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Ändert die EU ihre Ostpolitik?
Konträre Meinungen über die Verlängerung der
Rußland-Sanktionen spalten die EU
Die Anti-Russland-Front wird sich nicht mehr lange aufrechterhalten
lassen, schätzen Experten. Die Teilnahme europäischer Politiker am St.
Petersburger Wirtschaftsforum, darunter EU-Kommissionspräsident
Jean-Claude Juncker, sehen viele als Zeichen für den „Einstieg in den
Ausstieg“ der Sanktionen gegen Russland.
Die Stigmatisierung
Russlands auf das Böse scheint nicht mehr zu greifen. Dazu mag die
Einsicht beitragen, dass die Sanktionen ihr Ziel weitgehend verfehlt
haben, oder auch die, dass man die Ukraine zu vorzeitig auf einen
einseitigen EU-Assoziierungskurs gedrängt hat. Unter den EU-Mitgliedern
macht sich die Überzeugung breit, dass es Zeit für eine neue
EU-Ostpolitik sei.
Große Hoffnung lag deshalb auf dem diesjährigen
Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg. Die Anwesenheit von
EU-Kommissionspräsident Juncker, EU-Kommissar Günther Oettinger,
Italiens Premierminister Matteo Renzi und vieler anderer Politiker ließ
zahlreiche europäische Firmen auf Entspannung hoffen. Dass auch wieder
mehr europäische Unternehmer kamen, legt die Vermutung nahe, dass sie
ausloten wollten, was heute schon wieder möglich ist und wohin die Reise
in Zukunft gehen könnte. Allerdings munkelten die deutschen
Wirtschaftsvertreter unter vorgehaltener Hand, sie seien von der Politik
dazu angehalten worden, „den Ball flach zu halten“.
Während des
Forums überraschte der Gastgeber Wladimir Putin mit dem Angebot, die
russischen Sanktionen gegen die EU aufzuheben, wenn die EU Druck auf
Kiew ausüben würde, an der Umsetzung der Minsker Vereinbarungen
mitzuwirken. Die EU ging darauf allerdings nicht ein, sondern
verlängerte die Sanktionen gegen Russland um ein weiteres halbes Jahr,
eben weil das Minsker Abkommen von 2015 nicht vollständig umgesetzt
worden ist. Zwar gebe es Fortschritte, doch die seien unzureichend, so
die Begründung. Vieles deutet jedoch darauf hin, dass die jetzt
verlängerten Sanktionen die letzten sein werden. Kritiker bemängeln seit
Langem, dass Russland die Erfüllung des Minsker Abkommens gar nicht
sicherstellen könne, solange die ukrainische Regierung sich keinen
Schritt bewege.
Europa ist in der Frage der Sanktionspolitik tief
gespalten. Während osteuropäische Partner, allen voran Polen und die
Baltenstaaten, für einen harten Kurs gegenüber Moskau plädieren, würden
Frankreich, Deutschland und Italien eine schrittweise Lockerung der
Sanktionen, gerade wegen der Fortschritte im Minsk-Prozess, begrüßen.
Der
französische Außenminister Jean-Marc Ayrault sagte jüngst bei einem
Treffen mit seinen Amtskollegen in Luxemburg, ein Entgegenkommen könne
an Bedingungen geknüpft werden und ein Zeichen der Ermutigung sein mit
dem Ziel, Moskau zu Zugeständnissen zu bringen.
Für Italien und
Deutschland wirken die Sanktionen wie ein Bumerang, da sie am meisten
unter dem Einbruch ihres Russlandgeschäfts leiden. Allein die deutsche
Wirtschaft musste einen Rückgang des Handelsvolumens mit Russland um 40
Prozent in den vergangen zwei Jahren verbuchen. Betroffen sind vor allem
Agrarbetriebe in Mitteldeutschland. Der Ostausschuss der Deutschen
Wirtschaft hat sich bei seiner diesjährigen Jahreskonferenz für einen
Strategiewechsel gegenüber Russland ausgesprochen. Der Ausschuss
unterstützte Außenminister Frank-Walter Steinmeier bei seinem Vorschlag,
parallel zu den Umsetzungsschritten Moskau den Abbau der Sanktionen
vorzuschlagen, und forderte die Ukraine auf, die verschleppten Reformen
endlich umzusetzen.
Dass die Signale auf Veränderung stehen, wurde beim Wirtschaftsforum
deutlich. Gerade deutsche Firmen investieren wieder mehr in Russland.
Um die Sanktionen zu umgehen, gründen sie eigene Unternehmen vor Ort.
Der sinkende Rubelkurs begünstigt solche Investitionen. Deutsche
Direktinvestitionen stiegen im vergangenen Jahr um das Vierfache.
Jenseits der Konflikte wollen die Unternehmen gemeinsame Projekte
voranbringen wie eine zweite Gas-Pipeline durch die Ostsee von Russland
nach Deutschland.
Beteiligt daran wäre unter anderem die Firma Linde.
Mercedes plant den Bau eines Werks bei Moskau, Siemens konkurriert
derzeit mit den Chinesen um den Bau einer
Eisenbahn-Hochgeschwindigkeits-Trasse zwischen Moskau und Kasan.
Siemens-Chef Joe Kaeser, Uniper-Chef Klaus Schäfer und Wolfgang Büchele,
Vorstandsvorsitzender von Linde und Chef des Ost-Ausschusses der
deutschen Wirtschaft, fordern deshalb eine baldige Lockerung der
Sanktionen.
„Es wäre gut, wenn dieser Vorschlag in Brüssel jetzt
mehrheitsfähig wird und wir einen Einstieg in den Ausstieg aus den
Sanktionen hinbekämen“, meint Büchele. In dasselbe Horn stieß die
Brüsseler Denkfabrik Bruegel. Sie sieht europäische Firmen in Russland
gegenüber China ins Hintertreffen geraten. Die Einbußen europäischer
Unternehmen dürften sich noch vergrößern.
Bei den Geschädigten
wächst der Unmut gegenüber der Ukraine. Das Minsker Abkommen kommt auch
deshalb nicht voran, weil die ukrainische Regierung die darin
vereinbarten Wahlen in Lugansk und Donezk bislang verhindert hat. Die
Waffenruhe wird täglich von beiden Seiten gebrochen.
Die EU ist und
bleibt ein Schlüsselpartner Russlands. Dass er die Europäer gerne auf
seiner Seite sehen würde, unterstrich Putin, indem er beim
Wirtschaftsforum ein Ass aus dem Ärmel zog: Er warnte vor einer
einseitigen Unterzeichnung des TTIP-Abkommens und bot der EU die
Mitwirkung bei der „Eurasischen Wirtschaftsunion“ unter Einbeziehung
Chinas an. Doch auch wenn längst klar ist, dass ohne Russland die
Probleme in der Welt nicht zu lösen sind, werden sich die Falken in der
EU zunächst durchsetzen, bevor ein Umdenken einsetzt.
Manuela
Rosenthal-Kappi
Preussische Allgemeine
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