von Ingo Way
Gebannt schaut man in Israel auf Ägypten. In der vergangenen Zeit verlief die Nachbarschaft recht friedlich, Staatschef Mubarak hat sogar zeitweise als Vermittler zwischen Israelis und Palästinensern agiert. Sollte nun die Muslimbruderschaft an die Macht kommen, steht für Israel einiges auf dem Spiel.
Der Premierminister lässt sich entschuldigen. Auf der alljährlichen Herzliya-Konferenz, Israels wichtigstem Forum zum Thema Außenpolitik, wird Benjamin Netanyahu diesmal nicht sprechen. Das ist durchaus unüblich. Denn die Konferenz wird traditionell vom jeweiligen Regierungschef dazu genutzt, eine große Rede zur Lage der Nation zu halten, 2003 etwa kündigte Ariel Sharon in Herzliya den Abzug aus dem Gazastreifen an. Netanyahus Rückzieher könnte mit dem heiklen Thema Ägypten zu tun haben. Hatte sich der Premierminister mit Äußerungen zu den Aufständen im südwestlichen Nachbarland bemerkenswert lange zurückgehalten und seine Minister angewiesen, diesbezüglich auf öffentliche Meinungsäußerungen zu verzichten, kam er Anfang vergangener Woche in der Knesset endlich auf das Thema zu sprechen.
In seiner Rede sprach sich Netanyahu für demokratische Reformen in Ägypten aus. „Ein Ägypten, das in demokratischen Werten verankert ist, kann niemals eine Gefahr für den Frieden sein“, sagte er. „Im Gegenteil, wenn wir aus der jüngeren Geschichte irgendetwas gelernt haben, dann dies: Je stärker die Fundamente der Demokratie, umso stärker sind die Fundamente des Friedens.“ Er fügte hinzu: „Wir unterstützen jene Kräfte, die sich für Freiheit, Fortschritt und Frieden einsetzen. Aber wir stellen uns denen entgegen, die Despotie, Terrorismus und Krieg befördern wollen.“
Und genau dies ist der Punkt. In Israel wächst die Sorge, dass der Friedensvertrag mit Ägypten gefährdet ist, sollte Staatspräsident Husni Mubarak gestürzt werden oder zurücktreten. Die radikalislamistische Muslimbruderschaft giert nach der Macht, und auch der Iran versucht, Einfluss auf das Geschehen am Nil zu nehmen. So wenig man sich in Israel über den autoritären Herrscher Mubarak auch Illusionen hingibt – freundschaftliche Beziehungen zwischen beiden Ländern gab es nie, Mubarak ließ bewusst antiisraelische Propaganda in den ägyptischen Medien zu –, so sehr weiß man doch seine Zuverlässigkeit zu schätzen, was das 1979 unterzeichnete Friedensabkommen betrifft. Immerhin hat es seither keinen Krieg mehr zwischen den beiden Ländern gegeben – wenn es auch nur ein „kalter Frieden“ war. Doch immerhin: Ägypten betätigte sich immer wieder als Vermittler zwischen Israel und den Palästinensern, es gelang ägyptischen Politikern im Jahr 2007 sogar, die Hamas im Gazastreifen zu einer Waffenruhe zu bewegen.
Das alles könnte zur Disposition stehen, wenn – etwa noch durch freie Wahlen – die Muslimbruderschaft an die Macht kommt oder zumindest stark an Einfluss gewinnt. Schätzungen, wie viele Wähler die Muslimbrüder erreichen können, schwanken zwischen 15 und 60 Prozent. Muhammad Ghannem, ein Führer der Bruderschaft, verkündete bereits, das ägyptische Volk solle sich auf einen Krieg mit Israel vorbereiten. Das ist nicht gerade dazu angetan, die Israelis euphorisch zu stimmen. In einer Umfrage der Tageszeitung Israel Hayom gaben nur 13 Prozent der Befragten an, dass die jüngsten Entwicklungen in Ägypten sie optimistisch machen würden, was das Verhältnis Israels zur arabischen Welt betrifft. 59 Prozent waren pessimistisch und 28 Prozent hatten noch keine endgültige Meinung gefasst.
Die Schuld sehen die Israelis dabei nicht so sehr bei den ägyptischen Demonstranten, deren Recht, sich gegen ein korruptes Regime aufzulehnen, kaum jemand in Frage stellt. Ins Fadenkreuz der Kritik gerät vielmehr US-Präsident Barack Obama. Der habe seinen Verbündeten Hosni Mubarak schmählich im Stich gelassen, heißt es unter Politikern und Analysten. Der frühere Botschafter Israels bei den Vereinten Nationen, Dore Gold, vergleicht die Situation etwa mit dem Umsturz im Iran im Jahr 1979, als US-Präsident Jimmy Carter den bisherigen Verbündeten der Vereinigten Staaten, Schah Rezah Pahlavi, fallen ließ und somit der blutigen Revolution des Ayatollah Khomeini den Weg frei machte.
Obamas Ankündigung, die Muslimbruderschaft solle in einer neugeordneten politischen Landschaft eine Rolle spielen, befremdet dabei auch Beobachter, die einer Demokratisierung Ägyptens durchaus positiv gegenüberstehen. Aluf Benn etwa, Kommentator der linksliberalen Tageszeitung Haaretz, kritisiert Obama dafür, sich allzu abrupt von Mubarak abgewendet zu haben, anstatt den Verbündeten erst einmal zu demokratischen Reformen zu drängen.
Derweil geht die militärische Zusammenarbeit zwischen Israel und Ägypten einstweilen weiter. Zum ersten Mal seit Abschluss des Friedensvertrages hat Israel den ägyptischen Streitkräften erlaubt, Soldaten auf die Sinai-Halbinsel zu lassen, die dem Vertrag gemäß demilitarisiertes Gebiet ist. Der Grund: Die ägyptische Armee will dort Aufständische bekämpfen, um sie vor weiteren Anschlägen wie dem auf eine Gaspipeline vor wenigen Tagen abzuhalten. Die Anfrage der Ägypter, noch weitere als die bisherigen 800 Soldaten auf dem Sinai zu stationieren, wurde vom israelischen Verteidigungsministerium allerdings zurückgewiesen, aus Sorge, der Friedensvertrag könnte sonst zur Farce werden. Israels Verteidigungsminister Ehud Barak ist gleichwohl voll des Lobes für die ägyptische Armee: Sie trage dazu bei, die Situation im Nachbarland zu stabilisieren, sagte Barak Anfang dieser Woche dem Kabinett.
Positive Worte für die ägyptischen Demonstranten fand dieser Tage Staatspräsident Shimon Peres – auf ebenjener Herzliya-Konferenz, der Premierminister Netanyahu fernblieb. Die „Revolution in Ägypten“ sei ein Aufschrei der jungen Generation, die Gerechtigkeit und Demokratie wolle, sagte der 87jährige. Gleichzeitig würdigte Peres Präsident Mubarak, der viel für den Frieden getan habe. Aufhalten lasse sich der Umsturz in der Ära von Internet und iPhone allerdings nicht, sagte Peres.
Die Frage, ob Mubarak im Amt bleiben wird, stellt sich also gar nicht mehr, auch in Israel nicht. Offen ist lediglich, wie sich das Verhältnis zwischen Kairo und Jerusalem in Zukunft entwickelt. Oppositionsführerin Tzipi Livni forderte die internationale Gemeinschaft auf der Herzliya-Konferenz dazu auf, dafür zu sorgen, dass die Muslimbruderschaft von den ersten wirklich demokratischen Wahlen in Ägypten ausgeschlossen wird. „Das Recht, an demokratischen Wahlen teilzunehmen, haben, wie überall in der freien Welt, nur solche Parteien, die Gewalt ablehnen, demokratische Regeln akzeptieren und Verträge einhalten, die von Vorgängerregierungen geschlossen wurden“, sagte Livni und spielte damit auf die Ankündigung der Muslimbruderschaft an, den Friedensvertrag mit Israel aufzukündigen. Diese Forderung sei nicht unbillig, sagte Livni, schließlich seien extremistische Parteien auch in vielen anderen demokratischen Ländern verboten. Sie machte darauf aufmerksam, dass die israelische Regierung 1988 der rechtsradikalen Kach-Partei verboten hatte, an den Wahlen teilzunehmen.
Gebannt schaut man in Israel auf Ägypten. In der vergangenen Zeit verlief die Nachbarschaft recht friedlich, Staatschef Mubarak hat sogar zeitweise als Vermittler zwischen Israelis und Palästinensern agiert. Sollte nun die Muslimbruderschaft an die Macht kommen, steht für Israel einiges auf dem Spiel.
Der Premierminister lässt sich entschuldigen. Auf der alljährlichen Herzliya-Konferenz, Israels wichtigstem Forum zum Thema Außenpolitik, wird Benjamin Netanyahu diesmal nicht sprechen. Das ist durchaus unüblich. Denn die Konferenz wird traditionell vom jeweiligen Regierungschef dazu genutzt, eine große Rede zur Lage der Nation zu halten, 2003 etwa kündigte Ariel Sharon in Herzliya den Abzug aus dem Gazastreifen an. Netanyahus Rückzieher könnte mit dem heiklen Thema Ägypten zu tun haben. Hatte sich der Premierminister mit Äußerungen zu den Aufständen im südwestlichen Nachbarland bemerkenswert lange zurückgehalten und seine Minister angewiesen, diesbezüglich auf öffentliche Meinungsäußerungen zu verzichten, kam er Anfang vergangener Woche in der Knesset endlich auf das Thema zu sprechen.
In seiner Rede sprach sich Netanyahu für demokratische Reformen in Ägypten aus. „Ein Ägypten, das in demokratischen Werten verankert ist, kann niemals eine Gefahr für den Frieden sein“, sagte er. „Im Gegenteil, wenn wir aus der jüngeren Geschichte irgendetwas gelernt haben, dann dies: Je stärker die Fundamente der Demokratie, umso stärker sind die Fundamente des Friedens.“ Er fügte hinzu: „Wir unterstützen jene Kräfte, die sich für Freiheit, Fortschritt und Frieden einsetzen. Aber wir stellen uns denen entgegen, die Despotie, Terrorismus und Krieg befördern wollen.“
Und genau dies ist der Punkt. In Israel wächst die Sorge, dass der Friedensvertrag mit Ägypten gefährdet ist, sollte Staatspräsident Husni Mubarak gestürzt werden oder zurücktreten. Die radikalislamistische Muslimbruderschaft giert nach der Macht, und auch der Iran versucht, Einfluss auf das Geschehen am Nil zu nehmen. So wenig man sich in Israel über den autoritären Herrscher Mubarak auch Illusionen hingibt – freundschaftliche Beziehungen zwischen beiden Ländern gab es nie, Mubarak ließ bewusst antiisraelische Propaganda in den ägyptischen Medien zu –, so sehr weiß man doch seine Zuverlässigkeit zu schätzen, was das 1979 unterzeichnete Friedensabkommen betrifft. Immerhin hat es seither keinen Krieg mehr zwischen den beiden Ländern gegeben – wenn es auch nur ein „kalter Frieden“ war. Doch immerhin: Ägypten betätigte sich immer wieder als Vermittler zwischen Israel und den Palästinensern, es gelang ägyptischen Politikern im Jahr 2007 sogar, die Hamas im Gazastreifen zu einer Waffenruhe zu bewegen.
Das alles könnte zur Disposition stehen, wenn – etwa noch durch freie Wahlen – die Muslimbruderschaft an die Macht kommt oder zumindest stark an Einfluss gewinnt. Schätzungen, wie viele Wähler die Muslimbrüder erreichen können, schwanken zwischen 15 und 60 Prozent. Muhammad Ghannem, ein Führer der Bruderschaft, verkündete bereits, das ägyptische Volk solle sich auf einen Krieg mit Israel vorbereiten. Das ist nicht gerade dazu angetan, die Israelis euphorisch zu stimmen. In einer Umfrage der Tageszeitung Israel Hayom gaben nur 13 Prozent der Befragten an, dass die jüngsten Entwicklungen in Ägypten sie optimistisch machen würden, was das Verhältnis Israels zur arabischen Welt betrifft. 59 Prozent waren pessimistisch und 28 Prozent hatten noch keine endgültige Meinung gefasst.
Die Schuld sehen die Israelis dabei nicht so sehr bei den ägyptischen Demonstranten, deren Recht, sich gegen ein korruptes Regime aufzulehnen, kaum jemand in Frage stellt. Ins Fadenkreuz der Kritik gerät vielmehr US-Präsident Barack Obama. Der habe seinen Verbündeten Hosni Mubarak schmählich im Stich gelassen, heißt es unter Politikern und Analysten. Der frühere Botschafter Israels bei den Vereinten Nationen, Dore Gold, vergleicht die Situation etwa mit dem Umsturz im Iran im Jahr 1979, als US-Präsident Jimmy Carter den bisherigen Verbündeten der Vereinigten Staaten, Schah Rezah Pahlavi, fallen ließ und somit der blutigen Revolution des Ayatollah Khomeini den Weg frei machte.
Obamas Ankündigung, die Muslimbruderschaft solle in einer neugeordneten politischen Landschaft eine Rolle spielen, befremdet dabei auch Beobachter, die einer Demokratisierung Ägyptens durchaus positiv gegenüberstehen. Aluf Benn etwa, Kommentator der linksliberalen Tageszeitung Haaretz, kritisiert Obama dafür, sich allzu abrupt von Mubarak abgewendet zu haben, anstatt den Verbündeten erst einmal zu demokratischen Reformen zu drängen.
Derweil geht die militärische Zusammenarbeit zwischen Israel und Ägypten einstweilen weiter. Zum ersten Mal seit Abschluss des Friedensvertrages hat Israel den ägyptischen Streitkräften erlaubt, Soldaten auf die Sinai-Halbinsel zu lassen, die dem Vertrag gemäß demilitarisiertes Gebiet ist. Der Grund: Die ägyptische Armee will dort Aufständische bekämpfen, um sie vor weiteren Anschlägen wie dem auf eine Gaspipeline vor wenigen Tagen abzuhalten. Die Anfrage der Ägypter, noch weitere als die bisherigen 800 Soldaten auf dem Sinai zu stationieren, wurde vom israelischen Verteidigungsministerium allerdings zurückgewiesen, aus Sorge, der Friedensvertrag könnte sonst zur Farce werden. Israels Verteidigungsminister Ehud Barak ist gleichwohl voll des Lobes für die ägyptische Armee: Sie trage dazu bei, die Situation im Nachbarland zu stabilisieren, sagte Barak Anfang dieser Woche dem Kabinett.
Positive Worte für die ägyptischen Demonstranten fand dieser Tage Staatspräsident Shimon Peres – auf ebenjener Herzliya-Konferenz, der Premierminister Netanyahu fernblieb. Die „Revolution in Ägypten“ sei ein Aufschrei der jungen Generation, die Gerechtigkeit und Demokratie wolle, sagte der 87jährige. Gleichzeitig würdigte Peres Präsident Mubarak, der viel für den Frieden getan habe. Aufhalten lasse sich der Umsturz in der Ära von Internet und iPhone allerdings nicht, sagte Peres.
Die Frage, ob Mubarak im Amt bleiben wird, stellt sich also gar nicht mehr, auch in Israel nicht. Offen ist lediglich, wie sich das Verhältnis zwischen Kairo und Jerusalem in Zukunft entwickelt. Oppositionsführerin Tzipi Livni forderte die internationale Gemeinschaft auf der Herzliya-Konferenz dazu auf, dafür zu sorgen, dass die Muslimbruderschaft von den ersten wirklich demokratischen Wahlen in Ägypten ausgeschlossen wird. „Das Recht, an demokratischen Wahlen teilzunehmen, haben, wie überall in der freien Welt, nur solche Parteien, die Gewalt ablehnen, demokratische Regeln akzeptieren und Verträge einhalten, die von Vorgängerregierungen geschlossen wurden“, sagte Livni und spielte damit auf die Ankündigung der Muslimbruderschaft an, den Friedensvertrag mit Israel aufzukündigen. Diese Forderung sei nicht unbillig, sagte Livni, schließlich seien extremistische Parteien auch in vielen anderen demokratischen Ländern verboten. Sie machte darauf aufmerksam, dass die israelische Regierung 1988 der rechtsradikalen Kach-Partei verboten hatte, an den Wahlen teilzunehmen.
Quelle cicero
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