Mittwoch, 1. September 2010

Deutschland schafft sich selbst ab


Rezension (Quelle) bezieht sich auf: Deutschland schafft sich ab: Wie wir unser Land aufs Spiel setzen (Gebundene Ausgabe)
Ganz unbescheiden darf ich mich rühmen, Sarrazin-Fan der ersten Stunde zu sein. Es muss irgendwann im Jahre 2002 gewesen sein, als der damals frisch ins Amt gebrachte Finanzsenator Berlins bei Sabine Christiansen in der Runde saß. Und was tat mir dieser so nett aussehende Mann leid. Seine rhetorische Unbeholfenheit, die sich in überlangen Pausen und dem ständigen Abbruch und Neubeginn von Sätzen äußerte, ließ sich mir die Frage stellen, warum man ihm und den Zuschauern das eigentlich antut. Wie dem auch sei, schon bald wurde klar, dass Sarrazin vieles ist, aber bestimmt nicht schüchtern oder um klare Formulierungen verlegen. Als der Senat in Berlin die Kitagebühren erhöhte, schleuderte er protestierenden Eltern entgegen, sie sollen doch bitte doch nicht so tun, als müssten sie ihre Kinder ins Konzentrationslager schicken. Zudem rechnete er Hartz4-Empfängern mal kurz vor, dass man sich für 5 Euro am Tag gesund und ausgewogen ernähren kann. Und neulich ließ er verlauten, dass er keinen anerkennen muss, der diesen Staat ablehnt und ein Großteil der Türken und Araber in Berlin lediglich Gemüseläden betreibe und Kopftuchmädchen produziere. Womit wir beim Thema des Buches wären. In "Deutschland schafft sich ab" äußert sich der Großmeister der gepflegten Provokation zur seiner Ansicht nach unser Land zerstörenden Einwanderungspolitik.

"Ich möchte, dass meine Urenkel in 100 Jahren noch in Deutschland leben können, wenn sie dies wollen. Ich möchte nicht, dass das Land meiner Enkel und Urenkel zu großen Teilen muslimisch ist, dass dort über weite Strecken Türkisch oder Arabisch gesprochen wird, die Frauen ein Kopftuch tragen und der Tagesablauf vom Ruf der Muezzine bestimmt wird. Wenn ich das erleben will, kann ich eine Urlaubsreise ins Morgenland buchen." Reicht dieser Satz aus, um Sarrazin mal wieder aus der SPD ausschließen und sein Buch auf rassistisches Gedankengut untersuchen lassen zu wollen wie es Sigmar Gabriel heute gefordert hat? Befindet sich Sarrazin auf den Spuren von Haider, Wilders und Co und spielt auf der Klaviatur rechtsextremer Ressentiments? Oder leistet er einen wertvollen Beitrag zu einem uns alle angehenden Politikfeld, indem er es erreicht, dass durch seine klare Formulierungen ein breiter Teil der bildungsfernen Bevölkerungsschichten erreicht wird, die sich sonst nur durchs Unterschichtenprogramm zappt? Das wirkliche interessante an Sarrazins Buch ist nicht wirklich das, was er schreibt, sondern wie er es schreibt. Mal Hand aufs Herz: Wer zieht schon mit seinen Kindern freiwillig in einen Bezirk, wo er oder sie weiß, dass die eigenen Kindern in der Schule eine ethnische Minderheit darstellen werden? Auf welche Schulen schickt das linksliberale Establishment seine Kinder? Öztürk und Al-Kuz heißen da höchsten die Reinigungskräfte. Ich denke, dass Sarrazin so die Emotionen hochkochen lässt, da er vielen Deutschen einen Spiegel vorhält, in dem sie sich so sehen, wie sie eigentlich überhaupt nicht sein möchten. Man möchte wirklich aus tiefstem Herzen tolerant sein, man möchte, dass jeder Mensch seine Kultur ausleben kann. Aber dennoch ahnt man, dass der Preis für diese Toleranz ein hoher sein könnte, dass fremde Kulturen nicht immer an einem friedlichen Zusammenleben interessiert sind, dass man für den Erhalt der eigenen kulturellen Identität früher oder später auch mal den Mut zur Intoleranz haben muss. Das ist die für viele brutale Wahrheit, die der Hofnarr Sarrazin den Menschen ins Gesicht schreit.

Das lustige ist, dass Sarrazins konkrete Forderungen relativ gemäßigt daherkommen: Verpflichtende Teilnahme an Sprachkursen für Migranten mit Abzügen bei ALG II bei Nichtteilnahme, verpflichtender Besuch eines Kindergartens ab dem dritten Lebensjahr, keine Grundsicherung für zuziehende Ehegatten für zehn Jahre, Verbot von Kopftüchern an Schulen, Zuwanderung zuvörderst für Hochqualifizierte. Mit diesen Forderungen deckt Sarrazin das politische Spektrum von Mitte-Links bis Mitte-Rechts ab, aber eben nicht darüber hinaus. Der Grund für die Aufregung liegt, wie beschreiben, eher im tiefenpsychologischen Bereich.

Fazit: Natürlich vereinfacht Sarrazin, natürlich wählt er seine Statistiken höchst selektiv aus, natürlich verallgemeinert er, aber welcher Politiker macht das alles nicht?? Auch denke ich, dass das Buch von vielen Menschen, die seit Jahren als Migranten vollassimiliert in Deutschland leben, als verletzend empfunden werden kann. Dies ist meiner Ansicht jedoch ein fairer Preis, den man dafür zahlt, in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft leben zu dürfen. Debatten werden hier frei, unzensiert und daher auch mit harten Bandagen geführt. Emotionale Kollateralschäden im Verlauf solcher Debatten sind für Betroffene nicht angenehm, aber auch nicht immer zu vermeiden. Und das ist auch gut so...

Anmerkung: Diese Rezension beruht auf einer Vorabveröffentlichung im "Spiegel".



Jani's Kommentar:

Ich komm nicht drumherum - ich muß es selbst lesen - auch wenn ich eine eher gespaltene Einstellung zu Herrn Sarrazin habe. Denn seine Äußerungen - frei von jeglicher Emphatie - über Hartz 4 Empfänger hatten mich doch sehr, wie im Übrigen viele Ost-Deutsche, getroffen.

Seine Form, die Dinge an- und auszusprechen, läßt doch sehr zu wünschen übrig. Auch muß man bedenken, dass er doch ein Träger dieses Systems über Jahrzehnte war. Und nein, ich habe mich bis dato mit seiner Person und Arbeitsweise nicht auseinandergesetzt.

Gemäß dem, wie schon in der Bibel geschrieben steht ... "Drum prüfet alles und das Gute behaltet." Nichts ist so schlecht, dass man daraus nichts lernen kann. Um ihm sachlich gerecht zu werden, muß man dieses Buch lesen. Denn seine Thesen sind für jemanden, der sich seit Jahren mit dem Islam auseinandersetzt, nicht Neues. Insofern hat er mit vielem, was er schreibt, inhaltlich Recht.

Und das, was jetzt in den Medien passiert, was von Politikern aller Parteien mitgetragen - sogar forciert wird??? - ist nicht besser, als das was man Thilo Sarrazin vorwirft.

Noch leben wir in einem Land der Meinungsfreiheit, auch wenn diese ganz offensichtlich beschnitten werden soll. Bspw. indem man versucht, alle Islamkritiker als Nazis zu diffamieren oder ihnen zumindest Ausländerfeindlichkeit zu unterstellen. Das ist der Versuch, Menschen mundtot zu machen.

Unbequeme Mitmenschen "nehmen sich dann auch schon mal das Leben" ....... . In diesem Zusammenhang erinnere ich mal wieder an Kristen Heisig ==> "Das Ende der Geduld". Dieses Buch erhärtet so manche These Thilo Sarrazin's.


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