Montag, 21. März 2011

Hoffen, bangen, glauben

Erdbeben, Tsunami, Atomgau: 

Wie Japaner und eine Deutsche in Tokio auf die Krise reagieren

Von Helmut Frank

Tausende Tote, weite Teile des Landes verwüstet, ein drohender atomarer Supergau: Japan wird von der schlimmsten Katastrophe seiner Geschichte heimgesucht. Wie die Bevölkerung mit der Krise umgeht und warum eine deutsche Pfarrerin in Tokio ausharrt.

Für Pfarrerin Elisabeth Hübler-Umemoto geht ein langer Tag zu Ende. Gespräche, Telefonate mit Gemeindemitgliedern, Interviews mit Medien. Seit 2003 betreut sie die deutschsprachige evangelische Gemeinde in Tokio (Einen persönlichen Bericht lesen Sie hier). »Kontakte halten« ist ihr jetzt wichtig, wo die Verkehrswege unberechenbarer und umständlicher sind. »Sich anrufen, Mails austauschen, sich gegenseitig Mut machen, die Angst teilen.«

Wie Millionen andere Menschen in Japan muss sie in diesen Tagen immer neue Schreckensmeldungen verarbeiten. Erstmals wurde bei einer erneuten Explosion im Kernkraftwerk Fukushima 1 die innere Schutzhülle eines Reaktorblocks beschädigt. Drei Reaktoren des Atomkraftwerks sind inzwischen explodiert, auch am Reaktorblock 2 entstanden offenbar Schäden am Reaktorbehälter. In der 35-Millionen-Metropole Tokio wurden bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe bereits erhöhte Strahlenwerte gemessen.

Warum reagieren die Japaner so gelassen, so diszipliniert auf die Katastrophen? »Japaner sind stark, wenn sie eine fest definierte Rolle ausfüllen müssen. Das hilft jetzt sehr um in dieser unermesslichen Notlage zu tun, was nötig ist«, sagt Elisabeth Hübler-Umemoto. Sie weiß aber auch: »Spontaneität ist nicht so ausgeprägt in der japanischen Kultur.« Umso erfreulicher sei der Tanklastzugfahrer, der sein Fahrzeug mit Trinkwasser füllt und zum nächsten verwüsteten Dorf fährt, um den Menschen Wasser zu bringen. Dazu sagt er: »Ich freue mich sehr, dass ich diesen Beitrag leisten kann.« Oder jene Frau, die von einem Soldaten auf dem Rücken aus den Trümmern getragen wird und sich auf so unverwechselbar japanische Weise bedankt: »Sumimasen - ich kann dir dafür nichts zurück geben«, oder »osewani narimashita - ich fühle mich schuldig dafür, dass du etwas für mich tun musst, was du normalerweise nicht tun musst.«

Während nach der Flutkatastrophe 2005 in New Orleans das verzweifelte Recht des Stärkeren die Oberhand gewann, nehmen in Japans Jahrhundertkatastrophe Gemeinschaftsgefühl und Opferbereitschaft zu. In den Tagen nach dem Erdbeben wurden offenbar keine Supermärkte geplündert und keine Häuser ausgeräumt. Die Überlebenden halfen einander, sie sammelten sich in Gruppen und teilten Reis und Wasser.

Die Bedrohung durch Erdbeben, Tsunamis und Wirbelstürme prägt die japanische Volksseele seit Menschengedenken. Dazu kommt die Erfahrung zweier Atombombenabwürfe am Ende des Zweiten Weltkriegs mit ihren verheerenden Folgen. Vergänglichkeit, Zerstörung und Neuaufbau werden von jeder Generation aufs Neue erfahren.

Die Verneigung vor der Vergänglichkeit alles Irdischen hat deshalb auch ein religiöses Symbol gefunden: Das heiligste Gebäude des Schintoismus - neben dem Buddhismus die wichtigste Religion Japans - wird alle 20 Jahre abgerissen und neu aufgebaut.

Doch stoische Freundlichkeit und rituelle Diszipliniertheit der Japaner haben auch eine Schattenseite. Es gilt als unhöflich, seinem Gegenüber schlimme Dinge zuzumuten. Vielleicht lässt deshalb die Informationspolitik in der momentanen Krise zu wünschen übrig. Elisabeth Hübler-Umemoto berichtet von einem »oberpeinlichen TV-Auftritt« von wissenschaftlichen und leitenden Mitarbeitern des Kernkraftwerks Fukushina 1, die sich vor laufenden Kameras »einen Dreck scheren um die Sorgen, die sich alle machen«. Sie streiten sich im Saal der Pressekonferenz, wer jetzt welches Info- bzw. Datenblatt hat und wer sprechen darf.
  
»Die Schwächen der hiesigen Kultur werden an einigen Stellen jetzt deutlich«, sagt Hübler-Umemoto: »Dass Experten in ihrem Fach es durch alle Institutionen geschafft haben, alle Prüfungen sehr gut bestanden, aber nicht fähig sind, den Kopf klar und oben zu behalten, wenn etwas außer der Reihe zu tun ist, wenn auch der Einzelne Verantwortung für das Ganze tragen muss.«
Spontanität und Improvisation im Krisenmanagement sind den Japanern eher fremd. »Gambatte kudasai - bitte halten sie durch!« wünscht man sich oft bei Problemen und Schwierigkeiten. Auch aus Scham trauen sich die Verantwortlichen nicht, dem Volk die Wahrheit über die Lage in den Kernkraftwerken zu sagen. Erst nach der Explosion mehrerer Reaktoren wurde ein gemeinsamer Krisenstab von Kabinett und der Kernkraftbetreiberfirma Tokyo Electric Power Company (Tepco) eingerichtet, auf Informationen zum Ernst der Lage in den Atomkraftwerken wartete die Bevölkerung bisher vergeblich. Oder sollte damit Panik in der nicht evakuierbaren 35-Millionen-Metropole Tokio vermieden werden?
Als Elisabeth Hübler-Umemoto am Morgen um 5 Uhr aufwacht, ist ihr erstes Gefühl: »Ich will meine Normalität zurück. Kann nicht alles ganz schnell geklärt werden, damit wir weiterleben können?« »Manche fragen mich nach meiner Angst«, schreibt sie, »aber mir geht es eher so, dass ich jetzt merke, was mein Glaube mir bedeutet, dass wir alle in Gottes Hand sind, wo immer wir auch sind.« Sie beklagt sich nicht, dass nun wieder für vier Stunden der Strom abgestellt wird. »Was ist das schon angesichts der vierten Nacht, die viele Opfer im Freien verbracht haben bei Temperaturen um den Gefrierpunkt?« Inzwischen rechnet man mit ca. 20000 Toten, aber für genaue Angaben ist es noch zu früh.
Über die Solidarität aus Deutschland und aus der ganzen Welt freut sie sich. »Wunderschöne Briefe haben uns erreicht, tief anrührende Segenswünsche, eine Flut an Mails der Anteilnahme«. Und sie ist sich sicher, dass die Japaner dann auch gerne bereit sind, ebensolche Hilfe zurückzugeben, wenn andere Länder in Not sind.
Elisabeth Hübler-Umemoto will in Tokio ihre Aufgabe erfüllen, für die Menschen da sein. Erst wenn es zum Schlimmsten kommt, will sie gehen. »Aber soweit ist es noch nicht, so sitzen wir hier, hoffen und bangen und vertrauen, dass wir das Richtige entscheiden.«

  SPENDENKONTO: Die Diakonie Katastrophenhilfe hat ihre Unterstützung für Japan zugesichert. Spenden unter dem Kennwort »Erdbebenhilfe Japan«, Konto 99 880, EKK-Bank, BLZ 520 604 10.
  Allen aktuellen Briefe und Tagebucheinträge von Pfarrerin Elisabeth Hübler-Umemoto finden Sie in ihrem Blog unter  kreuzkirche-tokyo.blogspot.com.

JAPANS KATASTROPHE

Hoffen, bangen, glauben. Erdbeben, Tsunami, Atomgau: Wie Japaner und eine Deutsche in Tokio auf die Krise reagieren. Von Helmut Frank.

»Das Leid passt nicht in eine Seele.« Die deutsche Pfarrerin von Tokio beschreibt die Situation nach den Katastrophen in Japan.
Leiden ist Teil des Lebens Interview mit dem Bochumer Japanologen Hans Martin Krämer.

  SPENDENKONTO: Die Diakonie Katastrophenhilfe hat ihre Unterstützung für Japan zugesichert. Spenden unter dem Kennwort »Erdbebenhilfe Japan«, Konto 99 880, EKK-Bank, BLZ 520 604 

Quelle
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