Freitag, 23. November 2012

Gottes Gnade - billig oder doch teuer

...
Dietrich Bonhoeffer

Billige Gnade ist der Todfeind unserer Kirche. Unser Kampf geht heute um
die teure Gnade.

Billige Gnade heißt Gnade als Schleuderware, verschleuderte Vergebung,
verschleuderten Trost, verschleudertes Sakrament; Gnade als unerschöpfliche
Vorratskammer der Kirche, aus der mit leichtfertigen Händen bedenkenlos und
grenzenlos ausgeschüttet wird; Gnade ohne Preis, ohne Kosten. Das sei ja
gerade das Wesen der Gnade, dass die Rechnung im voraus für alle Zeit
beglichen ist. Auf die gezahlte Rechnung hin ist alles umsonst zu haben.
Unendlich groß sind die aufgebrachten Kosten, unendlich groß daher auch die
Möglichkeiten des Gebrauchs und der Verschwendung. Was wäre Gnade, die
nicht billige Gnade ist?

Billige Gnade heißt Gnade als Lehre, als Prinzip, als System; heißt
Sündenvergebung als allgemeine Wahrheit, heißt Liebe Gottes als christliche
Gottesidee. Wer sie bejaht, der hat schon Vergebung seiner Sünden. Die
Kirche dieser Gnadenlehre ist durch sie schon der Gnade teilhaftig. In
dieser Kirche findet die Welt billige Bedeckung ihrer Sünden, die sie nicht
bereut und von denen frei zu werden sie erst recht nicht wünscht. Billige
Gnade ist darum Leugnung des lebendigen Wortes Gottes, Leugnung der
Menschwerdung des Wortes Gottes.

Billige Gnade heißt Rechtfertigung der Sünde und nichts des Sünders. Weil
Gnade doch alles allein tut, darum kann alles beim alten bleiben. „Es ist
doch unser Tun umsonst.” Welt bleibt Welt, und wir bleiben Sünder „auch in
dem besten Leben“. Es lebe also auch der Christ wie die Welt, er stelle
sich der Welt in allen Dingen gleich und unterfange sich ja nicht - bei der
Ketzerei des Schwärmertums! - unter der Gnade ein anderes Leben zu führen
als unter der Sünde! Er hüte sich gegen die Gnade zu wüten, die große,
billige Gnade zu schänden und neuen Buchstabendienst aufzurichten durch den
Versuch eines gehorsamen Lebens unter den Geboten Jesu Christi! Die Welt
ist durch Gnade gerechtfertigt, darum - um des Ernstes dieser Gnade
willen!, um dieser unersetzlichen Gnade nicht zu widerstreben! - lebe der
Christ wie die übrige Welt! Gewiss, er würde gern ein Außerordentliches
tun, es ist für ihn unzweifelhaft der schwerste Verzicht, dies nicht zu
tun, sondern weltlich leben zu müssen. Aber er muss den Verzicht leisten,
die Selbstverleugnung üben, sich von der Welt mit seinem Leben nicht zu
unterscheiden. Soweit muss er die Gnade wirklich Gnade sein lassen, dass er
der Welt den Glauben an diese billige Gnade nicht zerstört. Der Christ aber
sei in seiner Weltlichkeit, in diesem notwendigen Verzicht, den er um der
Welt - nein, um der Gnade willen! - leisten muss, getrost und sicher
(securus) im Besitz dieser Gnade, die alles allein tut. Also, der Christ
folge nicht nach, aber er tröste sich der Gnade! Das ist billige Gnade als
Rechtfertigung der Sünde, aber nicht als Rechtfertigung des bußfertigen
Sünders, der von seiner Sünde lässt und umkehrt; nicht Vergebung der Sünde,
die von der Sünde trennt. Billige Gnade ist die Gnade, die wir mit uns
selbst haben.

Billige Gnade ist Predigt der Vergebung ohne Buße, ist Taufe ohne
Gemeindezucht, ist Abendmahl ohne Bekenntnis der Sünden, ist Absolution
ohne persönliche Beichte. Billige Gnade ist Gnade ohne Nachfolge, Gnade
ohne Kreuz, Gnade ohne den lebendigen, menschgewordenen Jesus Christus.

Teure Gnade ist der verborgene Schatz im Acker, um dessentwillen der Mensch
hingeht und mit Freuden alles verkauft, was er hatte; die köstliche Perle,
für deren Preis der Kaufmann alle seine Güter hingibt; die Königsherrschaft
Christi, um derentwillen sich der Mensch das Auge ausreißt, das ihn ärgert,
der Ruf Jesu Christi, auf den hin der Jünger seine Netze verlässt und
nachfolgt.

Teure Gnade ist das Evangelium, das immer wieder gesucht, die Gabe, um die
gebeten, die Tür, an die angeklopft werden muss.

Teuer ist sie, weil sie in die Nachfolge ruft, Gnade ist sie, weil sie in
die Nachfolge Jesu Christi ruft; teuer ist sie, weil sie dem Menschen das
Leben kostet, Gnade ist sie, weil sie ihm so das Leben erst schenkt; teuer
ist sie, weil sie die Sünde verdammt, Gnade, weil sie den Sünder
rechtfertigt. Teuer ist die Gnade vor allem darum, weil sie Gott teuer
gewesen ist, weil sie Gott das Leben seines Sohnes gekostet hat - „ihr seid
teuer erkauft“ -, und weil uns nicht billig sein kann, was Gott teuer ist.
Gnade ist sie vor allem darum, weil Gott sein Sohn nicht zu teuer war für
unser Leben, sondern ihn für uns hingab. Teure Gnade ist Menschwerdung
Gottes.

Teure Gnade ist Gnade als das Heiligtum Gottes, das vor der Welt behütet
werden muss, das nicht vor die Hunde geworfen werden darf, sie ist darum
Gnade als lebendiges Wort, Wort Gottes, das er selbst spricht, wie es ihm
gefällt. Es trifft uns als gnädiger Ruf in die Nachfolge Jesu, es kommt als
vergebendes Wort zu dem geängsteten Geist und dem zerschlagenen Herzen.
Teuer ist die Gnade, weil sie den Menschen unter das Joch der Nachfolge
Jesu Christi zwingt, Gnade ist es, dass Jesus sagt: „Mein Joch ist sanft
und meine Last ist leicht.“

Zweimal ist an Petrus der Ruf ergangen: Folge mir nach! Es war das erste
und das letzte Wort Jesu an seinen Jünger (Mk1,17; Joh21,22). Sein ganzes
Leben liegt zwischen diesen beiden Rufen. Das erstemal hatte Petrus am See
Genezareth auf Jesu Ruf hin seine Netze, seinen Beruf verlassen und war ihm
aufs Wort nachgefolgt. Das letzte Mal trifft ihn der Auferstandene in
seinem alten Beruf, wiederum am See Genezareth, und noch einmal heißt es:
Folge mir nach! Dazwischen lag ein ganzes Jungerleben in der Nachfolge
Christi. In seiner Mitte stand das Bekenntnis zu Jesus als dem Christus
Gottes. Es ist dem Petrus dreimal ein und dasselbe verkündigt, am Anfang,
am Ende und in Cäsarea Philippi, nämlich dass Christus sein Herr und Gott
sei. Es ist dieselbe Gnade Christi, die ihn ruft: Folge mir nach! und die
sich ihm offenbart im Bekenntnis zum Sohne Gottes.

Es war ein dreifaches Anhalten der Gnade auf dem Wege des Petrus, die Eine
Gnade dreimal verschieden verkündigt; so war sie Christi eigene Gnade, und
gewiss nicht Gnade, die der Jünger sich selbst zusprach. Es war dieselbe
Gnade Christi, die den Jünger überwand, alles zu verlassen um der Nachfolge
willen, die in ihm das Bekenntnis wirkte, das aller Welt eine Lästerung
scheinen musste, die den untreuen Petrus in die letzte Gemeinschaft des
Martyriums rief und ihm damit alle Sünden vergab. Gnade und Nachfolge
gehören für das Leben des Petrus unauflöslich zusammen. Er hatte die teure
Gnade empfangen.

Mit der Ausbreitung des Christentums und der zunehmenden Verweltlichung der
Kirche ging die Erkenntnis der teuren Gnade allmählich verloren. Die Welt
war christianisiert, die Gnade war Allgemeingut einer christlichen Welt
geworden. Sie war billig zu haben. Doch bewahrte die römische Kirche einen
Rest der ersten Erkenntnis. Es war von entscheidender Bedeutung, dass das
Mönchtum sich nicht von der Kirche trennte und dass die Klugheit der Kirche
das Mönchtum ertrug. Hier war am Rande der Kirche der Ort, an dem die
Erkenntnis wachgehalten wurde, dass Gnade teuer ist, dass Gnade die
Nachfolge einschließt. Menschen verließen um Christi willen alles, was sie
hatten, und versuchten, den strengen Geboten Jesu zu folgen in täglicher
Übung. So wurde das mönchische Leben ein lebendiger Protest gegen die
Verweltlichung des Christenrums, gegen die Verbilligung der Gnade. Indem
aber die Kirche diesen Protest ertrug und nicht zum letzten Ausbruch kommen
ließ, relativierte sie ihn, ja sie gewann nun aus ihm sogar die
Rechtfertigung ihres eigenen verweltlichten Lebens; denn jetzt wurde das
mönchische Leben zu der Sonderleistung Einzelner, zu der die Masse des
Kirchenvolkes nicht verpflichtet werden konnte. Die verhängnisvolle
Begrenzung der Gebote Jesu in ihrer Geltung auf eine bestimmte Gruppe
besonders qualifizierter Menschen führte zu der Unterscheidung einer
Höchstleistung und einer Mindestleistung des christlichen Gehorsams. Damit
war es gelungen, bei jedem weiteren Angriff auf die Verweltlichung der
Kirche hinzuweisen auf die Möglichkeit des mönchischen Weges innerhalb der
Kirche, neben dem dann die andere Möglichkeit des leichteren Weges durchaus
gerechtfertigt war. So musste der Hinweis auf das urchristliche Verständnis
der teuren Gnade, wie er in der Kirche Roms durch das Mönchtum erhalten
bleiben sollte, in paradoxer Weise selbst wieder der Verweltlichung der
Kirche die letzte Rechtfertigung geben. Bei dem allen lag der entscheidende
Fehler des Mönchtums nicht darin, dass es - bei allen inhaltlichen
Missverständnissen des Willens Jesu - den Gnadenweg der strengen Nachfolge
ging. Vielmehr entfernte sich das Mönchtum wesentlich darin vom
Christlichen, dass es seinen Weg zu einer freien Sonderleistungen einiger
weniger werden ließ und damit für ihn eine besondere Verdienstlichkeit in
Anspruch nahm. Als Gott durch seinen Knecht Martin Luther in der
Reformation das Evangelium von der reinen, teuren Gnade wieder erweckte,
führte er Luther durch das Kloster. Luther war Mönch. Er hatte alles
verlassen und wollte Christus in vollkommenem Gehorsam nachfolgen. Er
entsagte der Welt und ging an das christliche Werk. Er lernte den Gehorsam
gegen Christus und seine Kirche, weil er wusste, dass nur der Gehorsame
glauben kann. Der Ruf ins Kloster kostete Luther den vollen Einsatz seines
Lebens. Luther scheiterte mit seinem Weg an Gott selbst. Gott zeigte ihm
durch die Schrift, dass die Nachfolge Jesu nicht verdienstliche
Sonderleistung Einzelner, sondern göttliches Gebot an alle Christen ist.
Das demütige Werk der Nachfolge war im Mönchtum zum verdienstlichen Tun der
Heiligen geworden. Die Selbstverleugnung des Nachfolgenden enthüllte sich
hier als die letzte geistliche Selbstbehauptung der Frommen. Damit war die
Welt mitten in das Mönchsleben hineingebrochen und in gefährlichster Weise
wieder am Werk. Die Weltflucht des Mönches war als feinste Weltliebe
durchschaut. In diesem Scheitern der letzten Möglichkeit eines frommen
Lebens ergriff Luther die Gnade. Er sah im Zusammenbruch der mönchischen
Welt die rettende Hand Gottes in Christus ausgestreckt. Er ergriff sie im
Glauben daran, dass „doch unser Tun umsonst ist, auch in dem besten Leben“.
Es war eine teure Gnade, die sich ihm schenkte, sie zerbrach ihm seine
ganze Existenz. Er musste seine Netze abermals zurücklassen und folgen. Das
erstemal, als er ins Kloster ging, hatte er alles zurückgelassen, nur sich
selbst, sein frommes Ich, nicht. Diesmal war ihm auch dieses genommen. Er
folgte nicht auf eigenes Verdienst, sondern auf Gottes Gnade hin. Es wurde
ihm nicht gesagt: du hast zwar gesündigt, aber das ist nun alles vergeben,
bleibe nur weiter, wo du warst, und tröste dich der Vergebung! Luther
musste das Kloster verlassen und zurück in die Welt, nicht weil die Welt an
sich gut und heilig wäre, sondern weil auch das Kloster nichts anderes war
als Welt.

Luthers Weg aus dem Kloster zurück in die Welt bedeutete den schärfsten
Angriff, der seit dem Urchristentum auf die Welt geführt worden war. Die
Absage, die der Mönch der Welt gegeben hatte, war ein Kinderspiel gegenüber
der Absage, die die Welt durch den in sie Zurückgekehrten erfuhr. Nun kam
der Angriff frontal. Nachfolge Jesu musste nun mitten in der Welt gelebt
werden. Was unter den besonderen Umständen und Erleichterungen des
klösterlichen Lebens als Sonderleistung geübt wurde, war nun das Notwendige
und Gebotene für jeden Christen in der Welt geworden. Der vollkommene
Gehorsam gegen das Gebot Jesu musste im täglichen Berufsleben geleistet
werden. Damit vertiefte sich der Konflikt zwischen dem Leben des Christen
und dem Leben der Welt in unabsehbarer Weise. Der Christ war der Welt auf
den Leib gerückt. Es war Nahkampf.

Man kann die Tat Luthers nicht verhängnisvoller missverstehen als mit der
Meinung, Luther habe mit der Entdeckung des Evangeliums der reinen Gnade
einen Dispens für den Gehorsam gegen das Gebot Jesu in der Welt
proklamiert; die reformatorische Entdeckung sei die Heiligsprechung, die
Rechtfertigung der Welt durch die. vergebende Gnade gewesen. Der weltliche
Beruf des Christen erfährt vielmehr seine Rechtfertigung für Luther allein
dadurch, dass in ihm der Protest gegen die Welt in letzter Schärfe
angemeldet wird. Nur sofern der weltliche Beruf des Christen in der
Nachfolge Jesu ausgeübt wird, hat er vom Evangelium her neues Recht
empfangen. Nicht Rechtfertigung der Sünde, sondern Rechtfertigung des
Sünders war der Grund für Luthers Rückkehr aus dem Kloster. Teure Gnade war
Luther geschenkt worden. Gnade war es, weil sie Wasser auf das durstige
Land, Trost für die Angst, Befreiung von der Knechtschaft des
selbstgewählten Weges, Vergebung aller Sünden war. Teuer war die Gnade,
weil sie nicht dispensierte vom Werk, sondern den Ruf in die Nachfolge
unendlich verschärfte. Aber gerade worin sie teuer war, darin war sie
Gnade, und worin sie Gnade war, darin war sie teuer. Das war das Geheimnis
des reformatorischen Evangeliums, das Geheimnis der Rechtfertigung des
Sünders.

Und dennoch bleibt der Sieger der Reformationsgeschichte nicht Luthers
Erkenntnis von der reinen, teuren Gnade, sondern der wachsame religiöse
Instinkt des Menschen für den Ort, an dem die Gnade am billigsten zu haben
ist. Es bedurfte nur einer ganz leichten, kaum merklichen Verschiebung des
Akzentes, und das gefährlichste und verderblichste Werk war getan. Luther
hatte gelehrt, dass der Mensch auch in seinen frömmsten Wegen und Werken
vor Gott nicht bestehen kann, weil er im Grund immer sich selbst sucht. Er
hatte in dieser Not die Gnade der freien und bedingungslosen Vergebung
aller Sünden im Glauben ergriffen. Luther wusste dabei, dass ihm diese
Gnade ein Leben gekostet hatte und noch täglich kostete; denn er war ja
durch die Gnade nicht dispensiert von der Nachfolge, sondern erst recht in
sie hineingestoßen. Wenn Luther von der Gnade sprach, so meinte er sein
eigenes Leben immer mit, das durch die Gnade erst in den vollen Gehorsam
Christi gestellt worden war. Er konnte gar nicht anders von der Gnade
reden, als eben so. Dass die Gnade allein es tut, hatte Luther gesagt, und
wörtlich so wiederholten es seine Schüler, mit dem einzigen Unterschied,
dass sie sehr bald das ausließen und nicht mitdachten und sagten, was
Luther immer selbstverständlich mitgedacht hatte, nämlich die Nachfolge,
ja, was er nicht mehr zu sagen brauchte, weil er ja immer selbst als einer
redete, den die Gnade in die schwerste Nachfolge Jesu geführt hatte. Die
Lehre der Schüler war also unanfechtbar von der Lehre Luthers her, und doch
wurde diese Lehre das Ende und die Vernichtung der Reformation als der
Offenbarung der teuren Gnade Gottes auf Erden. Aus der Rechtfertigung des
Sünders in der Welt wurde die Rechtfertigung der Sünde und der Welt. Aus
der teuren Gnade wurde die billige Gnade ohne Nachfolge.

Sagte Luther, dass unser Tun umsonst ist, auch in dem besten Leben, und
dass darum bei Gott nichts gilt „denn Gnad und Gunst, die Sünden zu
vergeben“, so sagte er es als einer, der sich bis zu diesem Augenblick und
schon im selben Augenblick wieder neu in die Nachfolge Jesu, zum Verlassen
von allem, was er hatte, berufen wusste. Die Erkenntnis der Gnade war für
ihn der letzte radikale Bruch mit der Sünde seines Lebens, niemals aber
ihre Rechtfertigung. Sie war im Ergreifen der Vergebung die letzte radikale
Absage an das eigenwillige Leben, sie war darin selbst erst eigentlich
ernster Ruf zur Nachfolge. Sie war ihm jeweils „Resultat“, freilich
göttliches, nicht menschliches Resultat. Dieses Resultat aber wurde von den
Nachfahren zur prinzipiellen Voraussetzung einer Kalkulation gemacht. Darin
lag das ganze Unheil. Ist Gnade das von Christus selbst geschenkte
„Resultat“ christlichen Lebens, so ist dieses Leben keinen Augenblick
dispensiert von der Nachfolge. Ist aber Gnade prinzipielle Voraussetzung
meines christlichen Lebens, so habe ich damit im voraus die Rechtfertigung
meiner Sünden, die ich im Leben in der Welt tue. Ich kann nun auf diese
Gnade hin sündigen, die Welt ist ja im Prinzip durch Gnade gerechtfertigt.
Ich bleibe daher in meiner bürgerlich-weltlichen Existenz wie bisher, es
bleibt alles beim alten, und ich darf sicher sein, dass mich die Gnade
Gottes bedeckt. Die ganze Welt ist unter dieser Gnade „christlich“
geworden, das Christentum aber ist unter dieser Gnade in nie dagewesener
Weise zur Welt geworden. Der Konflikt zwischen christlichem und
bürgerlich-weltlichem Berufsleben ist aufgehoben. Das christliche Leben
besteht eben darin, dass ich in der Welt und wie die Welt lebe, mich in
nichts von ihr unterscheide, ja mich auch gar nicht - um der Gnade willen!
- von ihr unterscheiden darf, dass ich mich aber zu gegebener Zeit aus dem
Raum der Welt in den Raum der Kirche begebe, um mich dort der Vergebung
meiner Sünden vergewissern zu lassen. Ich bin von der Nachfolge Jesu
befreit - durch die billige Gnade, die der bitterste Feind der Nachfolge
sein muss, die die wahre Nachfolge hassen und schmähen muss. Gnade als
Voraussetzung ist billigste Gnade; Gnade als Resultat teure Gnade. Es ist
erschreckend, zu erkennen, was daran liegt, in welcher Weise eine
evangelische Wahrheit ausgesprochen und gebraucht wird. Es ist dasselbe
Wort von der Rechtfertigung aus Gnaden allein; und doch führt der falsche
Gebrauch desselben Satzes zur vollkommenen Zerstörung seines Wesens.

Wenn Faust am Ende seines Lebens in der Arbeit an der Erkenntnis sagt: „Ich
sehe, dass wir nichts wissen können“, so ist das Resultat, und etwas
durchaus anderes, als wenn dieser Satz von einem Studenten im ersten
Semester übernommen wird, um damit seine Faulheit zu rechtfertigen
(Kierkegaard). Als Resultat ist der Satz wahr, als Voraussetzung ist er
Selbstbetrug. Das bedeutet, dass eine Erkenntnis nicht getrennt werden kann
von der Existenz, in der sie gewonnen ist. Nur wer in der Nachfolge Jesu im
Verzicht auf alles, was er hatte, steht, darf sagen, dass er allein aus
Gnaden gerecht werde. Er erkennt den Ruf in die Nachfolge selbst als Gnade
und die Gnade als diesen Ruf. Wer sich aber mit dieser Gnade von der
Nachfolge dispensieren will, betrügt sich selbst.

Aber geriet nicht Luther selbst in die gefährlichste Nähe dieser völligen
Verkehrung im Verständnis der Gnade? Was bedeutet es, wenn Luther sagen
kann: „Pecca fortiter, sed fortius fide et gaude in Christo“ – „Sündige
tapfer, aber glaube und freue dich in Christo um so tapferer!“ Also, du
bist nun einmal ein Sünder, und kommst doch nie aus der Sünde heraus; ob du
ein Mönch bist oder ein Weltlicher, ob du fromm sein willst oder böse, du
entfliehst dem Stricke der Welt nicht, du sündigst. So sündige denn tapfer
- und zwar gerade auf die geschehene Gnade hin! Ist das die unverhüllte
Proklamation der billigen Gnade, der Freibrief für die Sünde, die Aufhebung
der Nachfolge? Ist das die lästerliche Aufforderung zum mutwilligen
Sündigen auf Gnade hin? Gibt es eine teuflischere Schmähung der Gnade, als
auf die geschenkte Gnade Gottes hin zu sündigen? Hat der katholische
Katechismus nicht recht, wenn er hierin die Sünde wider den Heiligen Geist
erkennt?

Es kommt hier zum Verständnis alles darauf an, die Unterscheidung von
Resultat und Voraussetzung in Anwendung zu bringen. Wird Luthers Satz zur
Voraussetzung einer Gnadentheologie, so ist die billige Gnade ausgerufen.
Aber eben nicht als Anfang, sondern ganz ausschließlich als Ende, als
Resultat, als Schlussstein, als allerletztes Wort ist Luthers Satz recht zu
verstehen. Als Voraussetzung verstanden, wird das pecca fortiter zum
ethischen Prinzip; einem Prinzip der Gnade muss ja das Prinzip des pecca
fortiter entsprechen. Das ist Rechtfertigung der Sünde. So wird Luthers
Satz in sein Gegenteil verkehrt. „Sündige tapfer“ - das konnte für Luther
nur die allerletzte Auskunft, der Zuspruch für den sein, der auf seinem
Wege der Nachfolge erkennt, dass er nicht sündlos werden kann, der in der
Furcht vor der Sünde verzweifelt an Gottes Gnade. Für ihn ist das „Sündige
tapfer“ nicht etwa eine grundsätzliche Bestätigung seines ungehorsamen
Lebens, sondern es ist das Evangelium von der Gnade Gottes, vor dem wir
immer und in jedem Stande Sünder sind und das uns gerade als Sünder sucht
und rechtfertigt. Bekenne dich tapfer zu deiner Sünde, versuche ihr nicht
zu entfliehen, aber „glaube noch viel tapferer“. Du bist ein Sünder, so sei
nun auch ein Sünder, wolle nicht etwas anderes sein, als was du bist, ja
werde täglich wieder ein Sünder und sei tapfer darin. Zu wem aber darf das
gesagt sein als zu dem, der täglich von Herzen der Sünde absagt, der
täglich allem absagt, was ihn an der Nachfolge Jesu hindert, und der doch
ungetröstet ist über seine tägliche Untreue und Sünde? Wer anders kann das
ohne Gefahr für seinen Glauben hören, als der, der sich durch solchen Trost
erneut in die Nachfolge Christi gerufen weiß? So wird Luthers Satz, als
Resultat verstanden, zur teuren Gnade, die allein Gnade ist.

Gnade als Prinzip, pecca fortiter als Prinzip, billige Gnade ist zuletzt
nur ein neues Gesetz, das nicht hilft und nicht befreit. Gnade als
lebendiges Wort, pecca fortiter als Trost in der Anfechtung und Ruf in die
Nachfolge, teure Gnade ist allein reine Gnade, die wirklich Sünden vergibt
und den Sünder befreit.

Wie die Raben haben wir uns um den Leichnam der billigen Gnade gesammelt,
von ihr empfingen wir das Gift, an dem die Nachfolge Jesu unter uns starb.
Die Lehre von der reinen Gnade erfuhr zwar eine Apotheose ohnegleichen, die
reine Lehre von der Gnade wurde Gott selbst, die Gnade selbst. Überall
Luthers Worte und doch aus der Wahrheit in Selbstbetrug verkehrt. Hat
unsere Kirche nur die Lehre von der Rechtfertigung, dann ist sie gewiss
auch eine gerechtfertigte Kirche! so hieß es. Darin sollte also das rechte
Erbe Luthers erkennbar werden, dass man die Gnade so billig wie möglich
machte. Das sollte lutherisch heißen, dass man die Nachfolge Jesu den
Gesetzlichen, den Reformierten oder den Schwärmern überließ, alles um der
Gnade willen; dass man die Welt rechtfertigte und die Christen in der
Nachfolge zu Ketzern machte. Ein Volk war christlich, war lutherisch
geworden, aber auf Kosten der Nachfolge, zu einem allzu billigen Preis. Die
billige Gnade hatte gesiegt.

Aber wissen wir auch, dass diese billige Gnade in höchstem Maße
unbarmherzig gegen uns gewesen ist? Ist der Preis, den wir heute mit dem
Zusammenbruch der organisierten Kirchen zu zahlen haben, etwas anderes als
eine notwendige Folge der zu billig erworbenen Gnade? Man gab die
Verkündigung und die Sakramente billig, man taufte, man konfirmierte, man
absolvierte ein ganzes Volk, ungefragt und bedingungslos, man gab das
Heiligtum aus menschlicher Liebe den Spöttern und Ungläubigen, man spendete
Gnadenströme ohne Ende, aber der Ruf in die strenge Nachfolge Christi wurde
seltener gehört. Wo blieben die Erkenntnisse der alten Kirche, die im
Taufkatechumenat so sorgsam über der Grenze zwischen Kirche und Welt, über
der teuren Gnade wachte? Wo blieben die Warnungen Luthers vor einer
Verkündung des Evangeliums, die die Menschen sicher machte in ihrem
gottlosen Leben? Wann wurde die Welt grauenvoller und heilloser
christianisiert als hier? Was sind die 3000 von Karl dem Großen am Leibe
getöteten Sachsen gegenüber den Millionen getöteter Seelen heute? Es ist an
uns wahr geworden, dass die Sünde der Väter an den Kindern heimgesucht wird
bis ins dritte und vierte Glied. Die billige Gnade war unserer
evangelischen Kirche sehr unbarmherzig.

Unbarmherzig ist die billige Gnade gewiss auch den meisten von uns ganz
persönlich gewesen. Sie hat uns den Weg zu Christus nicht geöffnet, sondern
verschlossen. Sie hat uns nicht in die Nachfolge gerufen, sondern in
Ungehorsam hart gemacht. Oder war es nicht unbarmherzig und hart, wenn wir
dort, wo wir den Ruf in die Nachfolge Jesu wohl einmal gehört hatten als
den Gnadenruf Christi, wo wir vielleicht einmal die ersten Schritte der
Nachfolge in der Zucht des Gehorsams gegen das Gebot gewagt hatten,
überfallen wurden mit dem Wort von der billigen Gnade? Konnten wir dieses
Wort anders hören, als dass es unseren Weg aufhalten wollte mit dem Ruf zu
einer höchst weltlichen Nüchternheit, dass es die Freudigkeit zur Nachfolge
in uns erstickte mit dem Hinweis, das alles sei ja nur unser
selbstgewählter Weg, ein Aufwand an Kraft, Anstrengung und Zucht, der
unnötig, ja höchst gefährlich sei? denn es sei ja eben in der Gnade schon
alles bereit und vollbracht! Der glimmende Docht wurde unbarmherzig
ausgelöscht. Es war unbarmherzig, zu einem Menschen so zu reden, weil er,
durch solches billiges Angebot verwirrt, seinen Weg verlassen musste, auf
den ihn Christus rief, weil er nun nach der billigen Gnade griff, die ihm
die Erkenntnis der teuren Gnade für immer versperrte. Es konnte ja auch
nicht anders kommen, als dass der betrogene schwache Mensch sich im Besitz
der billigen Gnade auf einmal stark fühlte und in Wirklichkeit die Kraft
zum Gehorsam, zur Nachfolge verloren hatte. Das Wort von der billigen Gnade
hat mehr Christen zugrunde gerichtet als irgendein Gebot der Werke.

Wir wollen nun in allem folgenden das Wort für diejenigen ergreifen, die
eben darin angefochten sind, denen das Wort der Gnade erschreckend leer
geworden ist. Es muss um der Wahrhaftigkeit willen für die unter uns
gesprochen werden, die bekennen, dass sie mit der billigen Gnade die
Nachfolge Christi verloren haben und mit der Nachfolge Christi wiederum das
Verständnis der teuren Gnade. Einfach, weil wir es nicht leugnen wollen,
dass wir nicht mehr in der rechten Nachfolge Christi stehen, dass wir wohl
Glieder einer rechtgläubigen Kirche der reinen Lehre von der Gnade, aber
nicht mehr ebenso Glieder einer nachfolgenden Kirche sind, muss der Versuch
gemacht werden, Gnade und Nachfolge wieder in ihrem rechten Verhältnis
zueinander zu verstehen. Hier dürfen wir heute nicht mehr ausweichen. Immer
deutlicher erweist sich die Not unserer Kirche als die eine Frage, wie wir
heute als Christen leben können.

Wohl denen, die schon am Ende des Weges, den wir gehen wollen, stehen und
staunend begreifen, was wahrhaftig nicht begreiflich erscheint, dass Gnade
teuer ist, gerade weil sie reine Gnade, weil sie Gnade Gottes in Jesus
Christus ist. Wohl denen, die in einfältiger Nachfolge Jesu Christi von
dieser Gnade überwunden sind, dass sie mit demütigem Geist die
alleinwirksame Gnade Christi loben dürfen. Wohl denen, die in der
Erkenntnis solcher Gnade in der Welt leben können, ohne sich an sie zu
verlieren, denen in der Nachfolge Jesu Christi das himmlische Vaterland so
gewiss geworden ist, dass sie wahrhaft frei sind für das Leben in dieser
Welt. Wohl ihnen, für die Nachfolge Jesu Christi nichts heißt, als Leben
aus der Gnade, und für die Gnade nichts heißt, als Nachfolge. Wohl ihnen,
die in diesem Sinne Christen geworden sind, denen das Wort der Gnade
barmherzig war.

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