Donnerstag, 26. März 2015

Ein weiterer Grund

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In seiner Analyse formuliert Martin N. mehrere Gründe für den relativ großen Zuspruch, den PEGIDA in den Ländern der ehemaligen DDR erhält. Seine Analyse drängt mich dazu, auf noch einen weiteren Punkt hinzuweisen, der – zumindest meiner Ansicht nach – vielleicht sogar den wichtgsten Unterschied in der Haltung gegenüber PEGIDA ausmacht.
Es ist der (selten thematisierte) Umstand, dass die Bevölkerung auf dem Gebiet der ehemaligen BRD nahezu vollständig amerikanisiert worden ist, die Bevölkerung auf dem Gebiet der ehemaligen DDR jedoch weder amerikanisiert noch russifiziert.
Der Westen hat sehr, sehr viel (um nicht zu sagen: alles) aus den Vereinigten Staaten übernommen. Freiwillig und unfreiwillig. Die gesamte westdeutsche Kultur ist durchdrungen von amerikanischer Lebensweise, von einem amerikanisierten Weltbild und amerikanisiertem Denken.
Wie Menschen miteinander umgehen, welchen Werten sie nacheifern, wie sie sich in der Öffentlichkeit darstellen, welche Erzeugnisse gebraucht und hergestellt werden, die Rolle des Geldes, die Rolle des Bildes, die Rolle des Klangs, die Rolle der Frau als Sexobjekt, die Verdenglischung der Sprache usw. – all dies trägt eine US-amerikanische Handschrift. Ebenso ist auch das Verständnis von Politik und somit in erster Linie die Art und Weise, wie Demokratie begriffen wird, im Westen eine andere. Und nicht zuletzt existieren die westlichen Medien seit Gründung der BRD bis heute von Amerikas Gnaden.
Doch damit nicht genug. Viel wichtiger als all dies hat der Westdeutsche, durch amerikanische Umerziehung aufgezwungen, ein extrem minderwertiges Selbstbild als Abkömmling des vermeintlich ekelhaftesten Auswurfes, den das Menschengeschlecht je hervorbrachte. Unter all dem Glanz und materiellem Ehrgeiz ist der Westdeutsche sehr stark von Scham geprägt.
Ganz anders der Ostdeutsche. Die DDR-Führung war insofern gewitzt, als sie eine Trennung der beiden deutschen Staaten sofort ideologisch aufwertete, indem sie die Legende schuf, der Westen wäre jener Staat, der voll mit Altnazis sei, während in der DDR quasi ausschließlich die Nachkommen antifaschistischer Widerstandskämpfer lebten. Was den Kindern vom ersten Schultag an beigebracht wurde. So unzutreffend dies gewesen sein mag, verhinderte es doch, dass sich im Osten eine kollektive Scham über die Naziverbrechen einnisten konnte.
Die DDR-Bürger und deren Nachkommen bilden deshalb einen sehr außergewöhlichen Menschenschlag: nie russifiziert worden, weil Russland nichts hatte, was es der DDR kulturell überstülpen konnte. Dazu war die Sowjetunion wirtschaftlich zu schwach. Sie war so arm, dass sie ohne die regelmäßigen DDR-Exporte nicht überlebensfähig gewesen wäre. Schon deshalb, weil die Sowjetunion der DDR permanent zu Dank verpflichtet war, standen DDR und Sowjetunion kulturell mindestens auf Augenhöhe.
Zweitens ist der DDR-Bürger nie in derartiger Weise nachträglich nazifiziert worden wie der Westdeutsche. 1968 als kulturelle Erschütterung fand in der DDR quasi nicht statt. Der Mensch der DDR musste daher nie ein sinnstiftendes Substituit für die “Schande der Vergangenheit” suchen, weil diese Schande an ihm vorübergezogen war, ohne ihn wirklich zu treffen.
Drittens: Es gab in der DDR – trotz Stasi – eine sehr klare Trennung von Staat und Privatleben. Bier ist Bier, und Schnaps ist Schnaps, sagt man. So wurde das in der DDR gehandhabt. Im Privaten war der DDR-Bürger so frei wie jedes andere freie Individuum auch. Von Unterstützern, stillen Befürwortern, Indifferenten, heimlichen bis hin zu offenen Gegnern des DDR-Systems gab es alle Schattierungen. Und im Privaten konnte jeder diese seine Schattierung nach persönlichem Gusto pflegen.
Es ist deshalb nicht zutreffend, wenn die Menschen der DDR immer als unterjochte, mental gebranntmarkte Insassen eines 108.000 qkm großen Gefängnisses dargestellt werden. Ihnen war die Andersartigkeit der DDR durchaus klar, und die meisten akzeptierten es mit dem Langmut desjenigen, der weiß, dass es im Leben erstens anders kommt, als man meistens zweitens denkt.
Zusammengefasst geht man also nicht zu weit, wenn man behauptet:
Es war die DDR, in der das Deutsche Reich, das alte, wirkliche Deutschland, fortbestand. Nicht in der Staatsform. Und nicht im Wirtschaftssystem. Aber als Wertekanon in den Köpfen und Herzen der Menschen. Weil sowohl ein kultureller Umbruch durch Russifizierung ausgeblieben war als auch der Staatsideologie der Sprung hinunter ins Private nicht gelang und das Volk kaum erreichte. Die Einmauerung des Landes hatte den unerkannten Nebeneffekt, die eigentlichen positiven Werte Deutschlands zu konservieren – selbst bei allem zwischenmenschlich Enttäuschenden.
Während im Westen jede Weitergabe “Deutschlands” an die nächste Generation durch ’68, Konfetti und Propaganda pervertiert wurde, führten zivilgesellschaftliche Reste des alte Deutschen Reiches im Osten über 40 Jahre ein unbemerktes Schattendasein. Eingeigelt, sich wie im Winterschlaf zurückgezogen habend, öffentlich von der Oberfläche verschwunden, aber im Schutze des Privaten weitergegeben, als vermeintlich sozialistischer Staat getarnt, der jedoch bei Lichte betrachtet unglaublich wertkonservativ war, der sich am humboldtschen Bildungsideal orientierte, wissenschaftlich zur Weltspitze gehörte und in vielem ein gerechterer und wirklich sozialer Staat war, konnte so einiges des alten Deutschlands über die Zeit gerettet werden.
Doch viel ging seit 1989 auch verloren.
Deshalb muss man ebenfalls konstatieren: Dass PEGIDA im Osten viel Zustimmung erhält, ist relativ. Hoch erscheint sie lediglich angesichts der extrem zurückhaltenden Zustimmung im Westen. In absoluten Teilnehmerzahlen gemessen, ist auch im Osten die Beteiligung an PEGIDA gering – verglichen mit den Menschenmassen, die 1989 auf den Straßen waren. Die 25-jährige Propaganda hat beim Mut und dem klaren Urteilsvermögen der Ostdeutschen bereits eine breite Schneise geschlagen.
Es ist jedoch nicht mangelnde Zustimmung zu den Themen, weswegen die Teilnahme an PEGIDA im Westen so gering ist. Die Menschen im Westen haben z.T. einfach mehr Angst, sich öffentlich zu ihrer Meinung zu bekennen. Was ein ganz neues Licht auf die Behauptung wirft, im Osten hätte keine Meinungsfreiheit geherrscht, während man im Westen alles sagen dürfe.
Allmählich stellt sich heraus, dass die durch die USA den Westdeutschen aufgezwungene Nazi-Scham eine zwar sehr subtile, doch äußerst wirkungsmächtige Art der Meinungsunterdrückung ist. Diese Last bedrückt – wie oben dargelegt – den Westdeutschen hundertmal stärker als den Ostdeutschen. Obendrein ist auch die Radikalisierung im Geiste der 68er im Westen unvergleichlich viel stärker ausgeprägt. Beides lässt den Westdeutschen lieber schweigen. Beides hat seine Wurzeln außerhalb Deutschlands. Beides bringt den Westdeutschen dazu, abzuwägen und zu schweigen, weil er einfach zuviel zu verlieren hat.
Egal wie herum man es dreht und wendet: Der Ostdeutsche mag kein besserer Mensch sein, aber er hat den unschätzbaren Vorteil, bereits die Diktatur gekannt zu haben, bevor er in den Westen eintrat. Dieser Erfahrungsvorsprung macht sich jetzt bemerkbar. Dass er aufgrund ausgefallener Russifizierung weit mehr als der Westdeutsche Deutscher sein und bleiben durfte, verstärkt diesen Effekt.



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