Montag, 30. Mai 2011

Der falsche Instinkt der Angela Merkel


Außenminister Westerwelle steht deutschen Journalisten in New York Rede und Antwort.


von John Vinocur

Die Bundeskanzlerin und ihr Außenminister haben sich ohne Not im UN-Sicherheitsrat aus dem westlichen Bündnis entfernt: Mit China und Russland widersetzten sie sich der militärischen Intervention im libyschen Bürgerkrieg. Ihr Sonderweg hat außenpolitisch gravierende Folgen

Öffentliche Empörung haben sich Deutschlands Verbündete verkniffen. Laute Vorhaltungen sind ausgeblieben. Vergeltung steht nicht auf ihrer Tagesordnung.

Stattdessen, schlimmer noch: Gleichgültigkeit, Trauer und Herablassung. Und vor allem setzt sich der Eindruck durch, dass Angela Merkel mit ihrer Weigerung, einem drohenden Massaker in Libyen im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen entgegenzutreten, um sich stattdessen mit dem ganzen Land unter dem Sofa zu verstecken, den Ruf Deutschlands beschädigt hat. Beschämend ist dieser Vorgang und zugleich so offensichtlich, dass sich negative, öffentliche Kurzkommentare der alliierten Freunde von selbst erübrigen.

So hat Barack Obama mit seiner üblichen Vorsicht vermieden, Namen zu nennen: „Einige Nationen mögen über Massaker in anderen Ländern hinweg­sehen. Die USA gehören nicht dazu.“

Zumindest in diesem Fall zählt Deutschland zu „einigen Nationen“. Die Causa „Libyen“ ist der Beweis.

Eine demokratische, intelligente, wirtschaftlich kraftvolle Nation, die ihre Nachkriegskarriere der Integration in westliche Bündnisse und demokratischen Überzeugungen verdankt, weigert sich – zusammen mit Russland und China – einer militärischen Operation, sanktioniert vom UN-Sicherheitsrat, unter amerikanischer, britischer und französischer Führung zuzustimmen. Aufständische libysche Bürger vor den Söldnern des Diktators Gaddafi schützen? Abgelehnt!

Vor uns liegt das gute Deutschland, das sich weiß Gott seiner furchtbaren Geschichte bewusst und durchaus fähig ist, eigene Fehlentwicklungen zu korrigieren – doch dessen Regierung sich sträubte, über den eigenen Schatten zu springen und das Richtige zu tun, bloß weil sie schreckliche Angst hatte, zwei Landtagswahlen zu verlieren.

Das war einfältig, provinziell, das war selbstsüchtig, und vor allem war es ziemlich dumm. Tapfer war es ganz gewiss nicht. Hinzu kam der Angstreflex auf Japans AKW-Desaster – sieben Reaktoren wurden abgeschaltet: Plötzlich stellte sich Deutschland als eine Art ­Kuhschnappelland heraus, das niemandem in der Welt als Beispiel für irgendetwas dienen könnte, was jenseits provinzieller Machtfragen liegt.

Was sehen wir also vor uns – eine Implosion von Verantwortlichkeit, ein Instinktmangel, der keinen Unterschied zwischen Ehre und Schande kennt? Wahrscheinlich dies und nichts anderes.

Umso dümmer, dass der Versuch der Union, aus der Angst ihrer Wähler Stimmengewinn zu schlagen, danebenging. Mehr noch, Merkels und Westerwelles Demonstration deutscher Instinktpolitik widersprach nicht nur dem Libanon, Gabun und Nigeria (die mit den großen Bündnispartnern Deutschlands für ein Flugverbot über Libyen votierten), sie widersprach auch dem Selbstrespekt Belgiens, Hollands, Dänemarks, Norwegens, Spaniens, ja selbst des neutralen Schwedens, die Flugzeuge und Schiffe im Mittel­meer zur Verfügung stellten.

Das deutsche Abstimmungsverhalten im UN-Sicherheitsrat hat das längst vorherrschende Bild von Deutschland fokussiert – eines Landes, das sich weigert, als zupackender Partner internationaler Sicherheitspolitik unter Hinnahme auch großer militärischer und moralischer Risiken zu handeln. Und weil das so ist, verhalten sich Amerikas und Frankreichs Politiker, abgesehen von heimlicher Verachtung, als wäre nichts geschehen.

Inzwischen hat die amerikanische Regierung sogar angekündigt, dass sie Merkel zu einem Staatsbankett am 7.Juni ins Weiße Haus eingeladen hat, um ihr die „Freiheitsmedaille“ (wer weiß wofür?) zu überreichen – ein verschobener und fast vergessener Termin vom vorigen Jahr. Die Redenschreiber Barack Obamas werden Pirouetten um den Sachverhalt drehen, dass Merkel den Ruf der Freiheit im arabischen Frühling überhört hat; auch werden sie das amerikanische Publikum nicht mit der Wahrheit belästigen, dass Deutschland dem Nato-Oberkommando zwei Kriegsschiffe vorübergehend entzogen hatte, als das Waffenembargo für Libyen in Kraft trat. Mit angestrengter Gleichgültigkeit werden sie die inzwischen höchst begrenzte Erwartung Washingtons verschweigen, dass Deutschland jemals ein entscheidender Faktor in Amerikas globaler Sicherheitspolitik werden könnte, egal wie wichtig seine Wirtschaftskraft auch sein mag.

Öffentlich erklären französische Politiker, dass es keinen Grund gebe, den Deutschen Vorwürfe zu machen. Insgeheim betrachten sie die UN-Episode mit Verachtung – und nutzen sie gleichzeitig als großartige Gelegenheit. Jean-François Copé, Vorsitzender von Nicolas Sarkozys Gaullistischer Partei, erklärt, dass Berlin ja Libyens Wiederaufbau übernehmen könne. Unfreundlicher ausgedrückt: Es wird Deutschland viel Geld kosten, um die Scharte auszuwetzen, die es mit seinem Verzicht auf Waffenhilfe für seine besten Verbündeten geschlagen hat.


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