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03.02.2012 · Politische Korrektheit verlangt, Europas Einheit als Wert an sich anzusehen. Doch dass die Folgen der Einheit immer positiv sein müssen, kann nur glauben, wer Europa-Politiker für Übermenschen hält. ............................................................................Von Erich Weede
03.02.2012 · Politische Korrektheit verlangt, Europas Einheit als Wert an sich anzusehen. Doch dass die Folgen der Einheit immer positiv sein müssen, kann nur glauben, wer Europa-Politiker für Übermenschen hält. ............................................................................Von Erich Weede
Unter politischer Korrektheit kann man  das Bedürfnis nach Übereinstimmung mit der Masse der Mitmenschen  verstehen, auch um den Preis der Ausschaltung der eigenen Vernunft,  wobei meist das Bekenntnis zu Werten und Zielen das Nachdenken über  geeignete Mittel in den Hintergrund drängt. Wer Konsens für einen Wert  an sich hält, für den ist eigenes Nachdenken - wie es die Kanzlerin im  Zusammenhang mit der Sarrazin-Debatte so schön sagte - "nicht  hilfreich".
In der Europa-Politik äußert sich die politische  Korrektheit in lautstarken Bekenntnissen zu Europas Einheit als Wert an  sich in der unreflektierten Behauptung, dass Europas Einheit den  europäischen Frieden sichere. Unreflektiert ist diese Behauptung, wenn  man sich weigert, Alternativen für die Erklärung des europäischen  Friedens auch nur in Erwägung zu ziehen. Ich will hier nur eine  Alternative andeuten: Die Nato oder die dort institutionalisierte  amerikanische Hegemonie könnte für den Frieden Europas verantwortlich  sein.
Unreflektiert  ist die These von Frieden durch Einheit in Europa auch, wenn man sich  nicht die Frage stellt, welche Art von Einheit für den Frieden am  bedeutsamsten ist. Ist es etwa die Brüsseler Bürokratie mit dem  Demokratiedefizit der Europäischen Union? Ist es der im Großen und  Ganzen funktionierende Binnenmarkt der größeren Europäischen Union, oder  ist es der wesentlich schlechter funktionierende und kleinere  Währungsverbund der Euro-Staaten?
Unreflektiert ist die These von Frieden durch  Einheit in Europa auch, wenn man so tut, als ob die Fragen nach den  Folgen von Europas Einheit für Wohlstand, Wachstum und Demokratie  entweder belanglos sind oder automatisch positiv. Beides kann kein  vernünftiger Mensch für wahr halten. Für belanglos kann man die Folgen  der europäischen Einheit nur halten, wenn man glaubt, dass auch ein  erfolgloses und verarmendes Europa demokratisch, einig und friedlich  bleibt. Wer das glaubt, sollte sich zu dieser These bekennen.
Dass die Folgen der europäischen Einheit immer  positiv sein müssen, kann nur glauben, wer Europa-Politiker für  Übermenschen hält, die sich grundsätzlich nicht irren können. Das halte  ich für Hybris. Hochmut kommt vor dem Fall. Im November 2011 fing die  "Financial Times" und ihr Star Martin Wolf an, das Undenkbare zu denken:  das Ende des Euro. Nebenbei: Der Titel von Wolfs Aufsatz erinnert an  ein fast 50 Jahre altes Buch von Herman Kahn über den Atomkrieg. Auch  wenn Bundestag und Bundesregierung es noch nicht wahrhaben wollen: Der  Euro war wohl die folgenschwerste Fehlentscheidung der deutschen  Nachkriegsgeschichte.
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- Was ist Europa?
Europa ist der  Kulturkreis oder die Zivilisation, die die freie Marktwirtschaft oder  den Kapitalismus erfunden hat, die Naturwissenschaft und Technologie  eher und mehr als andere Hochkulturen entwickelt hat, die als erste die  Massenarmut überwunden hat. Weder zur erstmaligen Überwindung der  Massenarmut noch zur Beherrschung der Welt bis zum Zweiten Weltkrieg war  Europa prädestiniert. Das europäische Mittelalter hat ein  amerikanischer Globalhistoriker technologisch, wissenschaftlich und  wirtschaftlich als ein Zeitalter der chinesischen Suprematie bezeichnet.  Noch am Anfang des 19.Jahrhunderts war China die größte Volkswirtschaft  der Welt. Noch im 17.Jahrhundert standen die Türken vor Wien.
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- Warum war Europa so erfolgreich?
Weil  Europa den Menschen zuerst einigermaßen sichere Eigentums- und  Verfügungsrechte oder wirtschaftliche Freiheit gewährt hat. Die sind  wichtig, weil Menschen Arbeitsanreize brauchen. Das wusste schon Adam  Smith. Die Sozialisten in allen Parteien wissen es heute noch nicht. Die  privaten Eigentumsrechte müssen auch für das Produktionskapital gelten,  weil es sonst keine Knappheitspreise auf Inputmärkten und damit keine  rationale Ressourcenallokation geben kann. Diese Einsicht geht auf den  österreichischen Ökonomen Ludwig von Mises und das Jahr 1920 zurück. Wer  diese Einsicht verstanden hat, wer Kapitalismus wie die Marxisten oder  Mises durch Privateigentum an Produktionskapital definiert, der muss ein  Anhänger des Kapitalismus sein. Dass es davon in Deutschland so wenige  gibt, sagt etwas über die kaum vorhandenen Grundkenntnisse in  Politischer Ökonomie in diesem Land.
Das Wort Kapitalismus muss man nicht mögen. Der  Nobelpreisträger für Wirtschaft Friedrich August von Hayek mochte es  nicht. Aber er zeigte 1945, dass dezentralisierte Entscheidungen und  Privateigentum die Voraussetzungen für die Nutzung des fragmentierten  und nichtzentralisierbaren Wissens sind. Privateigentum,  Dezentralisierung der wirtschaftlichen Entscheidungen, Wettbewerb - und  damit viele kleine und korrigierbare statt großer Fehler -, das waren  die Gründe für den Aufstieg Europas. Fehler machen Menschen immer  wieder. Weil Entscheidungen auch angesichts von Ungewissheit gefällt  werden müssen, haben wir nur die Wahl zwischen vielen kleinen Fehlern  privater Unternehmer, also relativ schnell korrigierbaren Fehlern, und  großen, schwer korrigierbaren Fehlern der Politik.
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- Warum konnte gerade Europa die wirtschaftliche Freiheit oder den Kapitalismus erfinden?
Das  liegt an der politischen Zersplitterung Europas. Der Vorläufer der  Gewaltenteilung in Europa war die territoriale Zersplitterung. In Asien  gab es Großreiche, in denen schon Provinzen mehr Bevölkerung hatten als  etwa das früh geeinte Frankreich oder England. Europas Feldherren haben  die Einigung des Kontinents nie geschafft. Die Uneinigkeit Europas war  unser Glück. Sie war die Voraussetzung für die Begrenzung der  Staatstätigkeit, für die Respektierung der Eigentums- und  Verfügungsrechte von Kaufleuten und Produzenten. Die politische  Fragmentierung Europas kann in drei Dimensionen erfasst werden: Es gab  miteinander rivalisierende Staaten. Es gab eine Pluralität und Rivalität  von weltlichen und religiösen Gewalten. Es gab früh autonome Städte, in  denen auch Kaufleute und Handwerker politischen Einfluss hatten.
Während in Asiens Riesenreichen zentrale politische  Entscheidungen eine ganze Zivilisation zurückwerfen konnten, wie China  mit dem Verbot des Baus hochseetüchtiger Schiffe und des Überseehandels  im 15.Jahrhundert, hatte in Europa niemand die Macht für vergleichbar  großartige Fehlentscheidungen. Europa wurde bis zum ErstenWeltkrieg  nicht durch die Vermeidung von Fehlern groß, sondern durch die Kleinheit  und Korrigierbarkeit der meisten europäischen Fehler. Auch die  Überlegenheit des Kapitalismus gegenüber dem Sowjetkommunismus beruht  letztlich darauf, dass der Westen Planung vermieden hat, also das Risiko  großflächiger und kaum korrigierbarer Fehler.
Leider steht Brüssel nicht nur für die  freiheitliche Idee eines Binnenmarktes mit mehr Wettbewerb, sondern auch  für das Streben nach Zentralisierung von immer mehr politischen  Entscheidungen. Damit wird das Erbe Europas gefährdet: Eigentum und  Freiheit, Vielfalt und Dezentralisierung.
Natürlich ist Europas Erbe ambivalent: Europa steht  nicht nur für die industrielle Revolution und die erstmalige  Überwindung der Massenarmut oder für die Entstehung der Demokratie  zunächst in England oder der Schweiz, sondern auch für zwei Weltkriege,  in denen vielleicht 60 Millionen Europäer gestorben sind. Es muss also  darum gehen, gleichzeitig das freiheitlich-dezentrale Erbe Europas und  den Frieden zu erhalten. Als Kriegsursachenforscher kann man die  Auffassung vertreten, dass wir am meisten zum Frieden in Europa  beitragen, wenn wir - wie im Binnenmarkt geschehen - Handelsschranken  minimieren, eine freie Marktwirtschaft und einen schlanken Staat sowie  darauf aufbauend Wohlstand und Demokratie erhalten. Wir brauchen ein  wirtschaftlich erfolgreiches und wettbewerbsfähiges Europa, keine  Griechenlandisierung des Kontinents.
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- Europa auf Abwegen
Dass Europa im  20.Jahrhundert auf Abwege geraten ist, das wissen viele. Die meisten  denken dabei aber nur an die Weltkriege und damit verbundene  Kriegsverbrechen. Europa ist aber außerdem noch auf einen sanften,  gutmenschlichen Abweg geraten, vor dem Hayek in seinem Buch "Der Weg zur  Knechtschaft" gewarnt hatte. Waren die Staatsquoten am Anfang des  20.Jahrhunderts in Europa noch in der Nähe von 10 Prozent, so sind sie  am Ende des Jahrhunderts in der Nähe von 50 Prozent gewesen.
Ein großer Teil des dynamischen Wachstums kann  nicht durch Krieg erklärt werden. Denn vor allem das Wachstum der  Sozialtransfers ereignete sich vorwiegend nach 1960. Heute machen die  Sozialausgaben in westeuropäischen Staaten oft um die 30 Prozent der  Wirtschaftsleistung, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, aus. Wir haben  nicht nur nationale Sozialstaaten in Europa, sondern diese kommen fast  überall nicht mit ihren Einnahmen aus. Seit Jahrzehnten haben wir fast  überall Defizite als Dauerzustand und deshalb dynamisch wachsende  Staatsschulden. Mit einem Schuldenstand von rund 80 Prozent des  Bruttoinlandsproduktes gilt Deutschland noch als solide. Dabei ist der  Verweis auf den expliziten Schuldenstand natürlich geschönt, weil dabei  das Ergrauen unserer Gesellschaften, die ungedeckten Versprechungen an  Alte und Kranke nicht berücksichtigt worden sind. Nach der höchsten  Schätzung des deutschen Schuldenstandes einschließlich der ungedeckten  Versprechungen war der deutsche Staat mit dem Vierfachen des  Bruttoinlandsproduktes verschuldet gewesen - vor jeder Rettungsmaßnahme  zugunsten Griechenlands und anderer, zu der sich Kanzlerin Angela Merkel  in Anbetracht unserer im internationalen Vergleich "guten" Finanzlage  hat bewegen lassen.
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- Die Auswirkungen des Sozialstaates
Es ist  fraglich, dass irgendein real existierender Sozialstaat perverse  Umverteilungen, wie von unten nach oben oder solche, von denen niemand  etwas hat, vermeiden kann, aber selbst wenn er es könnte, müsste der  Sozialstaat noch problematisch ein. Er kann nicht vermeiden,  Bedürftigkeit oder wirtschaftlichen Misserfolg durch Transfers zu  belohnen und Erfolg durch Steuern und Abgaben zu bestrafen. Kann man das  jahrzehntelang machen, ohne dass die Leute das merken, ohne dass Erfolg  seltener und Misserfolg häufiger wird? Vielleicht ist unser Volk,  einschließlich der Zuwanderer, lernfähig. Der Sozialstaat muss aber  nicht nur den Erwachsenen die Lust an der Arbeit verleiden. Er muss auch  die nachwachsende Generation beschädigen.
Warum sollen Eltern, vor allem von  unterdurchschnittlich begabten Kindern, diesen Arbeitsdisziplin  vermitteln, wenn mangels Durchsetzung des Lohnabstandsprinzips die  Sozialtransfers und manche Arbeitseinkommen einen sehr ähnlichen  Lebensstandard bedeuten? Hohe Steuern und Abgaben müssen auch den  Strukturwandel verlangsamen. Freie Marktwirtschaft oder Kapitalismus  implizieren ja - wie Josef Schumpeter sagte - schöpferische Zerstörung.  Damit das schöpferische Element sich entfalten kann, ist es  wünschenswert, dass erfolgreichere Unternehmensgründer schnell  expandieren können. Je höher die Steuer- und Regulierungslast ist, desto  schwerer macht es ihnen die Politik.
Zuletzt noch mal das Offensichtliche: Je höher die  Steuer- und Abgabenquote ist, desto mehr wird von der Politik  entschieden. Der Zentralisierungsgrad ökonomisch relevanter  Entscheidungen nimmt zu, das Risiko großflächiger und nicht ohne  weiteres korrigierbarer Fehlentscheidungen auch.
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- Die Euro-Rettungsschirme als Fortentwicklung oder Europäisierung des Sozialstaates
Die  Europäische Union ist schon lange eine kleine Transferunion. Manche  Länder zahlen mehr ein, andere holen mehr heraus. Deutschland, die  Niederlande oder Schweden zahlen viel ein und holen wenig raus, bei  Griechenland, Irland oder Portugal ist es umgekehrt. Aber mit den  Rettungsschirmen bekommt die Transferunion eine andere Größenordnung.  Nach einer in dieser Zeitung Ende November 2011 veröffentlichten  Schätzung aus dem Münchener Ifo-Institut lag der deutsche Einsatz damals  bei 560 Milliarden Euro, also fast beim doppelten Bundeshaushalt.
Jetzt soll der European Financial Stability Fund  (EFSF) effektiver werden. Das hört sich gut an. Etwas schwerer  verständlich, aber wahrheitsnäher wird es, wenn man von Hebelung  spricht. Vielleicht erinnert sich der eine oder der andere daran, dass  sich auch global agierende Finanzmarktprofis in der Finanzmarktkrise an  dem einen oder anderen Hebelprodukt die Finger verbrannt haben. Jetzt  hebeln die Laien: die Kanzlerin, der Finanzminister und der Vizekanzler.  Frei nach Warren Buffett könnte man sagen: Jetzt basteln wir  fiskalische Massenvernichtungswaffen.
Je höher die Staatsschulden sind, desto attraktiver  wird die Inflation für die Politik. Unsere Staatsschulden sind hoch.  Noch steigen sie. Im Kleinen baut die deutsche Regierung Schuldenbremsen  auf und verweigert die steuerliche Entlastung. Im Großen bürgt unser  Staat für die Schulden anderer Länder mit Hunderten von Milliarden Euro.  Durch Hebelung wird gleichzeitig das Verlustrisiko aus den Bürgschaften  vergrößert und die Durchschaubarkeit für Otto Normalverbraucher bis hin  zu Dr. Lieschen Müller verringert.
Was macht die Inflation für in Bedrängnis geratene  Politiker so attraktiv? Man macht die Schulden mit gutem Geld und zahlt  mit schlechtem Geld zurück. Bei progressiven Steuertarifen führt die  Inflation zu lautlosen Steuererhöhungen - auch ohne Parlamentsbeschluss.  Vermutlich halten die Kanzlerin und der Finanzminister das für  hilfreich. Sogar die in einer ergrauenden Gesellschaft auf Dauer  unbezahlbaren Renten- und Pensionsversprechungen lassen sich durch  Inflation lautlos kürzen. Es ist wirklich hilfreich, dass auch das bei  Inflation ohne Parlamentsbeschluss geht. Hilfreich ist auch, dass  deutsche Vertreter in der Europäischen Zentralbank, die das  eigenständige Denken nicht lassen können, so schön geräuschlos  zurücktreten.
Noch sind wir nicht in der Inflation. 2 bis 3  Prozent jährliche Geldentwertung nennen wir ja nicht so. Aber wir sind  auf dem Weg in die Europäische Schulden- und Transfergemeinschaft. Wie  es sich für ein soziales Europa gehört: Wer Schulden macht, wird durch  solidarische Hilfe der anderen, durch Garantien und günstige Kredite,  sogar durch einen partiellen Schuldenerlass belohnt. Wer vergleichsweise  solide wirtschaftet, wird durch Haftungsübernahme für die anderen  bestraft. Mit diesem Verstärkungsmuster wollen Angela Merkel und Nicolas  Sarkozy in Europa solide Fiskalpolitik durchsetzen.
Ende des 19.Jahrhunderts entwickelte der britische  Wirtschaftsphilosoph und Soziologe Herbert Spencer in einem Essay über  "Money and Banking" eine andere Verhaltenstheorie: "The ultimate result  of shielding men from the effects of folly, is to fill the world with  fools." Kann man ein Vereinigtes Europa der Narren wollen? Soll ein  solches Europa mit fiskalischen Massenvernichtungswaffen ausgerüstet  werden? Politisch korrekt heißt das Ganze dann Friedenspolitik. Aber  vielleicht sind die wahrscheinlichen Konsequenzen politischer  Entscheidungen doch wichtiger als edle Absichten.
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