Folgt dem Brexit nun ein Exit der Rest-EU aus der Demokratie? Seit der
Volksabstimmung in Großbritannien überbietet sich die Lügenpresse mit
Vorschlägen für die Abschaffung von Wahlen und Abstimmungen. Es folgen Auszüge aus einem Artikel, den Sie ungekürzt in der brandneuen COMPACT 8 72016 lesen können: am Kiosk kaufen oder – Hier bestellen
_von Martin Müller-Mertens
Kaum hatten sich die Briten am 23.
Juni für ihre Unabhängigkeit entschieden, sausten die publizistischen
Holzhämmer des deutschen Mainstreams nieder. Nicht etwa die
Allmachtsallüren des Brüsseler Molochs seien der Grund für den
Liebesentzug der Briten. Schuld hätten vielmehr alte Männer, dumme
Weiße: Das Volk ist der Feind. Selten rollte die Lawine der
Hass-Kommentare so ungebremst: Für den Publizisten Sergej Lochthofen –
lange Jahre Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen, häufiger Gast im
ARD-Presseclub – waren es die «Wut-Alten», die Großbritannien ins
Unglück stürzten. «Nationalisten, Rassisten, Antisemiten und sonstige
Patrioten, sie alle haben dank der alten, unzufriedenen Männer
Konjunktur.» Daher gebe es nur eine Lösung: «Auffälligen Männern ab 65
wird europaweit das Wahlrecht entzogen.»
Auch
der Spiegel-Ableger bento gefiel sich im Rentner-Bashing: «Liebe
Generation Rollator, macht mir mein Europa nicht kaputt.» Es blieb nicht
bei der Schelte gegen «dumme weiße Männer» (Taz). Dass die
Schicksalsfrage der EU-Mitgliedschaft überhaupt Wähler in hoher Zahl an
die Urnen brachte, monierte der Deutschlandfunk: «In vielen Gegenden
Nordenglands hatten bei diesem Referendum Menschen abgestimmt, die schon
seit Thatchers Zeiten nicht mehr zur Wahl gegangen waren.»
(…)
Schnell
stand die Demokratie insgesamt unter dem Verdikt der
Europafeindlichkeit – und damit zur Disposition. «Volksabstimmungsfans
vom Schlage Farange [sic], Johnson, Wilders, Le Pen und Petry sind keine
Reformer, sondern Zerstörer», dröhnte die Zeit. Die langjährige
Taz-Edelfeder Bettina Gaus betonte nun, «dass Volksbefragungen nicht das
Hochamt der Demokratie sind». Am deutlichsten wurde Spiegel-Kolumnist
Georg Diez: «Der Brexit etwa – und auch die österreichische
Präsidentenwahl, die nun wiederholt wird – hat gezeigt, zu welch
bizarren Ergebnissen und Verwerfungen es führen kann, wenn die Mehrheit
entscheidet». Selten schrieben sich Deutschlands Hofjournalisten ihren
kaum noch latenten Hass auf das Volk derber von der kosmopolitischen
Seele als in den Tagen nach der britischen Entscheidung.
(…)
Eine
Stunde und 29 Minuten, nachdem Großbritanniens Wahlleitung das Ergebnis
bekanntgegeben hatte, stellte Volker Kauder klar: «In Deutschland wäre
eine solche Entscheidung nicht möglich.» Damit steht der
Fraktionsvorsitzende der Union im Bundestag gegen das Grundgesetz, in
dem eindeutig festgeschrieben ist: «Alle Staatsgewalt geht vom Volke
aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen (…) ausgeübt.»
(Artikel 20,2) Während das Wahlrecht jedoch durch ein Ausführungsgesetz
geregelt ist, fehlt eine solche Bestimmung für bundesweite Abstimmungen –
und ist auch nicht in Sicht. So standen Referenden auf nationaler Ebene
2013 noch im Wahlprogramm der SPD. Nun erklärte Partei-Vize Ralf
Stegner, Volksabstimmungen einzuführen habe «keine Aktualität und ist
momentan nicht unsere Absicht».
Bereits im April lancierte die
Denkfabrik EurActiv einen programmatischen Beitrag gegen direkte
Demokratie. «Vielleicht ist es Zeit für ein EU-Verbot von Referenden»,
urteilte Autor Fraser Cameron, ein ehemaliger Berater der EU-Kommission.
Dabei ist EurActiv nicht irgendeine der unzähligen Lobbyvereinigungen
und Nichtregierungsorganisationen im Dunstkreis der EU-Zentrale.
«EurActiv genießt die breite Unterstützung von Politikern, NGOs und der
Presse und nimmt innerhalb der ”Gemeinschaft der EU-Akteure” eine
zentrale Stellung ein», schreibt die Denkfabrik über sich selbst. 2015
erhielt sie nach Angaben des EULobbyregisters 59.600 Euro «von
EU-Organen». Leiter von EurActiv sind Christophe Leclercq, nach Angaben
von Blogactiv ein früherer «Offizieller der EU-Kommission», sowie Joao
Diogo Pinto, Chef der EU-föderalistischen Europäischen Bewegung
International und Mitglied der einflussreichen Spinelli-Gruppe. Resonanz
findet die Forderung nach einem Verbot direkter Demokratie auch im
EU-Parlament. Insbesondere die Grünen-Fraktionsvorsitzende Rebecca Harms
reagierte nach dem Votum der Holländer gegen den
EU-Assoziierungsvertrag mit der Ukraine im April aufgescheucht.
«Volksabstimmungen, die so angelegt sind wie jene in den Niederlanden,
können die EU in ihrem Bestand gefährden», diktierte sie dem Kölner
Stadtanzeiger. Auch der österreichische EU-Abgeordnete Othmar Karas
pflichtete der Attacke bei. «Nationale Referenden über EU-Beschlüsse
sind eine Flucht aus der Verantwortung, ein Zeichen von Schwäche», so
der ÖVP-Politiker.
Compact
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