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Für
den Fall, dass eines Tages Angehörige einer fremden Zivilisation,
intelligente Außerirdische, unseren Planeten besuchen sollten, habe ich
gestern in der Abenddämmerung im Englischen Garten direkt unterhalb des
Monopteros einen massiven Kanister aus Edelstahl vergraben. Er enthält
nicht die letzte Erklärung von Klaus Wowereit zu den Vorgängen um den
neuen Berliner Flughafen, auch nicht den Bauplan von Stuttgart 21.
Nein, in dem
Kanister liegen zwei Dokumente, die auf den ersten Blick vollkommen
banal erscheinen, auf den zweiten aber alles über den Zustand unserer
Gesellschaft sagen. Sollten die Außerirdischen sie finden, würden sie
auf dem Absatz kehrtmachen und sofort wieder heimfliegen.
Das erste
Dokument ist ein Artikel, den ich auf "Spiegel online" gefunden habe.
Darin geht es um eine "Vegetarier-Initiative" für einen fleischfreien
Tag pro Woche: "
Donnerstag ist Veggie-Tag!"
Sie wird nicht
nur von inzwischen 30 Städten unterstützt, die Grünen haben schon vor
zwei Jahren ein "Positionspapier" für eine Gesetzesinitiative "für mehr
Klimaschutz und Ernährungssicherheit" erarbeitet, in dem sie eine
"Veränderung unseres Lebens- und Konsumstils" fordern, um ein "Zeichen"
zu setzen "gegen die zerstörerischen Mittel der industriellen
Agrarproduktion: Raubbau an Klima und Natur, Agro-Gentechnik,
übermäßigen Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln auf Basis fossiler
Energie, ungerechte Verteilung von Boden, Verschwendung von
Lebensmitteln und inakzeptable Lebens- und Arbeitsbedingungen" - also
praktisch alles, was unser Leben zur Hölle macht.
Denn die Grünen
sind nicht nur eine politische Partei, sie sind auch eine Heilsbewegung,
die uns das Paradies auf Erden verspricht. Und so wie man früher nur
dem Götzendienst abschwören und sich zu Jesus bekennen musste, wobei
einem Tomás de Torquemada und seine Mitarbeiter hilfreich zur Seite
standen, muss man heute nur auf den Konsum von Fleisch verzichten, um
die eigene Seele und die ganze Welt zu retten. Sie glauben es nicht?
Schauen Sie sich das kurze
Video an.
Hurra, wir retten die Welt!
Als
Dreiviertelvegetarier, der sich von Obst, Gemüse, Schokolade und
Mehlspeisen ernährt, aber gelegentlich dem Duft eines Brathendls nicht
widerstehen kann, habe ich für eine fleischlose beziehungsweise
fleischarme Lebensweise großes Verständnis; als mündiger Bürger aber
möchte ich nicht vorgeschrieben bekommen, wie ich mich ernähren soll. Es
reicht mir schon, dass ich gezwungen werde, meine Texte im kalten Licht
von Energiesparlampen zu schreiben und demnächst auch noch einen
wassersparenden Duschkopf verwenden soll, weil in der Sahelzone das
Wasser zu den knappen Gütern gehört.
Die "Donnerstag
ist Veggie-Tag!"-Intiative ist Teil eines Programms, das Deutschland
geradewegs in die Erziehungsdiktatur führen soll: Wir werden angehalten,
unsere Wohnungen auf höchstens 18 Grad Celsius zu beheizen, öffentliche
Verkehrsmittel auch dort zu benutzen, wo es sie nicht gibt, kein
Übergewicht anzusetzen, weil das nicht nur ungesund, sondern auch
sozialschädlich ist, und unseren Fleischkonsum zu reduzieren oder am
besten ganz einzustellen. Hurra, wir retten die Welt!
Wir frieren uns
daheim den Arsch ab, wir gehen zu Fuß oder nehmen das Rad, wenn wir
etwas von Berlin nach Leipzig transportieren wollen, denn weniger Autos
sind besser als viele Autos, wir nehmen Rücksicht auf die Bilanz der
Krankenkassen, und jetzt gönnen wir uns am Donnerstag einen
Veggie-Burger. Bei den Katholiken war das schon immer freitags der Fall,
aber da ging es ja nur um einen religiösen Brauch, nicht um
"Klimaschutz und Ernährungssicherheit".
Geschlechter-Revolution in Berlin
Verglichen mit
den Grünen und ihrem Hang zum alltäglichen Totalitarismus, ist die
katholische Kirche eine libertäre Organisation mit Sinn für menschliche
Schwächen. Das alles, finde ich, sollten die Außerirdischen erfahren,
falls sie eines Tages auf unserem Planeten landen – inmitten einer
grünen Naturlandschaft, aus der nur die Turmspitzen des Kölner Doms, der
Münchner Frauenkirche und ein paar Rotorenblätter von Windrädern
herausragen.
Das zweite
Dokument, das ich deponiert habe, ist die Drucksache Nr. DS/0550/IV aus
der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg, dem
Parlament eines Stadtteils mit immerhin 277.000 Einwohnern, was der
Population von Städten wie Augsburg oder Wiesbaden entspricht. In der
Drucksache Nr. DS/0550/IV geht es um die
Einrichtung von "Unisextoiletten" in öffentlichen Gebäuden des Stadtteils.
Es handelt sich dabei nicht um Toiletten, die von Frauen und
Männern benutzt werden können, wie das zum Beispiel in vielen
französischen Bistros der Fall ist, denn das ist in Deutschland nicht
erlaubt.
Nein, es geht
um Toiletten, die von Menschen benutzt werden sollen, "die sich (1)
entweder keinem dieser beiden Geschlechter zuordnen können oder wollen
oder aber (2) einem Geschlecht, das sichtbar nicht ihrem biologischen
Geschlecht entspricht", also Frauen, die sich als Männer empfinden, und
Männern, die sich für Frauen halten, denn dies habe, obwohl es "auf den
ersten Blick" nicht "nach dem Gegenstand eines drängenden politischen
Problems" aussehe, "eine große Bedeutung für den Alltag der
Betroffenen".
Der Toilettengang wird zur philosophischen Übung
Der Vorteil der
Unisextoiletten, heißt es weiter in dem Papier, läge in dem Umstand,
dass sie "keine Selbstkategorisierung in das binäre Geschlechtersystem"
erfordern. "Das kann selbst für Menschen, die sich prinzipiell zuordnen
können, dazu aber nicht ständig angehalten werden möchten, angenehm
sein. Sie regen außerdem dazu an, über Geschlechtertrennungen im Alltag
nachzudenken."
So wird jeder
Gang zu einer öffentlichen Toilette in Friedrichshain-Kreuzberg zu einer
philosophischen Übung über das "binäre Geschlechtersystem", das
ausgedient hat, ganz im Sinne der
Philosophin Judith Butler,
die das Frau- beziehungsweise Mannsein für ein "gesellschaftliches
Konstrukt" hält. Zudem erfahren wir auch, mit welchen Problemen sich die
Bezirksverordnetenversammlung von Friedrichshain-Kreuzberg beschäftigt,
diesmal nicht auf Initiative der Grünen, sondern der Piraten, aber von
den Grünen ebenso wie von der SPD und der Linkspartei unterstützt.
Ja, das sind Probleme, denen im Zeichen der Euro- und Europakrise höchste Priorität zukommt. Dabei haben die
Piraten
auch eines der wichtigsten Naturgesetze überwunden – die Schwerkraft.
Sie schweben über dem Boden der Wirklichkeit, zumindest auf dem kurzen
Weg in die Unisextoilette. Und wenn sich drinnen der Pirat und die
Piratin begegnen, wird endlich wahr, was mit der Idee einer klassenlosen
Gesellschaft begann und in der geschlechterlosen Gesellschaft vollendet
wird: die Vision einer besseren Welt, in der Männer und Frauen
gemeinsam spülen.
Welt.de
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