Montag, 2. November 2009

Samiras Brief .....

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Sie ist beliebt. Dann fehlt sie in der Schule. Als sie wiederkommt, ist sie dick und trägt Kopftuch. Sie schreibt ihrem Lehrer, bevor sie endgültig verschwindet.


31. Oktober 2009
.... Samira verabschiedet sich zu den Osterferien von allen Klassenkameraden mit Handschlag. Sie ist beliebt, und viele bedauern, dass es zu ihr keine privaten Beziehungen gibt, genauso wenig wie zu den übrigen türkischen Kindern in der Klasse. Samira (Name geändert) darf niemanden zum Geburtstag einladen und geht auch nicht zu anderen Festen.
Abgesehen von der Einschulung, sind ihre Eltern niemals in die Schule gekommen. Aber sie haben Samira etwas Wichtiges lernen lassen: Bei Klassenfesten erntet sie stets große Bewunderung, denn sie kann Einrad fahren!
Ihre schulischen Leistungen indessen sind nicht besonders; die Versetzung ist gefährdet. Kein Mensch kann sich erklären, weshalb das kluge und aufgeschlossene Mädchen seinen Pflichten nicht nachkommt, schlampig bis zur Verweigerung, und darüber jegliche Aufklärung verweigert.

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Bitte auf Rechtschreibfehler nicht achten! Danke. Wie sie wissen, habe ich viele Probleme mit denen ich zum Teil fertig werde und zum teil auch nicht. Zum Teil kennen sie ja meine Probleme und sind auch bereit mir zu helfen. Ich bin sehr froh darüber, aber ich komme mir irgendwie so vor, wenn ich mich mal bei ihnen mich ausspreche, als würde ich meine Familie verraten. Sie hatten mich doch gefragt was ich zu hause alles zu tun habe, wenn ich ehrlich sein soll, alles, alles was eine Hausfrau macht; z. b. Geschirrspülen, Staubsaugen bzw. Staubwischen, Kochen, Fenster- und Treppenputzen usw. . . Meine Mutter meint, daß sie mein bestes wolle, und mich für meine Zukunft vorbereite, denn wenn ich mal in späteren Jahren mal Heirate, müssen sie wissen, dass die türkischen Schwiegereltern nicht so nett und freundlich sind, wie die Deutschen . . ., sondern das Gegenteil. Denn meine Mutter hat schon vieles erlebt und sie will nicht daß ich das Gleiche auch noch durchmache. Egal ob ich dabei gequält werde oder manchmal darunter sogar leide bin ich froh, dass meine Eltern mit mir so streng sind. Der eigentliche Grund, weshalb sie so streng sind ist, weil sie angst haben, daß ich mal in späteren Jahren ausflippe und mit jedem Typ der mir auf der Straße begegnet gehe oder Freundschaft schließe. Denn für uns manche Türken heißt ein Mädchen zu sein "die Ehre" für unsere Familie und die darf ich nicht zerstören, nur weil ich jetzt einen lieb hab und mit ihm gehen will. Das darf ich nicht und werde es nie tun. Denn als ich auf die Welt kam, war ich sehr sauber und daß will ich auch bis zu meinem Tode bleiben. Was ich mir am meisten Wünsche ist, daß ich ohne irgendwann mal meine Ehre zu zerstören, sterbe. Denn das Wichtigste für mich auf der ganzen Welt ist meine Ehre, für sie bin ich geboren und für sie bin ich bereit zu sterben, denn ich will keine Schande für meine Familie sein. Und an zweiter Stelle Wünsche ich mir, daß ich mein Abi erfolgreich abschließe. Ich weiß nicht ob ich es schaffen kann, denn mein Problem ist Deutsch, in allen Fällen habe ich mich verbessert nur in Deutsch habe ich immer noch eine 5, obwohl ich mir sehr viel mühe gebe, schaffe ich es nicht. Ich weiß einfach nicht was ich machen soll, ich bin sprachlos. Sie wollten doch meinen Vater sprechen und kennenlernen. Doch nach unserem letzten Gespräch habe ich lange nachgedacht und bin zu dem Entschluß gekommen, das Sie meinen Vater nicht kennen lernen sollen, weil ich das Gefühl habe, daß Sie die Situation nur noch verschlimmern würden, als sie ist. Bitte, seien Sie jetzt nicht beleidigt, sondern hören Sie mich erst mal an.

Die Gründe weshalb sie meinen Vater nicht kennen lernen sollen ist:

1. Ich komme mit meinem Vater in der letzten Zeit nicht so gut aus und wie ich schon gesagt habe, sie würden die Situation nur noch verschlimmern.

2. Sie können eh nichts daran ändern, weil mein Vater ein Sturkopf ist.

3. Es hat keinen Sinn, weil wir noch 2 Wochen Schule haben und

4. Es sind meine Probleme, mit denen ich fertig werden muß. Denn wenn ich mit all meinen Problemen jedesmal zu einer Person renne, daß sie mir ein Rat geben sollen oder irgend etwas anderes, dann könnte ich ja nie mit meinen Problemen fertig werden, denn wenn ich es jetzt nicht schaffe, dann werde ich es auch nicht später schaffen.

Bitte vertrauen Sie mir und helfen Sie mir mein Selbstvertrauen wieder zurück zugewinnen. Ich will nur . . . versetzt werden, aber wenn ich die 5 in Deutsch habe und nirgendwo sonst, trotzdem besteht die Gefahr daß ich hockenbleibe und das darf niemals geschehen.

Bitte helfen Sie mir in Deutsch auf eine 4 zu kommen bitte, bitte. Denn sie sind meine letzte Hoffnung und bitte stellen sie mir dazu keine Fragen oder geben sie mir bitte nicht ihr Kommentar dazu ab. Bitte, bitte.

Ich Wollte einfach nur, daß sie wissen, was in mir sich Abspielt. Bitte sagen sie nichts zu dem Zettel irgendetwas, behalten sie es für sich, weil ich einfach nicht in der Lage sein werde ihnen zuzuhören oder zu antworten. Bitte, bitte. Ich hoffe, daß Sie mich verstehen, ich weiß, daß Sie mein bestes wollen, aber sagt jeder. Ich weiß nicht, ob es nur Sprüche sind oder ob jeder wirklich mein bestes wolle. Damit sind Sie nicht gemeint.

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Der Autor war 38 Jahre lang Gymnasiallehrer. Seit zwanzig Jahren ist er ehrenamtlich beim Frankfurter "Sorgentelefon e.V." tätig.

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