Freitag, 4. April 2014

5. Woche 2014: Sich selber prüfen (Johannes 8,1–9)

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Selber denken! Sieben Wochen ohne falsche Gewissheiten
5. Woche:  „Sich selber prüfen“ (Johannes 8,1–9)
Jesus aber ging zum Ölberg. Und frühmorgens kam er wieder in den Tempel, und alles Volk kam zu ihm, und er setzte sich und lehrte sie. Aber die Schriftgelehrten und Pharisäer brachten eine Frau, beim Ehebruch ergriffen, und stellten sie in die Mitte und sprachen zu ihm: Meister, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ergriffen worden. Mose aber hat uns im Gesetz geboten, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du? Das sagten sie aber, ihn zu versuchen, damit sie ihn verklagen könnten.

Aber Jesus bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde. Als sie nun fortfuhren, ihn zu fragen, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie. Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde. Als sie aber das hörten, gingen sie weg, einer nach dem anderen, die Ältesten zuerst; und Jesus blieb allein mit der Frau, die in der Mitte stand.

Liebe Fastende und Selberdenkende!

Die fünfte Fastenwoche bricht an, und mit der voranrückenden Passionszeit werden auch unsere Gedankenübungen immer herausfordernder. „Sich selber prüfen“ ist die Aufgabe für diese Woche, und das ist eine Herausforderung, der sich die meisten Menschen nicht gern freiwillig stellen. Es klingt nach Therapie, Analyse oder „sich selber kleinmachen“. Wir bekommen für diese Wochenaufgabe natürlich wieder einen Bibeltext an die Hand, der uns beim „Selberprüfen“ helfen kann. Er ist vielen Menschen gut bekannt, vor allem dieser Spitzensatz von Jesus ist sprichwörtlich geworden: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.“ Bevor Jesus diesen Satz aber sagt, geschieht eine Menge. Beginnen wir also von vorn.
Die Szene spielt im Tempel in Jerusalem. Jesus ist schon früh am Tage dort und lehrt anscheinend eine sehr große Menge von Leuten. Dann wird er von einigen dieser Leute vor eine unmögliche Situation gestellt. Man schleppt eine Frau heran, die beim Ehebruch ertappt wurde. Man stellt die arme Person in die Mitte der Menge und verlangt von Jesus eine Bestätigung des Todesurteils, das bereits über sie gesprochen ist. Ja, die meisten der Umstehenden werden es wissen: Auf Ehebruch steht die Todesstrafe. Es steht so in Levitikus 20,10: Wenn jemand die Ehe bricht mit der Frau seines Nächsten, so sollen beide des Todes sterben, Ehebrecher und Ehebrecherin. Merkwürdigerweise scheint es in der Szene im Tempel niemanden zu stören, dass hier nicht beide Delinquenten angeschleppt werden, sondern lediglich die Frau. Die Situation ist für diese Frau mit Sicherheit unerträglich. Man möchte sich wünschen, dass Jesus sich sofort um sie kümmert und sie in Sicherheit bringt. Stattdessen reagiert er ausgesprochen merkwürdig. Er bückt sich und verweigert sich auf diese Weise vollständig irgendeiner Konfrontation. Erst als die anderen nicht lockerlassen, steht er auf und sagt diesen berühmten Satz: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.“
Das ist natürlich genau das, was das Motto dieser Woche beschreibt: eine Aufforderung, sich selbst zu prüfen. Aber Jesus ist selbst bei dieser Aufforderung ausgesprochen zurückhaltend und wenig konfrontativ. Er macht keine Vorwürfe. Er fragt die Leute nicht nach ihren Sünden. Vielmehr überlässt er es jedem Umstehenden, selbst etwas zu finden und daraus die Konsequenzen zu ziehen. Jesus verlangt keine öffentliche Beichte, sondern lediglich, dass alle mit sich selbst ehrlich umgehen. Und das, was sie an sich selbst entdecken sollen, ist zunächst nichts weiter, als dass sie gerade selbstgerecht handeln. Es geht nicht um die Sünden der einzelnen Leute in diesem Moment. Es geht nur darum zuzugeben, dass man sich hier über jemanden erhebt. Das ist die Selbsterkenntnis, die Jesus in diesem Moment von ihnen verlangt.
Nehmen wir also diese Chance wahr. Schauen wir nicht gleich auf all unsere Sünden, sondern auf diese eine: unsere Selbstgerechtigkeit. Für die Übung in dieser Woche bitte ich Sie also um Folgendes:
Machen Sie eine Liste von fünf Menschen, von denen Sie überzeugt sind, dass sie Schlimmes getan haben. Die fünf Personen sollten alle noch am Leben sein. Suchen Sie sich Menschen aus, die Sie möglichst persönlich kennen und von deren „Vergehen“ Sie wirklich überzeugt sind. Was diese Menschen getan haben, muss Sie nicht unbedingt selbst betreffen. Hier ist der Platz für Ihre fünf Kandidatinnen bzw. Kandidaten:

Nun ordnen Sie diese Personen mal nach der Schwere ihres Vergehens. Seien Sie ruhig subjektiv. Es ist ja Ihre Liste. Wessen Sünde am größten ist, der kommt ganz nach oben auf die Liste, die anderen folgen in der entsprechenden Reihenfolge.

Und nun folgt natürlich die Selbstprüfungsaufgabe. Fangen Sie mit dem 5. Namen an, und streichen Sie die Namen nacheinander durch, indem Sie bei jedem Namen laut diesen Satz sagen: „Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.“
Dann fragen Sie sich: Wie schwer ist mir das gefallen? Wie gerecht bin ich diesen Menschen gegenüber? Wie selbstgerecht bin ich? Und schließlich: Bei welchem von diesen muss ich tatsächlich etwa tun, um ihn oder sie von meiner inneren Übeltäter-Liste zu streichen?
Ich wünsche Ihnen eine gute Selbsterkenntnis, und machen Sie es dabei, wie Jesus es vorschlägt: Verurteilen Sie sich auch nicht selbst für das, was Sie entdecken. Lassen Sie Ihren Stein fallen.
Eine gute Woche!
Ihr Frank Muchlinsky


Frank Muchlinsky ist Pastor der Nordkirche. Er hat viele Jahre in der Erwachsenenbildung und in der Diakonie gearbeitet. Sein Schwerpunkt liegt darauf, Glaube und Theologie erfahrbar und verständlich zu machen. Das tut er in seinen Seminaren mit Erziehungsfachkräften an evangelischen Kitas ebenso wie mit der Methode des "Bibliologs", die er seit 1999 anwendet und lehrt. Seit 2012 arbeitet er bei evangelisch.de und betreut dort die Bereiche Glauben und Fragen.

E-Mail: info@7-wochen-ohne.de
Internet: http://www.7wochenohne.de/
Geschäftsführer „7 Wochen Ohne“: Arnd Brummer
Projektkoordination: Frauke Grothe
Technische Realisation:  2007 - 2014: Agentur i-public

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