von Giacomo Corneo
Eine rasche Tilgung der Staatsschulden bringt uns keine Generationengerechtigkeit, schafft Spielraum für politischen Opportunismus und schadet den deutschen Kleinanlegern. Vor allem lenkt sie die Debatte von den wichtigen ökonomischen Fragen in Deutschland ab.
Als ich noch in Italien lebte, plünderten Christdemokraten und Sozialisten dort die Kassen des Staates. Es herrschten Verschwendung und Korruption, und die Staatsverschuldung kletterte auf 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), begleitet vom sinkenden Vertrauen in öffentliche Institutionen und die Politik. Kein Wunder also, dass ich die deutsche Stabilitätskultur als angenehm beruhigend empfinde. Gleichwohl ist es für den Ökonomen in mir befremdlich, wie oft in Deutschland die Staatsverschuldung verteufelt wird.
Schlagworte wie Schuldenbremse, Generationengerechtigkeit oder Haushaltskonsolidierung bestimmen hierzulande die Debatte. Dabei sind Schulden an sich nichts Schlimmes, während die Politik durch unkontrolliertes Sparen des Staates das bisher so erfolgreiche Gesellschaftsmodell Deutschlands aufs Spiel setzen kann.
Zwar ist die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen zu Recht das zentrale Grundanliegen jedes guten Finanzministers. Denn sie bedeutet, dass der Staat sämtliche Verpflichtungen erfüllen wird, die er mit der Aufnahme von Schulden eingegangen ist. Der Blick ist dabei in die Zukunft gerichtet, auf den Zeitpunkt, wenn die Zinsen gezahlt und die Schulden getilgt werden müssen. So konnte sich der japanische Staat bisher trotz einer Schuldenstandsquote von 200 Prozent immer noch problemlos refinanzieren. Die irischen öffentlichen Finanzen galten dagegen bereits bei einer Schuldenstandsquote von etwa 60 Prozent als nicht mehr nachhaltig. Das liegt daran, dass die Märkte nicht nur auf die Höhe der Staatsschulden schauen, sondern auch auf die zu erwartenden Haushaltssalden. Japan trauen die Anleger zu, in Zukunft ausreichende Primärüberschüsse zu erzielen. Bei Irland fürchten sie dagegen, dass das Land zahlungsunfähig wird, und verlangen daher eine Risikoprämie.
Es ist unbestritten, dass Länder wie Irland ihre Haushalte konsolidieren sollten, um den Zinssatz für neue Kredite zu verringern. In Ländern wie Deutschland, das von den Märkten als hundertprozentig kreditwürdig betrachtet wird, gilt diese Logik aber nicht. Für sie ist es viel wichtiger herauszufinden, wie hoch ihre optimale, staatliche Neuverschuldung ist.
Ja, so etwas gibt es. Die beste Analogie, um das zu erklären, ist die des „guten Familienvaters“. Wann geht dieser zur Bank, um einen Kredit aufzunehmen? Wenn er dadurch das Wohlergehen seiner Familie erhöht. Dies geschieht, wenn für seine Familie der Nutzen der durch die Verschuldung ermöglichten Investition die Kosten der Verschuldung (Zinsen und Tilgung) übersteigt. Analog dazu sollte der Staat zum Weltkapitalmarkt pilgern und sich verschulden, wenn für seine Bürger der Ertrag der damit finanzierten Maßnahmen (Steuersenkung, Transfererhöhung, Erhöhung des Staatskonsums oder der öffentlichen Investitionen) die Kosten der Verschuldung (Zinsen und Tilgung) übersteigt. Umgekehrt ist ein Schuldenabbau sinnvoll, wenn die vermiedenen Kosten der Verschuldung größer sind als der soziale Ertrag der Maßnahmen, auf die verzichtet wird.
Als guter Familienvater kann der Staat durch eigene Verschuldung und Entschuldung die Steuersätze im Zeitverlauf konstant halten. Dadurch verringert er die Kosten für die Privathaushalte, die aus einer ständig schwankenden Besteuerung resultieren würden. Ferner sollte die staatliche Neuverschuldung antizyklisch sein. So bedingt die relativ hohe Arbeitslosigkeit während einer Rezession, dass die tatsächlichen Kosten von Neueinstellungen für den Staat geringer sind als die dafür bezahlten Löhne. Kreditfinanzierte öffentliche Vorhaben, die indirekt Arbeitsplätze schaffen oder sichern, sind daher am Anfang einer Rezession viel sinnvoller als während eines Booms.
Entgegen der Sicht der Boulevardpresse und des Bundes der Steuerzahler beinhaltet die nominale Höhe der Staatsverschuldung keine relevante Information. Dagegen signalisiert ein konstantes Verhältnis der Staatsschulden zum BIP – die Schuldenstandsquote – sowohl den Wählern als auch den Märkten, dass die künftige Verschuldung nicht ausufern wird. Falsch ist die Vorstellung, dass ausgeglichene Haushalte die Schuldenstandsquote stabilisieren. Bei nominal wachsendem BIP und Nulldefiziten verringert sich ständig die Schuldenstandsquote, bis sie verschwindend gering ist.
Hartnäckig wird auch behauptet, dass eine rasche Schuldentilgung zu geringeren Kosten für den Staat führe. Es stimmt zwar, dass eine hohe Verschuldung mit hohen Schuldendienstaufwendungen einhergeht. Beträgt die Schuldenstandsquote 70 Prozent und refinanziert sich der Staat zu einem Zins von 4 Prozent, gibt er jedes Jahr 2,8 Prozent des BIP für die Zinsen aus. Es ist aber ein Irrtum, dass die Lasten für den Staat geringer wären, wenn er sofort einen Teil seiner Schulden tilgen würde. Zahlt der Staat heute eine bestimmte ausgeliehene Summe vorzeitig zurück, vermeidet er zwar entsprechende künftige Zinsausgaben, aber das auf diese Art verwendete Geld steht ihm dann nicht mehr zur Verfügung. Der Staat hätte dieses Geld beispielsweise für festverzinsliche Wertpapiere ausgeben können. Durch die Tilgung verzichtet der Staat auf die Zinsen, die diese Wertpapiere abgeworfen hätten. Dieser verborgene Einnahmeverlust ist mindestens so groß wie die Zinsausgaben, die sich der Staat dank der vorzeitigen Tilgung erspart.
Eine rasche Tilgung der Staatsschulden bringt uns keine Generationengerechtigkeit, schafft Spielraum für politischen Opportunismus und schadet den deutschen Kleinanlegern. Vor allem lenkt sie die Debatte von den wichtigen ökonomischen Fragen in Deutschland ab.
Als ich noch in Italien lebte, plünderten Christdemokraten und Sozialisten dort die Kassen des Staates. Es herrschten Verschwendung und Korruption, und die Staatsverschuldung kletterte auf 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), begleitet vom sinkenden Vertrauen in öffentliche Institutionen und die Politik. Kein Wunder also, dass ich die deutsche Stabilitätskultur als angenehm beruhigend empfinde. Gleichwohl ist es für den Ökonomen in mir befremdlich, wie oft in Deutschland die Staatsverschuldung verteufelt wird.
Schlagworte wie Schuldenbremse, Generationengerechtigkeit oder Haushaltskonsolidierung bestimmen hierzulande die Debatte. Dabei sind Schulden an sich nichts Schlimmes, während die Politik durch unkontrolliertes Sparen des Staates das bisher so erfolgreiche Gesellschaftsmodell Deutschlands aufs Spiel setzen kann.
Zwar ist die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen zu Recht das zentrale Grundanliegen jedes guten Finanzministers. Denn sie bedeutet, dass der Staat sämtliche Verpflichtungen erfüllen wird, die er mit der Aufnahme von Schulden eingegangen ist. Der Blick ist dabei in die Zukunft gerichtet, auf den Zeitpunkt, wenn die Zinsen gezahlt und die Schulden getilgt werden müssen. So konnte sich der japanische Staat bisher trotz einer Schuldenstandsquote von 200 Prozent immer noch problemlos refinanzieren. Die irischen öffentlichen Finanzen galten dagegen bereits bei einer Schuldenstandsquote von etwa 60 Prozent als nicht mehr nachhaltig. Das liegt daran, dass die Märkte nicht nur auf die Höhe der Staatsschulden schauen, sondern auch auf die zu erwartenden Haushaltssalden. Japan trauen die Anleger zu, in Zukunft ausreichende Primärüberschüsse zu erzielen. Bei Irland fürchten sie dagegen, dass das Land zahlungsunfähig wird, und verlangen daher eine Risikoprämie.
Es ist unbestritten, dass Länder wie Irland ihre Haushalte konsolidieren sollten, um den Zinssatz für neue Kredite zu verringern. In Ländern wie Deutschland, das von den Märkten als hundertprozentig kreditwürdig betrachtet wird, gilt diese Logik aber nicht. Für sie ist es viel wichtiger herauszufinden, wie hoch ihre optimale, staatliche Neuverschuldung ist.
Ja, so etwas gibt es. Die beste Analogie, um das zu erklären, ist die des „guten Familienvaters“. Wann geht dieser zur Bank, um einen Kredit aufzunehmen? Wenn er dadurch das Wohlergehen seiner Familie erhöht. Dies geschieht, wenn für seine Familie der Nutzen der durch die Verschuldung ermöglichten Investition die Kosten der Verschuldung (Zinsen und Tilgung) übersteigt. Analog dazu sollte der Staat zum Weltkapitalmarkt pilgern und sich verschulden, wenn für seine Bürger der Ertrag der damit finanzierten Maßnahmen (Steuersenkung, Transfererhöhung, Erhöhung des Staatskonsums oder der öffentlichen Investitionen) die Kosten der Verschuldung (Zinsen und Tilgung) übersteigt. Umgekehrt ist ein Schuldenabbau sinnvoll, wenn die vermiedenen Kosten der Verschuldung größer sind als der soziale Ertrag der Maßnahmen, auf die verzichtet wird.
Als guter Familienvater kann der Staat durch eigene Verschuldung und Entschuldung die Steuersätze im Zeitverlauf konstant halten. Dadurch verringert er die Kosten für die Privathaushalte, die aus einer ständig schwankenden Besteuerung resultieren würden. Ferner sollte die staatliche Neuverschuldung antizyklisch sein. So bedingt die relativ hohe Arbeitslosigkeit während einer Rezession, dass die tatsächlichen Kosten von Neueinstellungen für den Staat geringer sind als die dafür bezahlten Löhne. Kreditfinanzierte öffentliche Vorhaben, die indirekt Arbeitsplätze schaffen oder sichern, sind daher am Anfang einer Rezession viel sinnvoller als während eines Booms.
Entgegen der Sicht der Boulevardpresse und des Bundes der Steuerzahler beinhaltet die nominale Höhe der Staatsverschuldung keine relevante Information. Dagegen signalisiert ein konstantes Verhältnis der Staatsschulden zum BIP – die Schuldenstandsquote – sowohl den Wählern als auch den Märkten, dass die künftige Verschuldung nicht ausufern wird. Falsch ist die Vorstellung, dass ausgeglichene Haushalte die Schuldenstandsquote stabilisieren. Bei nominal wachsendem BIP und Nulldefiziten verringert sich ständig die Schuldenstandsquote, bis sie verschwindend gering ist.
Hartnäckig wird auch behauptet, dass eine rasche Schuldentilgung zu geringeren Kosten für den Staat führe. Es stimmt zwar, dass eine hohe Verschuldung mit hohen Schuldendienstaufwendungen einhergeht. Beträgt die Schuldenstandsquote 70 Prozent und refinanziert sich der Staat zu einem Zins von 4 Prozent, gibt er jedes Jahr 2,8 Prozent des BIP für die Zinsen aus. Es ist aber ein Irrtum, dass die Lasten für den Staat geringer wären, wenn er sofort einen Teil seiner Schulden tilgen würde. Zahlt der Staat heute eine bestimmte ausgeliehene Summe vorzeitig zurück, vermeidet er zwar entsprechende künftige Zinsausgaben, aber das auf diese Art verwendete Geld steht ihm dann nicht mehr zur Verfügung. Der Staat hätte dieses Geld beispielsweise für festverzinsliche Wertpapiere ausgeben können. Durch die Tilgung verzichtet der Staat auf die Zinsen, die diese Wertpapiere abgeworfen hätten. Dieser verborgene Einnahmeverlust ist mindestens so groß wie die Zinsausgaben, die sich der Staat dank der vorzeitigen Tilgung erspart.
.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen