In
der Fastenzeit betrachten wir das Leiden Jesu. Dabei geht es nicht
darum, sich einfach nur daran zu erinnern was vor 2000 Jahren mit Jesus
geschehen ist, sondern zu erkennen, dass er all das für mich persönlich
getan hat. Jeden einzelnen Menschen – auch mich – hatte er vor Augen als
er verurteilt, gegeißelt und gekreuzigt wurde. Auf jeder Station seines
Kreuzwegs will er mich ansprechen und mir zeigen, wie sehr er mich
liebt.
Als
Jesus vor dem römischen Statthalter steht, sagt er mir: „Ich richte
den, der die Liebe verurteilt. Doch mein Gericht ist anders als das des
Pilatus, denn ich selbst stelle mich an den Platz des Schuldigen. Ich
beuge mich dem ungerechten Urteil des römischen Statthalters, damit Du
freigesprochen wirst. Ahnst Du, wie sehr ich Dich liebe?“
Als
er das Kreuz auf seine Schultern nimmt, denkt er an die Last meines
Lebens: „Ich trage nicht Holz auf meinen Schultern, das für das Feuer
bestimmt ist. Ich trage die Welt. Ich trage, wie ein Lasttier, die
Menschen und jeden einzelnen. Ich trage Dich. Jede Sünde, jede böse Tat,
ist ein Hieb in meine Flanken; ist eine Wunde, die schmerzt und die
mich doch nur dazu drängt weiterzugehen. Meine Liebe trägt Dich. Nichts
ist mir zu schwer, weil ich Dich liebe. Ich bitte Dich, geh diesen Weg
mit mir. Hilf mir, die Welt zu tragen. Ich weiß, dass Du Angst hast vor
dem Kreuz und glaubst, von seiner Last erdrückt zu werden. Aber nichts
wird Dir zu schwer, weil ich Dich liebe.(..)
Ich
bitte Dich, lass es geschehen, denn ich brauche Deine Hilfe und ich
sehne mich nach Deiner Liebe. Merkst Du nicht, dass Du mir so nahe bist
wie nie zuvor?“
Festgenagelt
ans Holz des Kreuzes blickt er mich an, als ob ich der einzige Mensch
auf Erden wäre, und er für mich allein den Tod erlitte: „Ich könnte mich
von meinem Kreuz befreien und herabsteigen. Nein, diese Nägel können
mich nicht festhalten – aber Du. Es geschieht für Dich. Bis zum letzten
Moment wird mein Blick auf Dir ruhen und weil ich Dich sehe, kann ich
all das ertragen. Wenn all das Leiden, all die Wunden und Schmerzen, all
die Bitterkeit und Scham, der Preis ist, den ich für Dich zahlen muss –
so bist Du es ohne Zweifel wert. (..) Lass meine Wunden die Deinen
sein, so wie die Deinen schon längst die meinen sind.“
Jesus
leidet, weil er uns zu Liebenden machen will. Er ruft uns zur
Kreuzesnachfolge auf, weil er unsere Freundschaft sucht. Das Gebet des
Kreuzwegs ist nicht einfach eine fromme Andachtsübung, die vielleicht
manch „fromme Seele“ zu Tränen rühren mag, so als ob man von Ferne – aus
sicherer Distanz – das Leiden Jesu und der anderen betrachten könnte.
Nein, es ist eine Einladung mitzugehen. Es geht darum, Jesus ganz
persönlich zu mir sprechen lassen, um dann die Via Dolorosa meines
eigenen Lebens zu ersteigen. Mit ihm verwandelt sich die
schmerzensreiche Strasse in eine „Via Amorosa“ , an deren Ende ich
erkenne, dass kein Leid, auch wenn es nur mit einem Funken Liebe
angenommen wird, sinnlos ist. Es geht nicht darum, im Leben „heil
davonzukommen“, sondern „das Heil zu finden“.
Das
Beten des Kreuzwegs lehrt uns, an die Liebe zu glauben, selbst wenn
alles dunkel erscheint. Auch wenn wir immer wieder fallen, gibt der
Blick auf ihn die Kraft, wieder aufzustehen und weiterzugehen, weil er
uns sagt – immer wieder: „Schau auf mich. Niemals kannst Du tiefer
stürzen als ich.“ So wird der Kreuzweg zum Lebensweg, der nicht in der
Nacht des Karfreitags, sondern im Licht des Ostersonntags endet.
Aus: Florian Kolfhaus, Via Dolorosa, Der Kreuzweg Christi, ISBN 978-3-940879-20-2
...
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen