Montag, 5. Oktober 2009

Die Zukunft des Islam entscheidet sich nicht in Saudi-Arabien, sondern in Europa.

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Von Leon de Winter

Von Winter, Leon de

Die Zukunft des Islam entscheidet sich nicht in Saudi-Arabien, sondern in Europa.

Die Folgen der Einwanderung aus islamischen Ländern stellen ein zentrales gesellschaftliches Problem in vielen europäischen Ländern dar. Eine große Mehrheit muslimischer Einwanderer hat unterschätzt, was es bedeutet, mit Christen und Atheisten zusammenzuleben.

In den europäischen Wohlfahrtsstaaten waren sie von Politikern und Sozialarbeitern umgeben, denen ebenfalls nicht klar war, dass Migration nur dann funktionieren kann, wenn die Eingewanderten bereit sind, sich dem neuen Umfeld anzupassen.

Immigration war einst gleichbedeutend mit harter Arbeit. Nicht so im heutigen Europa. Die Einwandererwelle der vergangenen 40 Jahre war insofern einzigartig, als die Länder, in die diese Menschen eingewandert sind, für viele von ihnen Zehntausende Euro an Arbeitslosen- und Kindergeld gezahlt haben.

Anders ausgedrückt: Unterm Strich sind die Ergebnisse im Hinblick auf Steuereinnahmen und soziale Unruhen (gemessen beispielsweise an den Verbrechensstatistiken) negativ.

Die muslimischen Einwanderer sind nicht nur unter Gefängnisinsassen und Empfängern von Sozialleistungen überproportional vertreten, sondern pflegen auch oftmals einen Lebensstil und ein Wertesystem, das schon in ihren Herkunftsländern als überholt galt - umso mehr im postmodernen Lebensumfeld der westeuropäischen Industrienationen. Dazu gehört die untergeordnete Rolle der Frau ebenso wie die Missachtung von Bildung und die Beibehaltung magischer kultureller und religiöser Muster aus den Herkunftsländern.

Offiziellen niederländischen Statistiken zufolge leben in den Niederlanden rund 335 000 marokkanische und türkische Einwanderer der sogenannten zweiten Generation (bei einer Gesamtbevölkerung von knapp über 16 Millionen Menschen). Bei 289 000 dieser marokkanischen und türkischen Niederländer wurden beide Elternteile nicht in den Niederlanden geboren. Am Arbeitsmarkt nehmen sie nur eingeschränkt teil: im Durchschnitt knapp über 41 Prozent. Zum Vergleich ein traditionelles Einwanderungsland wie Kanada: 70 Prozent.

Der niederländische Geheimdienst beobachtet mit Sorge, dass eine Gruppe von schätzungsweise 20 000 bis 30 000 Muslimen im Land offenbar empfänglich für fundamentalistisches Gedankengut ist. In dieser Gruppe gibt es möglicherweise bis zu 2500 Personen, die gewaltbereit sind.

Dabei handelt es sich um junge Menschen, die in den Niederlanden aufgewachsen sind. Ihre gesellschaftlichen Aufstiegschancen, ihr Zugang zu Bildung und Sozialleistungen entsprechen einem Vielfachen dessen, was ihnen in ihren Herkunftsländern geboten würde. Warum empfinden diese Menschen dennoch eine wachsende Abneigung gegen die niederländische Gesellschaft?

Die meisten Muslime, von denen viele als Analphabeten oder mit nur rudimentärer Schulbildung ins Land gekommen sind, ahnten nicht, dass ihre Migration aus den ärmsten Teilen Marokkos oder der Türkei sie mit einer vollkommen fremden Kultur und einem ebenso fremden Lebensstil in Kontakt bringen und konfrontieren würde. Ihre grundlegenden Überzeugungen und ihre Identität gerieten unter enormen Druck. Sie mussten entdecken, dass der westliche Wohlstand mit einer bestimmten Mentalität und einer Lebensweise verbunden war, mit Freiheit und Flexibilität und einer langen Tradition der Grenzerprobung und Grenzüberschreitung - Werten im Gegensatz zu den traditionellen Werten ihrer Herkunftsländer.

Die Einwanderer hofften, Stolz und Identität bewahren zu können, auch wenn sie im ungläubigen Norden arbeiteten. Die Hoffnung war vergebens. Die meisten Muslime akzeptierten die Situation, doch der verletzte Stolz einiger wurde von einer Gruppe junger Radikaler übernommen, die ihn nun zu ihrer Streitsache gemacht haben.

Die Frage, die schon in der islamischen Welt laut geworden ist, findet nun ein Echo in den Niederlanden: Wie kann der Islam, der sich doch selbst als übergeordnetes Weltbild empfindet, sich mit einer untergeordneten Rolle in der Weltordnung zufriedengeben?

In den vergangenen zwei Jahrhunderten erlitt die islamische Welt einen Zusammenbruch: Die Christen erwiesen sich als mächtiger und wohlhabender als die Osmanen, die das islamische Reich jahrhundertelang regiert und auch große Teile der arabischen Welt beherrscht hatten. Die traditionelle islamische Welt zerbrach im Ersten Weltkrieg vollends. Sogar den verhassten Juden gelang es, mitten im Herzen der islamischen Hemisphäre ihr eigenes Land zu gründen.

Kern der Krise in der islamischen Welt ist der globale Machtanspruch des Islam, der durch den Mythos vom erfolgreichen Krieger und Kämpfer Mohammed einen majestätischen Ausdruck findet, aber in der modernen Welt durch dieselben Menschen zunichtegemacht wird, die nach islamischem Glauben als minderwertig gelten. Diese Krise lässt sich in einer einfachen Frage zusammenfassen: Warum sind Christen, Juden und Ungläubige stärker und wohlhabender als die Muslime?

Jedes muslimische Kind lernt, dass der Islam die endgültige Offenbarung Gottes ist und alle Propheten vor Mohammed ebenfalls Muslime waren, deren Botschaft von den Juden und Christen verfälscht wurde. Auf dieser Grundlage wächst jedes muslimische Kind mit einem festverwurzelten Gefühl religiöser und kultureller Überlegenheit auf.

Der ärmste muslimische Analphabet fühlt sich auch dem reichsten Christen überlegen - weil er glaubt, dass der Christ, der an die Gottessohnschaft glaubt, ihm unterlegen sei. Denn der Islam schließt die Göttlichkeit von Jesus aus und hat sich Christus als islamischen Propheten einverleibt. Der Koran hat ein gespaltenes Verhältnis zu Christen und Juden, die gemäß orthodoxem islamischem Recht Sondersteuern zahlen und bestimmte Kleidungs- und Verhaltensvorschriften befolgen müssen.

Die Migration von Muslimen nach Europa ist ein modernes Phänomen. Sie bedeutet, dass die Armut unter ihnen so zugenommen hat, dass sie sich gezwungen sehen, für Christen und Atheisten zu arbeiten - eine beispiellose Schmach für einen Muslim. Die Migration in den ungläubigen Norden ist daher für jeden gläubigen Muslim zwangsläufig Anlass zur Glaubenskrise.

Manche haben ihren Glauben aufgegeben, ermutigt durch die Freiheit in Europa, die in blutigen religiösen Bruderkriegen gewonnen wurde und sich seit dem 18. Jahrhundert entwickelt hat. Anderen ist es gelungen, ihren Glauben zu modernisieren, indem sie sich von den weltlichen Ansprüchen des Islam abwenden und die Trennung von Staat und Kirche akzeptieren. Wieder andere haben sich verbittert dem Fundament ihrer Religion zugewandt und sind entschlossen, die Anmaßung und Macht der Ungläubigen zu stürzen, um so den Boden für ein neues Kalifat zu ebnen, mit dem die von ihnen gewünschte wahre Weltordnung wiederkehrt.

Die meisten muslimischen Einwanderer scheinen sich mehr oder weniger leicht an ihr Dasein als religiöse Minderheit in einem säkularen Umfeld gewöhnt zu haben - ein in der Geschichte des Islam neuartiges Phänomen. Gründe dafür sind die bessere Bildung, von der die Einwanderer der zweiten Generation profitiert haben, die kleineren Familiengrößen (die Geburtenrate innerhalb der muslimischen Bevölkerung der Niederlande geht langsam zurück), der Wegfall der sozialen Kontrolle, wie sie in den Dörfern und Gemeinden der Herkunftsländer ausgeübt wurde (obgleich der Druck innerhalb der Familie nach wie vor sehr groß sein kann), und schließlich der überwältigende Einfluss der säkularen Mehrheitskultur. Schätzungsweise ein Viertel aller männlichen niederländischen Muslime geht heutzutage regelmäßig in die Moschee.

Als Muslim in Europa zu leben führt also zwangsläufig dazu, dass der islamische Anspruch auf eine weltliche Vormachtstellung (was im Jenseits passiert, wird dabei im Diesseits ausgeklammert) stetig erodiert, sofern sich ein Muslim dem säkularen Recht beugt. Aber was bleibt vom Islam ohne den Anspruch auf weltliche Vormacht?

In der Lebensgeschichte des Propheten beweist der Erfolg Mohammeds als Eroberer - wobei sich die Kämpfer die Kriegsbeute mit dem Propheten teilen -, dass die Botschaft, die er von Gott empfangen hat, allen anderen überlegen ist. Ohne die weltliche Macht über Staaten und Ungläubige ist der Islam kaum mehr als eine eher späte Form von christlichen, jüdischen und arabischen Stammeswerten.

In diesem Fall droht ihm dasselbe Schicksal wie allen anderen monotheistischen Religionen in Europa: Statt eines kollektiven Lebensstils mit politischen Zielen wird er zu einem eher abstrakten, individuellen Lebensstil. Die Auswanderung von Muslimen ins säkulare, verführerische, obszöne und dekadente Europa hat also eine neue Stufe in der Entwicklung des Islam eingeleitet - sehr zum Missfallen der orthodoxen Muslime.

Europäische Muslime haben die Chance, einen liberalen Islam innerhalb der westlichen Gesellschaft zu begründen. Dafür müssen sie eine scharfe Trennlinie zwischen dem orthodoxen Islam und dem geltenden Recht ziehen. Die Zukunft des Islam entscheidet sich nicht in Afghanistan oder Saudi-Arabien, sondern in Europa - eine überraschende Wendung in der Geschichte des Islam. Wenn wir in Europa an unsere eigenen Werte, unseren eigenen Beitrag zur Gesellschaftsentwicklung und an den Fortschritt der Künste und Wissenschaften glauben, müssen wir muslimische Einwanderer dabei unterstützen, ihre Ziele und Träume in Freiheit zu verwirklichen, ohne dabei den weltlichen Ansprüchen des Islam eine Chance einzuräumen.

Radikale Muslime, al-Qaida und die iranischen Mullahs versuchen, die Entwicklung dieses aufblühenden liberalen Islam umzukehren, und sie tun es mit der einzigen Waffe, die sie kennen: Gewalt und der Androhung von Gewalt. Nach ihrer Lesart erscheint der Islam wie ein Todeskult, der nach menschlichen Opfern verlangt und mit dem lächerlichen Versprechen eines orgiastischen Lebens nach dem Tod lockt, das aus permanentem Sex mit Dutzenden von Jungfrauen besteht.

Manche Sozialforscher warnen vor dem Heraufdämmern "Eurabiens", des islamisierten Europa. Tatsächlich deutet jedoch alles auf eine entgegengesetzte Entwicklung: Europa wird nicht islamisiert, sondern der Islam europäisiert.


Jani's Kurzkommentar:


Solange Europa sich nicht auf seine Wurzeln besinnt, bezweifle ich die Schlußfolgerung des Herrn Winters. Ich sehe Europa eher in eine Katastrophe hineinschlittern.

Ansonsten ist der Artikel wirklich gut recherchiert!




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