Freitag, 5. Juni 2015

Diskussionskultur nach diktatorischen Regeln

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Tiefpunkt der Debatte

Die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer hat Bedenken an der „Ehe für alle“ geäußert – und prompt empörten sich deren Verfechter. Eine echte Debatte scheint nicht gewollt zu sein. Ein Kommentar von Jonathan Steinert

Sie hat‘s getan: Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) hat sich kritisch zur „Ehe für alle“ geäußert. Und wenig überraschend ist der Aufschrei groß. Ein „Tiefpunkt in der Debatte“ sei das, sagte etwa SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi. Andere nannten die Äußerung „eine Unverschämtheit“ und forderten eine Entschuldigung. Familienministerin Manuela Schwesig fand die Anmerkung Kramp-Karrenbauers „unterirdisch und respektlos“. Sogar eine Strafanzeige wegen Volksverhetzung hat die saarländische Ministerpräsidentin inzwischen am Hals.
Ein Tiefpunkt der Debatte ist dies tatsächlich. Aber nicht wegen Kramp-Karrenbauers Aussage. Sondern wegen der Reaktionen darauf. Denn diese offenbaren: Die Verfechter einer „Ehe für alle“ wollen gar keine Debatte. Sie wollen Zustimmung. Und die hat Kramp-Karrenbauer nicht geliefert. Stattdessen gab sie einen sachlichen, analytischen Debattenbeitrag ab. In der Saarbrücker Zeitung sagte sie: „Wir haben in der Bundesrepublik bisher eine klare Definition der Ehe als Gemeinschaft von Mann und Frau. Wenn wir diese Definition öffnen in eine auf Dauer angelegte Verantwortungspartnerschaft zweier erwachsener Menschen, sind andere Forderungen nicht auszuschließen: etwa eine Heirat unter engen Verwandten oder von mehr als zwei Menschen.“

Wir definieren uns die Welt, wie sie uns gefällt

Daraus wurde dann schnell der Vorwurf, die CDU-Politikerin setze homosexuelle Partnerschaften mit Inzest und Polygamie gleich – was sie gar nicht tat. Aber offenbar hat keiner ihrer Kritiker so genau hingehört. Vielleicht, um sich nicht mit Argumenten auseinandersetzen zu müssen. Man kann die Folgen, die Kramp-Karrenbauer in Erwägung zieht, für zutreffend halten oder nicht. Grundsätzlich ist es jedenfalls nicht unvorstellbar, dass „Ehe“ nicht nur ein einziges Mal umdefiniert wird, wenn man erst einmal damit angefangen hat.
Von „Dammbrüchen“ ist hin und wieder die Rede, wenn ethisch-moralische oder gesellschaftlich anerkannte Grenzen infrage gestellt werden. Warum sollte es in diesem Fall nicht zumindest möglich sein, dies zu denken und zu äußern? Ganz abgesehen von einem anderen Thema, das in dem Zusammenhang selten erörtert wird und das Kramp-Karrenbauer ansprach: das Kindeswohl.
Ausgerechnet jene, die Toleranz gegenüber Minderheiten und deren Meinungen einfordern, lassen in der „Debatte“ über die Öffnung der Ehe, um Homosexualität und sexuelle Identität leider häufig an Toleranz vermissen. Wer nicht dafür ist, wird öffentlich diffamiert. Oder vor Gericht gezogen. Aber Meinungsfreiheit bedeutet, die Freiheit zu haben und sie anderen zuzugestehen, ungestraft anderer Meinung zu sein. Dann wäre auch eine ehrliche Debatte möglich. Wenn sie gewollt wäre. (pro)


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