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04.12.2010 12:14 Uhr
Von Susanne Leinemann* – Foto: Eva Leitolf / ZEITmagazin
Es ist eine Urangst vieler Menschen: nachts überfallen, brutal niedergeknüppelt zu werden. Susanne Leinemann (41), Autorin beim „Zeit-Magazin“, ist dies widerfahren. Was sie erlebte, hat sie aufgeschrieben. BILD druckt Auszüge:
Eine Frau läuft spätabends eine Straße in Berlin entlang. Es ist kurz vor 23 Uhr. Die Frau beeilt sich, sie ist ein bisschen spät dran, um elf wollte sie zu Hause sein. Plötzlich hört sie dicht hinter sich zwei Männerstimmen. Im nächsten Moment springt der innere Alarm an. Die überholen mich nicht, kleben hinter mir. Etwas stimmt hier nicht.
Diese Frau bin ich. Am 29. April 2010 bricht kurz nach 23 Uhr Gewalt über mich herein. Hemmungslos, mitleidlos, maßlos. Als ich zu mir komme, liege ich auf dem Bürgersteig in meinem Blut. Meine Handtasche, keine Ahnung, wo die ist.
Später im Krankenhaus stellen die Ärzte ein Schädel-Hirn-Trauma, Schädelbruch über der Augenhöhle und einen Hirnhautriss fest.
DIE TÄTER
Es dauert gar nicht lange, bis sie gefasst werden. Zwölf Tage. Da haben sie einen räuberischen Amoklauf hinter sich, sechs Überfälle. Drei jugendliche Täter seien es, sagt mein Polizist, „Brandenburger“. Die meisten Überfälle geschahen im Wedding, da ist dieses Täterprofil rar. Türken und Araber sind dort der Standard.
Nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus sind Susanne Leinemann und ihr Mann zur Zeugenaussage im Polizeipräsidium.
BEI DER POLIZEI
Wir sitzen auf dem Flur des Präsidiums. Da öffnet sich eine Tür, ein schlaksiger junger Kerl wird von zwei Beamten auf den Gang geführt. Ob er nicht wissen wolle, ob die Frau noch lebe, die sie überfallen hätten, wird der Kerl später von Polizisten gefragt. Da lehnt sich der Siebzehnjährige zurück, grinst und sagt: „Und? Lebt sie noch?“
DER ÜBERFALL
Am Abend des 29. April ziehen die drei los. Sie brauchen Geld. Aus einer Tasche holen sie eine dicke Treppensprosse hervor. Auf Höhe einer Laterne holen sie mich ein, schlagen mir von hinten auf den Schädel, ich falle zu Boden. „Wie ein Klappstuhl“, werden sie später in der U-Bahn feixen. Der Zweite tritt mir ins Genick. Völlig benommen komme ich mit dem Kopf hoch. Da schlägt mir der Jüngste mit dem Treppenteil frontal ins Gesicht. Ein knackendes Geräusch, der Schädelbruch.
DIE FLUCHT
Der Haftrichter ordnet statt U-Haft bis zum Prozess ein offenes Heim an. Alle drei hauen in den folgenden 48 Stunden ab.
DER PROZESS
Niko K. (16), Steffen G. (17) und Tobias L. (17) werden wieder geschnappt, zu Haftstrafen zwischen zwei und fünf Jahren verurteilt.
Ich sehe die Täter an – und fühle nichts. Im Grunde interessiert es mich nicht, wer sie sind und warum sie so geworden sind, wie sie sind. Eine kaputte Kindheit ist kein Freifahrtschein für Mord und Totschlag.
*Susanne Leinemann ist Autorin des Magazins der Wochenzeitung „Die Zeit“. Der Abdruck erfolgte mit freundlicher Genehmigung.
Quelle
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