Samstag, 21. März 2015

Das Kopftuch als Kampfinstrument

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Janis Anmerkung ... das es doch immer erst weh tun muss, bis Otto-Normalverbraucher (in diesem Fall die EKD) den Mund aufmacht. Viele brauchen halt einen erhöhten Leidensdruck bzw. müssen sie es selbst erleben, bevor sie anfangen, etwas zu ändern. 
Der Königsweg ist es, aus den Erfahrungen anderer zu lernen, der normale, durch das eigene Leid hindurchzugehen. Die meisten Menschen gehen den Leidensweg. Blöd ist nur, wenn in den Positionen von Macht Menschen sitzen, die ihren eigenen Leidensweg anderen sozusagen verordnen. Weil ihnen die Fähigkeit, den Königsweg zu gehen, fehlt. Nun könnte man auf die Idee kommen, es sitzen die falschen Leute in bewussten Positionen ......

Was können Schüler machen, wenn sie sich am Kruzifix im Klassenzimmer stören? Sie können sich auf ein Grundrecht berufen, auf ihre negative Religionsfreiheit: Man darf nicht gezwungen werden, sich einem religiösen Symbol auszusetzen. Daher können religionsallergische Schüler oder ihre Eltern, so bestimmte es das Bundesverfassungsgericht 1995, unter Bezug auf ein Grundrecht gegen das Kruzifix in der Klasse vorgehen.
Was aber können Schüler machen, wenn sie sich an der islamischen Glaubensbekundung einer Lehrerin mit Kopftuch stören? Sie können sich nicht auf ihre negative Religionsfreiheit berufen. Das hat in der vergangenen Woche der Erste Senat des Verfassungsgerichts im neuen Kopftuch-Urteil entschieden. Demnach kann der Lehrerin das Kopftuch nur dann verboten werden, wenn der "Schulfrieden" gefährdet ist.
Auf Unverständnis stößt diese Unterscheidung zwischen Kreuz und Kopftuch bei einem führenden evangelischen Juristen. Es handelt sich um Hans Michael Heinig, Leiter des Kirchenrechtlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).
Beim Kruzifix-Urteil von 1995, so der Göttinger Staatsrechtler im Gespräch mit der "Welt", "wurde gesagt, dass ein Kruzifix in der Schule geeignet sein könne, die negative Religionsfreiheit der Schüler zu verletzen. Jetzt aber heißt es, dass die negative Religionsfreiheit der Schüler nicht beeinträchtigt werde, wenn die Lehrerin ein Kopftuch trägt, weil die Begegnung mit religiösen Symbolen zum Alltag gehöre."
Wenn sich aber Kinder oder ihre Eltern "nachhaltig am Kopftuch stören", so interpretiert Heinig das neue Karlsruher Urteil, dann "sollen Grundrechte der Schüler oder Eltern keine Rolle spielen". Stattdessen würden sie "durch die Entscheidung im Grunde aufgefordert, sich selbst zu radikalisieren, um eine Störung des Schulfriedens zu bewirken". Denn "eine eigene Rechtsposition" werde jenen Schülern oder Eltern vom Verfassungsgericht "nicht zugestanden".Heinig nennt es "widersprüchlich, wenn das Kreuz auf Wunsch von Schülern und Eltern zu weichen hat, aber das Kopftuch nicht". Dabei habe doch zumal bei Grundschülern die Lehrerin als Vorbild für die Kinder eine größere Bedeutung als ein Kreuz an der Wand.
Getrübt wird durch solche Überlegungen die kirchliche Freude über das jüngsteKarlsruher Kopftuch-Urteil. An sich wurde es sowohl von Katholiken als auch von Protestanten begrüßt. Denn damit werde klargestellt, so sagte etwa der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm, dass Religion keine Privatsache sei, sondern Teil der Öffentlichkeit. Dies erkennt auch Heinig an.

Evangelische Skepsis wächst

Heinig hält es für gut, dass durch das Karlsruher Urteil "nicht etwa alle Religionen in gleicher Weise aus den Schulen verbannt werden sollen, sondern genau umgekehrt gesagt wird, dass der Staat des Grundgesetzes offen ist für die Religionen seiner Bürger, auch seiner muslimischen Lehrerinnen". Dass jetzt diese Lehrerinnen zu ihrem Glauben nach außen sichtbar stehen können, hält Heinig für "eine begrüßenswerte Absage an den Laizismus".
Und "generell" ebenfalls "zu begrüßen" ist nach Ansicht von Heinig, "dass das Bundesverfassungsgericht einem christlich-kulturalistischen Verfassungsverständnis eine Absage erteilt, bei dem eine zuvor fremde Religion wie der Islam mit seinen Symbolen weniger wohlwollend behandelt wird als das Christentum. Dass diese Ungleichbehandlung nun aufgegeben wird, ist richtig."
Das Kopftuch ist ein Kampfinstrument zur Durchsetzung eines Menschenbildes, das in Teilen nicht vereinbar ist mit dem Grundgesetz.
Michael Bertrams

Ehemaliger Präsident des nordrhein-westfälischen

Verfassungsgerichts
Dass die Kirchen trotzdem nicht wirklich glücklich mit dem Urteil sind, ließ jedoch schon Bedford-Strohm erkennen, indem er eine "sehr sorgfältige Prüfung" ankündigte. Die Kirche müsse dabei auch fragen, ob das Kopftuch für die Unterdrückung der Frau stehe.
Dezidiert bejaht wird diese Frage von Michael Bertrams, der früher Präsident des nordrhein-westfälischen Verfassungsgerichts war und heute der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche von Westfalen angehört. Bertrams sagte dem "Kölner Stadt-Anzeiger", das Kopftuch sei "ein Kampfinstrument zur Durchsetzung eines Menschenbildes, das in Teilen nicht vereinbar ist mit dem Grundgesetz".
Dem Verfassungsjuristen Bertrams will nicht einleuchten, warum die Richter "die negative Religionsfreiheit der Schüler durch eine muslimische Lehrerin mit Kopftuch nicht beeinträchtigt sehen". Einen Widerspruch zum Kruzifix-Beschluss sieht hierin auch der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesforschungsministerium, Thomas Rachel (CDU). Rachel, Bundesvorsitzender des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU, findet es seltsam, dass heute beim Kopftuch die positive Religionsfreiheit der Lehrerin betont werde – sie darf ihren Glauben auch in der Schule bezeugen –, aber die negative Religionsfreiheit der Schüler nicht einmal dagegen abgewogen werde. Dabei habe Karlsruhe noch 1995 "den Schutz der negativen Religionsfreiheit im Hinblick auf das Entfernen des Kreuzes an der Wand der Bayerischen Volksschule in den Mittelpunkt gestellt".
Dass eine Abwägung der Grundrechte nun von Karlsruhe ersetzt wird durch eine Bewertung des "Schulfriedens", hält Heinig für unbefriedigend. Zum einen könne die "Schulfrieden"-Bedingung dazu führen, dass im einen Schulbezirk das Kopftuch verboten wird, im andern nicht. "Das wird unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung schwierig zu vermitteln sein", sagte Heinig.
Zum andern sei es "fraglich", dass man "auf diese Weise zu mehr Rechtsfrieden kommt als durch die bisherigen Kopftuchverbote der Bundesländer". Zwar könne bei diesem Thema "keine Lösung vollständig befriedigen". Aber gerade deshalb, so Heinig, habe 2003 beim ersten Karlsruher Kopftuchurteil der damalige Zweite Senat des Gerichts "letztlich klug" damit gehandelt, diese Frage "der demokratischen Verständigung in der Gesellschaft" zu überlassen, "also dem Gesetzgeber".

Mal hü, mal hott für Bundesländer

Doch dieser Gesetzgeber – acht Bundesländer mit seither erlassenem Kopftuchverbot – muss jetzt zurücknehmen, was damals Karlsruhe den Ländern ausdrücklich erlaubt hatte. Entsprechend verunsichert wirken jetzt die Landesregierungen, die bislang fast durchweg nur mitteilen, dass sie das Urteil erst gründlich prüfen müssten.
Jetzt schon erkennbar ist nur, dass es zwei verschiedene Aufgaben gibt. Die eine stellt sich für Bremen, Niedersachsen und Berlin. Dort wurden die Kopftuchverbote im Rahmen einer allgemeinen Neutralitätsverpflichtung erlassen. Das heißt, dass dort keine Lehrkraft gleich welchen Bekenntnisses den jeweiligen Glauben außerhalb des Religionsunterrichts offen bekunden soll.
Dass dies nun doch erlaubt werden muss, dürfte für die betroffenen Länder bedeuten, dass sie die Neutralitätsverpflichtungen in ihren Gesetzen lockern und diese religionsfreundlicher ausgestalten müssen – aber ohne einzelne Religionen zu bevorzugen.
Die andere, juristisch vermutlich schwierigere Aufgabe stellt sich für Baden-Württemberg und Bayern, für das Saarland, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Dort hatte man das Kopftuch verboten – ohne es ausdrücklich zu erwähnen –, zugleich aber durch verschiedene Bekräftigungen der christlich-abendländischen Werte sicherstellen wollen, dass jüdische und christliche Symbole präsent sein dürfen.
Diese Länder müssen nun wählen. Entweder sie streichen die positiven Bezüge aufs Jüdisch-Christliche, schwächen diese zumindest ab. Danach scheint es in NRW und Baden-Württemberg auszusehen. So würden dann auch Kopftücher tragbar.
Oder, zweite Möglichkeit, die entsprechenden Länder behalten die Bekenntnisse zur abendländischen Tradition bei und versuchen zugleich, Musliminnen ein Stück weit trotzdem das Kopftuch zu ermöglichen.

Bayern versucht sich an einem Sonderweg

Diesen Weg versucht Bayern einzuschlagen. Man wolle im Grundsatz, so ein Sprecher des bayerischen Kultusministeriums, an der Bestimmung des dortigen Schulgesetzes festhalten, dass "äußere Symbole und Kleidungsstücke, die eine religiöse Überzeugung ausdrücken", von Lehrern nicht im Unterricht getragen werden dürfen, sofern sie christlich-abendländischen Bildungs- und Kulturwerten widersprechen.
Zugleich aber wolle man nun in Bayern per Verwaltungsanweisung regeln, an wen sich eine muslimische Lehrerin wenden muss, um eine Kopftuch-Erlaubnis zu erhalten. Gedacht ist offenbar an ein Antragsverfahren auf höherer Behördenebene, sodass die vermutlich als Ausnahme gedachte Genehmigung nicht von den einzelnen Schulen erteilt werden soll.
Mithin scheint man in Bayern die Karlsruher Bezugnahme auf den konkreten "Schulfrieden" zumindest ein wenig unterlaufen zu wollen, um allgemeine Betrachtungsweisen einbeziehen zu können. Bei der jeweils zu treffenden Entscheidung, so der Sprecher, "müssen die Religionsfreiheit, die Verfassungsziele, der Schulfriede und andere Aspekte betrachtet und abgewogen werden". Man trete wohl keiner Schulleitung zu nahe, wenn man sage, "dass sich eine Schule mit so einer Aufgabe überheben würde".





welt.de

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