Montag, 14. März 2011

Das Kreuz mit dem Kreuz

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Gedanken von Pfarrerin Christiane Müller

Zum Thema "Was bedeutet das Kreuz" und "warum ist ausgerechnet das Kreuz das zentrale Symbol der Christenheit, und nicht z.B. das leere Grab" haben schon viele vieles geschrieben. Heute begegnete mir diese Frage mal wieder - aus dem Munde eines kirchlich recht unbeleckten Zeitgenossen, gemütlich morgens beim Frühstücken  im Café. Das wird jetzt kein theologischer Großaufsatz - sondern ein persönliches statement.

Ich trage, seit ich mich habe taufen lassen (da war ich 20) sehr oft sehr bewusst eine Kette mit Kreuz. Warum ich das tue, hat ganz unterschiedliche Gründe. Das Kreuz erinnert mich an den Tag meiner Taufe. Es erinnert mich daran, dass ich zu Jesus gehöre. Es ist ein leeres Kreuz ohne den Körper - und damit ein Auferstehungskreuz. Das leere Kreuz ist ein Symbol dafür, das Jesus Kreuz und Leid durchlebt und durchlitten hat, aber auch, dass er hindurch gegangen ist, dass er auferstanden ist. In diesem Sinn ist das Kreuz eben nicht nur ein Marterinstrument, sondern auch ein Symbol dafür, dass die Kreuze dieser Welt nicht das Letzte sind, das uns Menschen erwartet. Damit hebt sich das Kreuz paradoxerweise selber auf. Es wird durchsichtig für das Leben, das stärker ist als der Tod.

Außerdem erinnert mich jedes Kreuz daran, dass wir an einen Gott glauben, der Mensch geworden ist und dass er nicht gekniffen hat in dem Moment, als das Menschsein für ihn so richtig unangenehm wurde. Götter die unerkannt in Menschengestalt auf Erden wandeln gibt es in sehr vielen Religionen und Kulten. Aber keiner von diesen Göttern hat das Menschsein auch bis zum Schluss durchgetragen. Von Jesus glaube ich, dass Gott in ihm Mensch wurde und dass er in Jesus auch die Seiten des Menschseins geteilt hat, die für so viele Menschen eine Qual sind. Schmerz, Folter, Verrat,,, darin ist er denen nah gekommen, die ähnliches erdulden müssen. Auch wenn das natürlich keine Antwort auf die Frage ist, warum so etwas überhaupt sein muss.

Unvergessen ist mir jener Nachmittag eines 24. Dezembers, als ich vor dem Gottesdienst noch einen Schwerkranken besuchte. Er hatte Kehlkopfkrebs und dort wo normalerweise der Kehlkopf sitzt, klaffte ein Loch. Aber sein Gesicht strahlte, wie ich das noch nie bei einem so kranken Menschen gesehen habe. Dieser Schwerstkranke, Sterbende strahlte mich an. Wir begannen uns zu unterhalten. Ich stellte Fragen und er machte Gesten. Haben Sie Kinder? - Er hielt drei Finger in die Höhe und nickte. Und so fort. Wir verstanden uns auf Anhieb. Ich habe wirklich nicht damit gerechnet, dass er bald stirbt; aber ich fragte ihn zum Schluss: "Darf ich Sie segnen?" Er nickte und schloss die Augen. Ich legte ihm die Hand auf den Kopf und hörte mich selbst - sehr zu meiner Überraschung, ich hatte das nicht geplant - den Valetsegen sprechen. Er strahlte mich noch einmal an und drückte mir fest die Hand. Da sah ich das Kreuz an der Wand hängen. Ein Lebensbaum-Kreuz. Ein Kreuz, bei dem die Balken grüne Blätter tragen. Ich zeigte darauf und sagte so etwas wie: "Sehen Sie? Leben aus dem Tod. Es ist gut, dass es hier hängt, und Sie es immer anschauen können." - Er nickte heftig und zustimmend und drückte mir noch mal die Hand. Und in dem Moment begriff ich, was ich vermutlich intuitiv schon die ganze Zeit wusste: Der verabschiedet sich grade. So war es auch. Er starb an diesem Heiligen Abend im Kreise seiner Familie, die kurze Zeit nach mir kam. Seit dem sehe ich die Kreuze, die in Krankenzimmern hängen, mit anderen Augen und bin froh, dass sie da sind.

Der Glaube braucht Symbole - gut dass wir das Kreuz haben. In all seiner Ambivalenz.


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