Donnerstag, 1. August 2013

Ein unmoralisches Angebot

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 ·  Abenteurer im Stammzellrevier: Wie hochgelobte Mediziner die Regeln der Wissenschaft auszuhebeln versuchen und Blasen der Erkenntnis die nötigen Zweifel ersticken.








„Mit Nebensächlichkeiten hat er nicht gerne seine Zeit verschwendet.“ Der Satz stammt aus einem vor fünf Jahren in der „Deutschen Medizinischen Wochenschrift“ erschienenen Geburtstagseditorial für den Düsseldorfer Kardiologen Bodo-Eckehard Strauer. Zu den Nebensächlichkeiten gehörte für ihn offensichtlich auch der Zweifel an der eigenen Arbeit. Hätte Strauer in seiner wissenschaftlichen Laufbahn sorgfältig die erste Empfehlung in der Denkschrift der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern verinnerlicht, er stünde nach Überzeugung vieler seiner Kollegen heute vielleicht nicht im Verdacht, als einer der schamlosesten Fabrikanten fragwürdiger Forschungsergebnisse an der Spitze der Stammzellmedizin zu stehen.
Dass es dennoch dazu gekommen ist, wurde in den vergangenen Monaten mehrfach und zuletzt in einer unlängst veröffentlichen großen Studie des Imperial College London deutlich, in der Graham Cole dem Düsseldorfer Kardiologen mehr als zweihundert „Ungereimtheiten“ unterschiedlichen Schweregrads in ein paar Dutzend Veröffentlichungen - inklusive der fünf wichtigsten Paper - attestierte. Immer standen jeweils Behandlungen von Herzinfarktpatienten im Mittelpunkt, denen Strauer patienteneigene Knochenmarkstammzellen entnommen und ins Herz injiziert hatte, um eine Regeneration des Herzens zu erreichen. Cole bemängelte unverblindete Studiendesigns, wo welche angebracht gewesen wären, fragwürdige Angaben zu Ethikkommissionen, vermeintlich falsche Statistiken und fehlerhafte Patientenzuordnungen - die Liste ist lang (siehe F.A.Z. vom 10. Juli). An der Universität Düsseldorf sind nun seit Dezember 2012 zwei Kommissionen damit beauftragt, Manipulationsvorwürfe gegen Strauer zu prüfen, und sie werden dabei auf einen - womöglich nicht den einzigen - skandalösen Vorgang stoßen, den der renommierte Wuppertaler Kliniker, Fachmann für Evidenzbasierte Medizin und ehemalige Kollege Strauers, Johannes Köbberling, gegenüber dieser Zeitung schilderte: Vor zwölf Jahren hatte demnach Köbberling, damals Schriftleiter der Zeitschrift „Medizinische Klinik“, einen Anruf von Strauer erhalten, mit dem er Jahrzehnte vorher als Nachwuchswissenschaftler an der Universität Göttingen arbeitet. Strauer wollte seine erste Publikation über die Behandlung von Herzinfarktpatienten mit Knochenmarkstammzellen veröffentlichen. Die Bedingung war: Sofort drucken, keine externen Gutachter. Peer Review, das Mindeste an unabhängigem, kritischem Sachverstand, den der Wissenschaftsbetrieb verlangt, sollte klammheimlich umgangen werden. Köbberling lehnte ab, „aus prinzipiellen Gründen“.
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Strauer ist nicht der einzige Forscher, der kaum Zweifel am eigenen Tun erkennt und Fremdzweifel bis zur Selbsttäuschung verdrängt. Viele Hypes haben darin ihren Ursprung. Und die Stammzellforschung ist für solche Blasen besonders anfällig. Nicht wenige Forscher - akademische, aber hauptsächlich kommerzielle Anbieter von Zelltherapien - versuchen zur Zeit mit der Strauerschen Augen-zu-und-durch-Therapiemasche einen Hype nach dem anderen zu generieren. Mesenchymale Stammzellen sind zur Zeit ein besonders beliebtes „Spielzeug“. In Italien hat es eine Gruppe um den Gründer der Stiftung Stamina, der Psychologe Davide Vannoni, mit Unterstützung von todkranken Patienten, Angehörigen und Medien geschafft, bei der Regierung drei Millionen Euro Forschungsgelder lockerzumachen für eine „neue Stammzelltherapie“ mit mesenchymalen Stammzellen aus dem Knochenmark der Patienten. Der Haken dabei: Über Vannonis Methode ist so gut wie nichts publiziert, sie gilt als Geheimsache, und bis heute gibt es keinen Beleg, dass mesenchymalische Stammzellen über den an sich schon rätselhaften immunmodulierenden Effekt hinaus tatsächlich Nervengewebe regenerieren oder gar Hirnzellen bilden könnten. In „Nature“ wurde jetzt sogar aufgedeckt, dass zwei Mikroskopaufnahmen in den Patentanträgen vermutlich aus mindestens sechs Jahre alten ukrainischen Veröffentlichungen kopiert wurden. Sie sollen Nervenzellen zeigen, die aus mesenchymalen Knochenmark-Stammzellen erzeugt worden waren.
Trotz der Zweifel haben sich bis vor kurzem schon mehr als hundert Schwerstkranke - Patienten mit Parkinson, spinaler Muskelatrophie, Morbus Krabbe und anderen Nervendefekten - für die Heilversuche beworben. Angelockt von fadenscheinigen Behauptungen, wie eine internationale Gruppe von Stammzellforschern um Paolo Bianco aus Rom und Oliver Brüstle von der Universität Bonn kürzlich in einem alarmistisch gehaltenen Artikel im „EMBO-Journal“ (Bd. 2013, S. 1) schimpfte: „Auch Heilversuche darf es nur geben, wenn der Therapieansatz zumindest als sicher gilt und Aussicht auf eine effektive Behandlung bietet. Alles andere wäre unmoralisch.“ Der Fall in Italien sei der erste weltweit, in dem der Staat mit seinen Regulierungsbehörden die hilflosen schwerkranken Patienten nicht schützt, sondern im Gegenteil finanziell dabei helfe, die Patienten den gewaltigen Risiken einer fragwürdigen Behandlung und somit der Ausbeutung durch „Abenteurer“ auszuliefern.
Der Artikel der Stammzellforscher endet in einer bemerkenswerten Anklage. Eine Klage gegen das neue medizinwissenschaftliche Freibeuter- und Abenteurertum, das sich sozusagen auf einen staatlich verordneten Hype beruft: auf das Ziel „Translation“ - die Übertragung von Ergebnissen der Grundlagenforschung in die Klinik. „Das Modell Translation um jeden Preis und möglichst schnell“ habe sich in den Köpfen eingenistet, aber es sei nicht das Modell der Zukunft, warnen die Stammzellforscher. Denn am Ende führe die vorschnelle Übersetzung von Laborergebnissen in die Klinik zu willkürlichen Experimenten mit Patienten. Und schließlich die Medizin in die Krise.

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