"Die Reichen sind die wahren Sozialschmarotzer"
Reinhard Jellen
02.05.2012
Gespräch mit Kathrin Hartmann über Hartz IV, Super-Gentrifizierung und die Politik der Tafeln
Die zunehmende Rücknahme der zivilisatorischen Elemente in der ausgereiften bürgerlichen Gesellschaft schildert Kathrin Hartmann in ihrem Buch Wir müssen leider draussen bleiben. Ein Gespräch mit der Autorin.
"Entsolidarisierung"
Ihr Buch handelt einerseits von der umfassenden
Dehumanisierung der Gesellschaft: Die Menschen müssen sich immer mehr
den Erfordernissen der Wirtschaft unterordnen, werden also zunehmend auf
den homo oeconomicus reduziert und der Großteil der Leute auf ihre
ökonomische Teilfunktion als Arbeitskraft und also Profit-Quelle für das
Wirtschaftswachstum degradiert. Fällt man aus diesem Prozess heraus,
kommen nach kurzer Zeit massive soziale Ausschließungsmechanismen zum
Tragen. Andererseits beschäftigen Sie sich mit der Durchsetzung des
bürgerlichen Menschen- und Weltbildes in sämtliche gesellschaftliche
Bereiche: Elitenbildung, den Neoliberalismus in der Politik,
Gentrifizierung etcetera. Wie hängen diese beiden thematischen Komplexe
zusammen?
Kathrin Hartmann:
Sie bedingen einander. Beides ist Ergebnis einer jahrelangen
neoliberalen Politik, deren Opfer in irgendeiner Form wir alle sind.
Sogar die Oberschicht, auch wenn sie dies nicht glauben mag.
Inwiefern?
Kathrin Hartmann:
Der Neoliberalismus ist uns als Chance, als Gelegenheit für mehr
Eigenverantwortung verkauft worden, stellt aber in Wahrheit eine
Kampfansage dar: Die Menschen wurden zu Konkurrenten gemacht und in den
Wettbewerb geschickt. In diesem Wettbewerb gibt es Gewinner und
Verlierer. Und da gibt es glasklar ökonomische Verlierer, die neuen
Armen und Langzeitarbeitslosen.
Die Oberschicht wiederum leidet an Status-Panik.
Auch unter den Reichen gibt es nämlich einen Wettbewerb um die
Zugehörigkeit zu ihrem exklusiven Club. Also selbst unter denen, die
materiell ausgesorgt haben, ist es keineswegs so, dass sie glücklich
sind. Dazwischen gibt es die Mittelschicht, die zunehmend vom Abstieg
bedroht ist und aus diesem Grund immer ängstlicher wird. Doch anstatt
sich mit den Krisenopfern zu solidarisieren, tritt die Mittelschicht
nach unten und orientiert sich nach oben. Dies aus der völlig irrigen
Annahme, dass sie eher zur Elite gehört, von denen sie sehr viel mehr
Geld und Besitz trennt als von der Unterschicht.
Je kleiner die gesellschaftlichen Unterschiede,
umso größer das Bedürfnis, sich nach unten abzugrenzen. Das ist
natürlich fatal, denn damit unterstützt die Mittelschicht alle
politische Entscheidungen, die ihr selbst schaden. Tatsächlich ist durch
diesen Wettbewerb eine Entsolidarisierung entstanden, die durch die
ganze Gesellschaft geht.
.....
.....
Der neoliberale Theoretiker Friedrich August von Hayek
hat über den Kapitalismus, also einem Wirtschaftssystem, das auf
Sachzwänge und Eigengesetzlichkeiten beruht, gesagt, von diesem
Gerechtigkeit zu fordern, wäre in etwa so sinnvoll wie der Ruf nach
einem gerechten Luftdruck. In der öffentlichen Debatte wird jedoch vor
allem die Gier der Reichen, Mächtigen und Konzerne beklagt. Ist es
möglich, dass hier Herr Hayek mehr recht hat als Sandra Maischberger?
Kathrin Hartmann: Na
klar! Die Forderung, die Wirtschaft sollte selber Verantwortung zeigen
und die Banker sollen nicht so gierig sein, ist Blödsinn. Natürlich
bereichern sich Manager auf unsere Kosten, aber wenn die Politik diese
Form des Wirtschaftens in ein gesetzliches Fundament gegossen hat, kann
man den einzelnen Banker nicht zum Vorwurf machen, dass er seinen Job
innerhalb des Systems macht. Das ist völlig lächerlich. Man muss sich
doch viel eher fragen, warum ausgerechnet die Politiker wie Peer
Steinbrück und Franz Müntefering, die die Liberalisierung des
Finanzmarktes und der Wirtschaft vorangetrieben und durchgesetzt haben,
von den Heuschrecken und der Privatgier reden.
"Ausschluss der Armen aus der Konsumgesellschaft"
Kathrin Hartmann:
Weil sie das System stabilisieren. Die Tafeln sammeln übriggebliebenes
Essen von Supermärkten, das sonst weggeschmissen werden würde und
verteilen es an die Bedürftigen. Das klingt zwar super, weil es so
pragmatisch daherkommt: Man nimmt Nahrungsmittel, die ansonsten entsorgt
würden und gibt es an Leute, die nichts haben.
Tatsächlich zeigt es aber sehr deutlich den
Ausschluss der Armen aus unserer Konsumgesellschaft, denn für die Armen
bleiben nur noch die sprichwörtlichen Brosamen übrig. Und es suggeriert,
dass man gegen Armut in diesem Land nichts mehr zu machen braucht, weil
die Armen über die Tafeln aufgefangen würden.
Zwar sind die Tafeln für die Leute hilfreich, der
Skandal aber liegt darin, dass es überhaupt solche Tafeln in einem
reichen Land wie Deutschland geben muss. Sollen Arme im Ernst dankbar
dafür sein, dass sie mit Müll abgefüttert werden?
....
3 Kommentare:
Zu der im Beitrag geäußerten Kritik an den Tafeln möchte ich hinzufügen, dass die Handelsunternehmen keineswegs aus altruistischen Motiven Lebensmittel an die Tafeln spenden. Vielmehr ist es für sie ein sehr gutes Geschäft. Denn die Tafeln müssen sich in der Regel verpflichten, alles abzunehmen, was ihnen angeboten wird. Und das ist zu einem ganz erheblichen Teil schlichtweg (Bio-)Müll, der dann von den Tafeln aussortiert und kostenpflichtig entsorgt werden muss. Für die Entsorgung, deren Kosten die Handelsketten sich so ersparen, wenden die Tafeln einen hohen Anteil ihrer Finanzmittel auf.
Ach, ich habe vergessen, zu erwähnen, dass die Handelsunternehmen natürlich für den Müll eine Spendenquittung bekommen, die sie steuerlich geltend machen können. So wird an den ärmsten der Armen doppelt und dreifach profitiert.
Tja, Geld regiert die Welt. Und da, wo es an Gott mangelt, da herrschen Sodom und Gomorra.
Kommentar veröffentlichen