Von Oliver Das Gupta
Zweieinhalb Monate nach dem Rückzug als Bischöfin tritt Margot Käßmann öffentlich auf: Zwölf Minuten, die zeigen, was der katholischen Kirche fehlt.
Margot Käßmann hatte zwölf Minuten. Da konnten noch so viele Zuschauer nach vorne drängen in der Münchner Buchhandlung, es blieben zwölf Minuten.
Die einstige Bischöfin, wegen einer Alkoholfahrt zurückgetreten, stellt ihr Buch Das große Du vor, einige Stunden vor dem Eröffnungsgottesdienst des Kirchentages. Es ist der erste öffentliche Auftritt der früheren EKD-Ratsvorsitzenden. Die 200 Menschen vor den Buchregalen klatschen.
Doch insgesamt enttäuscht Margot Käßmanns Auftritt. Das liegt an Christoph Vetter, dem Geschäftsführer ihres kirchlichen Verlagshauses, was er häufig betont. Schon bevor Käßmann an diesem Mittwochnachmittag erscheint, tritt er vor die Mikrofone.
Davor stehen meist ältere Menschen, sie halten Käßmann-Bücher und Hör-CDs signierbereit, manche zücken ihre Digitalkameras, andere stören sich an den walzenden Journalisten, Fotografen und Kameraleuten. Eine katholische Ordensschwester ist mit dabei. Ein alter Mann sagt in breitem Bayerisch, er sei enttäuscht vom Papst.
Es ist heiß und stickig, alle schwitzen. "Noch fünf Minuten", sagt ein Sicherheitsmann mit großem Kopf zu einem Kollegen. Antwort: "Ich hasse solche Veranstaltungen."
Verlagsmensch Vetter redet. Er ist stolz, denn eigentlich wollte Margot Käßmann erst auf dem 2. Ökumenischen Kirchentag wieder auftreten. Aber Vetter, frohlockt er, habe sie zu der Buchvorstellung "überredet".
Der Applaus gilt aber nicht ihm, sondern dem Star der Veranstaltung. "Hallo" sagt Margot Käßmann halblaut und schiebt sich zum Podest. Eine ältere Frau streckt ihr Blumen hin, alle noch verpackt. Käßmann bedankt sich warm; dann steht sie auf der Bühne, die Kameraverschlüsse rattern minutenlang.
Margot Käßmann wirkt erholt. Sie ist in Schwarz gekleidet, das Oberteil ziert weißer Saum, um den Hals trägt sie eine Kette aus großen schwarzen Kugeln. Manager Vetter erzählt, wie er Käßmann gewonnen habe, das sei doch "frech" gewesen. Die Geistliche schaut ins Publikum; sie wirkt souverän und selbstbewusst. Nervosität verrät allenfalls ihr kreisender Blick.
Als sie zurücktrat, nach dieser Alkoholfahrt-Affäre, die sie zur Titelfigur von Bild machte, da erklärte sie: "Du kannst nicht tiefer fallen, als in Gottes Hand." Manchem, der mit Kirche nichts anfangen kann, wurden wegen dieser Worte die Augen feucht. Und viele Katholiken wünschten sich, der Augsburger Bischof Walter Mixa hätte zu Fehlern ebenso offen gstanden wie Margot Käßmann.
Aber Mixa und Käßmann, das sind zwei unterschiedliche Welten des Christentums.
Die Bischöfin spricht über ihr neues Buch Das große Du - Das Vaterunser. Es enthält den Katechismustext Martin Luthers und einen Käßmann- Kommentar. Das klingt trocken. Aber so, wie es Margot Käßmann in wenigen Minuten umschreibt, öffnet sich theologische Materie. "Beten", sagt sie, "ist weniger Erfüllung, als die Gesprächshaltung mit Gott", das sei "eine Lebenshaltung".
Für diejenigen, denen das zu abstrakt ist, vergleicht sie das Beten mit zwischenmenschlicher Freundschaft. Man lerne jemanden kennen, verabrede sich zum Kaffee, gehe mal abends Essen und vertiefe Gespräche. Im Laufe der Jahre käme so "vertieftes Vertrauen" zustande, sagt sie.
Mehrere Zuhörer nicken, auch die Ordensschwester ist gerührt. Solche Worte vermisst man bei der katholischen Konkurrenz.
Margot Käßmann formuliert pointiert, bisweilen witzig. Das laute "Amen", das Luther empfiehlt, sei ein kräftiges Mittel gegen den Zweifel, ein Basta aber nicht, auch wenn das in ihrer Heimat Hannover verbreitet wäre – ein kleiner Seitenhieb gegen Altkanzler Gerhard Schröder. Der SPD-Politiker sagte oft "Basta!".
"Basta", sagt Käßmann, bedeute, dass man nichts mehr sagen dürfe. "Beim Amen dürfen Zweifel bleiben."
Zu ihrem Rücktritt schweigt sie, wohl aber erwähnt sie einmal ihren alten "Job": Schon als Bischöfin sei sie immer wieder gefragt worden: "Kann Kirche politisch sein?" Käßmann begründet ihr Ja mit der Vaterunser-Zeile: "Unser täglich Brot gib uns heute" - und kritisiert die "weltweite Verteilungsungerechtigkeit".
Nebenbei kommt das aus ihr heraus. Schon zur Jahreswende hatte Käßmann mit ihrer Predigt zum deutschen Einsatz am Hindukusch ("Nicht ist gut in Afghanistan") politische Akzente gestezt. Die Frau will sich weiter einmischen.
Nach dem Gespräch bildet sich lange Schlangen am Signiertisch; an dem Buch verdient sie nach den Angaben der Kirche und des Verlags nichts. Auch wenn viele nach dem "großen Du" greifen - es bleibt ein schales Gefühl. Man hätte gern mehr von ihr gehört.
Zwölf Minuten reichen nicht für Margot Käßmann.
.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen