen Tilgung erspart.


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Montag, 30. Mai 2011

Die Riesenmänner und die Lehre aus Fukushima

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von Frank A. Meyer

Riesenmänner wie Shimizu, ehemaliger Chef des Energiekonzerns Tepco, bevölkern die Wirtschaft. Überall in der Welt. Auch in Deutschland. Frank A. Meyer darüber, wie uns die Bosse dieser Erde in immer neue Krisen stürzen.

Masataka Shimizu war ein großer Mann: Chef des Energiekonzerns „Tokyo Electric Power Company“, besser bekannt unter dem Kürzel „Tepco“, noch besser als Betreiberfirma des Atomkraftwerks Fukushima. Ein Atomkraftlobbyist war er, der seine Landsleute mit aggressiver Werbung aufforderte, Heizen und Kochen von Gas auf Strom umzustellen, denn noch mehr Atomkraftwerke sollten Japan schmücken.

Ein Führer war Masataka Shimizu. Ein Wirtschaftsführer, dem das Atomsprech in Fleisch und Blut übergegangen war: Durch „hohes ethisches und soziales Verantwortungsbewusstsein“ müsse sich jeder auszeichnen, der bei „Tepco“ beschäftigt ist, denn selbstverständlich sei es „die oberste Pflicht, die Sicherheit des Atomkraftwerks zu gewährleisten“. So sprach und so versprach der große Mann.

Masataka Shimizu war ein Riesenmann.

Dann kam das Erdbeben vom 11.März; dann kam der Tsunami; dann kam der GAU von Fukushima-Daiichi: Zuerst schloss sich Shimizu in seinem Büro ein. Dann flüchtete er ins Krankenhaus. Ihm sei – so wurde berichtet – „schwindlig“. Der ganzen Welt wurde schwindlig. Matasaka Shimizu hatte sich aus dem radioaktiven Staub gemacht. Erst sehr viel später tauchte er wieder auf – bei einer bizarren Gedenkfeier, einen Monat nach dem GAU.

Riesenmänner wie Shimizu bevölkern die Wirtschaft. Überall in der Welt. Auch in Deutschland.

Jürgen Großmann ist ein deutscher Riesenmann, „einer der mächtigsten Manager des Landes“, wie der Stern ehrfürchtig notiert.

Riesenmann Großmann befehligt den Essener Energiekonzern RWE. Er war es, der Angela Merkel noch im Herbst die verlängerten Laufzeiten für Atomkraftwerke diktierte – für Klitschen also, die mit größerer Sicherheit Gewinne erzeugen als Energie, was inzwischen erkannt wurde, weshalb Angela Merkel die Altmeiler dann doch fürs Erste hat abschalten lassen.

Auch Jürgen Großmann ist des Atomsprechs mächtig: „Die Kernenergie ist verantwortbar, wenn sie höchsten Sicherheitskriterien genügt.“ Ein merkwürdiger Satz. Japanisch klingt er so: „Genshiryoku enerugi wa, saidaigen no anzen kijun o mitasu baai ni wa unten kanodesu.“ Der euphemistische Sinnspruch ist das globale Mantra der Riesenatommänner.

Riesenmänner wie Großmann und Shimizu beherrschen nicht nur die Atomwirtschaft. Auch die Finanzwirtschaft wird von ihnen geprägt. Ein anderer Riesenmann ist Josef (Joe) Ackermann, Chef der Deutschen Bank, Vorsitzender des „Institute of International Finance“, der einflussreichsten, weil einzigen weltweiten Vereinigung von Finanzinstitutionen.

Riesenmann Ackermann war einer der Mitverantwortlichen für die Finanzkrise, die 2008 die Weltwirtschaft an den Rand des Abgrunds brachte. Der gebürtige Schweizer trug maßgeblich dazu bei, dass viele Staaten die Statik des Weltfinanzgebäudes mit Steuergeldern stützten – und deshalb heute unter monumentalen Schulden ächzen, verhöhnt von denselben Riesenmännern, denen sie gerade erst zu Hilfe eilen mussten.

Josef Ackermann hat Angela Merkel die Bankenrettung aus Staatsmitteln diktiert. Er sieht sein Wirken in jenen düsteren Tagen als Beleg staatsmännischer Verantwortung. Der Täter als Retter.

Gern erzählt er von einer kuwaitischen Politikerin, die ihm offenbart habe: „Ich denke, dass die deutsche Regierung tut, was Sie sagen.“

2008 richtete Angela Merkel im Kanzleramt eine Feier zum 60.Geburtstag für Josef Ackermann aus. In der Talkshow von Maybrit Illner, sonst mit Plaudertaschen reich bestückt, durfte er alleine thronen. Ein Damenknicks, wie er eigentlich der Kanzlerin vorbehalten wäre.

Verbeugungen und Verbiegungen vor den Riesenmännern gehören in der durchökonomisierten Gesellschaft mittlerweile zum guten Ton. Doch sind die Übermächtigen der Wirtschaft tatsächlich Riesen?

Josef Ackermann ist ein ordentlicher Schweizer Milizoberst. Er hat sich das Selbstverständnis zu eigen gemacht, wie es helvetischen Offizieren nun mal vermittelt wird: „Du hast kein Geheimnis – aber verrate es niemandem.“ Ausdruck dessen ist das ewige Lächeln im Gesicht des ewigen Jungen aus dem Kanton St.Gallen. Es suggeriert, da wisse einer mehr als andere – ein Riesenmann.

Jürgen Großmann ist, anders als Ackermann, ein brillanter Causeur. Ein Gesprächspartner mit Esprit. Er beherrscht die polternde Bonhomie ebenso wie das politische Berserkertum. Wenn er zu Fukushima sagt: „Wir können alle nur hoffen und beten“, ist man geneigt, ihm diese Demütelei abzunehmen, steckt dahinter doch – ein Riesenmann.

Es ist die Fatalität der Riesenmänner, dass sie Sätze machen, die größer sind als sie selbst, dass sie für Dinge stehen, deren Dimensionen sie nicht gewachsen sind – seien es Atomkraftwerke und ihr kleingeredetes Restrisiko, seien es der Finanzkapitalismus und sein schöngeredetes Crashrisiko.

Masataka Shimizu war ein Riesenmann.


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Größenverhältnis






Cicero
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Freitag, 11. Februar 2011

Israels banger Blick zu den Nachbarn

von Ingo Way

Gebannt schaut man in Israel auf Ägypten. In der vergangenen Zeit verlief die Nachbarschaft recht friedlich, Staatschef Mubarak hat sogar zeitweise als Vermittler zwischen Israelis und Palästinensern agiert. Sollte nun die Muslimbruderschaft an die Macht kommen, steht für Israel einiges auf dem Spiel.

Der Premierminister lässt sich entschuldigen. Auf der alljährlichen Herzliya-Konferenz, Israels wichtigstem Forum zum Thema Außenpolitik, wird Benjamin Netanyahu diesmal nicht sprechen. Das ist durchaus unüblich. Denn die Konferenz wird traditionell vom jeweiligen Regierungschef dazu genutzt, eine große Rede zur Lage der Nation zu halten, 2003 etwa kündigte Ariel Sharon in Herzliya den Abzug aus dem Gazastreifen an. Netanyahus Rückzieher könnte mit dem heiklen Thema Ägypten zu tun haben. Hatte sich der Premierminister mit Äußerungen zu den Aufständen im südwestlichen Nachbarland bemerkenswert lange zurückgehalten und seine Minister angewiesen, diesbezüglich auf öffentliche Meinungsäußerungen zu verzichten, kam er Anfang vergangener Woche in der Knesset endlich auf das Thema zu sprechen.

In seiner Rede sprach sich Netanyahu für demokratische Reformen in Ägypten aus. „Ein Ägypten, das in demokratischen Werten verankert ist, kann niemals eine Gefahr für den Frieden sein“, sagte er. „Im Gegenteil, wenn wir aus der jüngeren Geschichte irgendetwas gelernt haben, dann dies: Je stärker die Fundamente der Demokratie, umso stärker sind die Fundamente des Friedens.“ Er fügte hinzu: „Wir unterstützen jene Kräfte, die sich für Freiheit, Fortschritt und Frieden einsetzen. Aber wir stellen uns denen entgegen, die Despotie, Terrorismus und Krieg befördern wollen.“

Und genau dies ist der Punkt. In Israel wächst die Sorge, dass der Friedensvertrag mit Ägypten gefährdet ist, sollte Staatspräsident Husni Mubarak gestürzt werden oder zurücktreten. Die radikalislamistische Muslimbruderschaft giert nach der Macht, und auch der Iran versucht, Einfluss auf das Geschehen am Nil zu nehmen. So wenig man sich in Israel über den autoritären Herrscher Mubarak auch Illusionen hingibt – freundschaftliche Beziehungen zwischen beiden Ländern gab es nie, Mubarak ließ bewusst antiisraelische Propaganda in den ägyptischen Medien zu –, so sehr weiß man doch seine Zuverlässigkeit zu schätzen, was das 1979 unterzeichnete Friedensabkommen betrifft. Immerhin hat es seither keinen Krieg mehr zwischen den beiden Ländern gegeben – wenn es auch nur ein „kalter Frieden“ war. Doch immerhin: Ägypten betätigte sich immer wieder als Vermittler zwischen Israel und den Palästinensern, es gelang ägyptischen Politikern im Jahr 2007 sogar, die Hamas im Gazastreifen zu einer Waffenruhe zu bewegen.

Das alles könnte zur Disposition stehen, wenn – etwa noch durch freie Wahlen – die Muslimbruderschaft an die Macht kommt oder zumindest stark an Einfluss gewinnt. Schätzungen, wie viele Wähler die Muslimbrüder erreichen können, schwanken zwischen 15 und 60 Prozent. Muhammad Ghannem, ein Führer der Bruderschaft, verkündete bereits, das ägyptische Volk solle sich auf einen Krieg mit Israel vorbereiten. Das ist nicht gerade dazu angetan, die Israelis euphorisch zu stimmen. In einer Umfrage der Tageszeitung Israel Hayom gaben nur 13 Prozent der Befragten an, dass die jüngsten Entwicklungen in Ägypten sie optimistisch machen würden, was das Verhältnis Israels zur arabischen Welt betrifft. 59 Prozent waren pessimistisch und 28 Prozent hatten noch keine endgültige Meinung gefasst.

Die Schuld sehen die Israelis dabei nicht so sehr bei den ägyptischen Demonstranten, deren Recht, sich gegen ein korruptes Regime aufzulehnen, kaum jemand in Frage stellt. Ins Fadenkreuz der Kritik gerät vielmehr US-Präsident Barack Obama. Der habe seinen Verbündeten Hosni Mubarak schmählich im Stich gelassen, heißt es unter Politikern und Analysten. Der frühere Botschafter Israels bei den Vereinten Nationen, Dore Gold, vergleicht die Situation etwa mit dem Umsturz im Iran im Jahr 1979, als US-Präsident Jimmy Carter den bisherigen Verbündeten der Vereinigten Staaten, Schah Rezah Pahlavi, fallen ließ und somit der blutigen Revolution des Ayatollah Khomeini den Weg frei machte.

Obamas Ankündigung, die Muslimbruderschaft solle in einer neugeordneten politischen Landschaft eine Rolle spielen, befremdet dabei auch Beobachter, die einer Demokratisierung Ägyptens durchaus positiv gegenüberstehen. Aluf Benn etwa, Kommentator der linksliberalen Tageszeitung Haaretz, kritisiert Obama dafür, sich allzu abrupt von Mubarak abgewendet zu haben, anstatt den Verbündeten erst einmal zu demokratischen Reformen zu drängen.

Derweil geht die militärische Zusammenarbeit zwischen Israel und Ägypten einstweilen weiter. Zum ersten Mal seit Abschluss des Friedensvertrages hat Israel den ägyptischen Streitkräften erlaubt, Soldaten auf die Sinai-Halbinsel zu lassen, die dem Vertrag gemäß demilitarisiertes Gebiet ist. Der Grund: Die ägyptische Armee will dort Aufständische bekämpfen, um sie vor weiteren Anschlägen wie dem auf eine Gaspipeline vor wenigen Tagen abzuhalten. Die Anfrage der Ägypter, noch weitere als die bisherigen 800 Soldaten auf dem Sinai zu stationieren, wurde vom israelischen Verteidigungsministerium allerdings zurückgewiesen, aus Sorge, der Friedensvertrag könnte sonst zur Farce werden. Israels Verteidigungsminister Ehud Barak ist gleichwohl voll des Lobes für die ägyptische Armee: Sie trage dazu bei, die Situation im Nachbarland zu stabilisieren, sagte Barak Anfang dieser Woche dem Kabinett.

Positive Worte für die ägyptischen Demonstranten fand dieser Tage Staatspräsident Shimon Peres – auf ebenjener Herzliya-Konferenz, der Premierminister Netanyahu fernblieb. Die „Revolution in Ägypten“ sei ein Aufschrei der jungen Generation, die Gerechtigkeit und Demokratie wolle, sagte der 87jährige. Gleichzeitig würdigte Peres Präsident Mubarak, der viel für den Frieden getan habe. Aufhalten lasse sich der Umsturz in der Ära von Internet und iPhone allerdings nicht, sagte Peres.

Die Frage, ob Mubarak im Amt bleiben wird, stellt sich also gar nicht mehr, auch in Israel nicht. Offen ist lediglich, wie sich das Verhältnis zwischen Kairo und Jerusalem in Zukunft entwickelt. Oppositionsführerin Tzipi Livni forderte die internationale Gemeinschaft auf der Herzliya-Konferenz dazu auf, dafür zu sorgen, dass die Muslimbruderschaft von den ersten wirklich demokratischen Wahlen in Ägypten ausgeschlossen wird. „Das Recht, an demokratischen Wahlen teilzunehmen, haben, wie überall in der freien Welt, nur solche Parteien, die Gewalt ablehnen, demokratische Regeln akzeptieren und Verträge einhalten, die von Vorgängerregierungen geschlossen wurden“, sagte Livni und spielte damit auf die Ankündigung der Muslimbruderschaft an, den Friedensvertrag mit Israel aufzukündigen. Diese Forderung sei nicht unbillig, sagte Livni, schließlich seien extremistische Parteien auch in vielen anderen demokratischen Ländern verboten. Sie machte darauf aufmerksam, dass die israelische Regierung 1988 der rechtsradikalen Kach-Partei verboten hatte, an den Wahlen teilzunehmen.


Quelle cicero
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