Dienstag, 9. Oktober 2012

Wie tief Worte verletzen können

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Jetzt ist es mir doch passiert: Ich habe jemanden verletzt, weil ich sie fälschlicherweise des Antisemitismus beschuldigt habe. Dies geschah zwar „nur“ im Eifer des Gefechts, aber es passierte…
Von Tamara Guggenheim

Worte, das habe ich schon als Kind gelernt, können Menschen härter treffen als Schläge, denn sie bleiben im Gedächtnis haften. Worte, Sprache, das ist mein Thema in den letzten Wochen der Debatte um die Vorhaut, die meine Söhne nicht mehr haben.

Die Verletzung durch Worte erlebte ich in dieser Debatte das erste Mal, als die FAZ einen Brief veröffentlichte, in der ich der sexuellen Gewalt bezichtigt wurde, weil ich meine Söhne beschneiden ließ. Nein, nicht an mich persönlich adressiert, es wurde allgemein herausgestellt, dass keine Religion diesen Eingriff rechtfertige. Aber es waren solche Worte, die mein Leben beeinflusst, wenn nicht gar verändert haben.

Ich bin plötzlich kein Mitglied dieser Gesellschaft mehr, denn als Befürworterin der Beschneidung gehöre ich für einige zu den „Religioten“, zu einer Gattung, die sich „gegen Vernunft, gegen Menschenrechte, gegen die Geschichte dieses Landes und seine Errungenschaften“ stellt. Meine Religion, sagt  jemand namens Achim, ist eine „pestilenzialische, aussätzige und gemeingefährliche Rasse“, auch wenn er dabei „nur“ Giordano Bruno, den Namensgeber der gleichnamigen Stiftung zitiert. Genau: das stand nicht vor 70 Jahren im Stürmer, das war ein Posting auf der Facebook Fan-Seite der Giordano Bruno Stiftung, einer „Denkfabrik für den evolutionären Humanismus“. Auf der gleichen Seite attestiert mir heute und hier und von seinen Freunden unwidersprochen ein Mann mit dem Namen Günther, Juden seien „eine hysterische und unentspannte Glaubensgruppe mit einem enormen Standesdünkel“.  Von „religiösem Wahn“ ist die Rede und auch die Fähigkeit des „kritischen Denkens“ wird mir plötzlich von einem Ulf abgesprochen. Weil ich meine Söhne beschneiden ließ, weil ich hoffe, dass meine Enkelsöhne ebenfalls beschnitten werden.

Die Giordano Bruno Stiftung (GBS) hat aber geschrieben, in ihren Reihen seien keine Judenhasser. Danke für die klaren Worte.

Es gibt auch gönnerhafte Worte an mich. Ich sei ja „in einer archaischen Tradition“ aufgewachsen und könne die Beschneidung gar nicht ablehnen, da ich ja sonst in Frage stellen müsse, was ich meinen Söhnen antat, die ja im übrigen „traumatisiert und durch mich indoktriniert seien“. Mahne ich Respekt an, so lese ich „kein Respekt den Respektlosen“ und bin darüber auch nicht mehr überrascht, seit der Mitbegründer und Vorstandsprecher der Stiftung schrieb: „Respekt? Wofür denn?“

Sie sind gut mit ihren Worten, manche der Beschneidungsgegner, vor allem die, die mit ihren Worten vorangehen. Da werden Halbwahrheiten ausgesprochen, da werden Behauptungen aufgestellt, die aufgrund ihres schwammigen, auf Ressentiment statt auf Fakten basierenden Inhalts kaum zu widerlegen sind. Und natürlich steht es plötzlich auch wieder im Raum, das Wort vom Juden, dem es nur um Geld geht, selbst aus der Vorhaut mache er Millionen, vor allem in den – natürlich von Juden beherrschten – USA. Da werden jüdische Denker zitiert, die sich in eine Reihe mit dem antisemitischen Namensgeber der GBS stellen würden. Halbwahrheiten in schöne Worte verpackt werden zwar nicht wahr, aber sie bleiben haften. Ja, sie kennen sich aus mit Worten, die geistigen Oberhäupter des evolutionären Humanismus, der neuen säkularen Religion. Nur – warum erscheint sie mir so intolerant?

Kaum wird ein Artikel zur Beschneidung veröffentlicht, sind schon die Kommentare dazu da, selten durchdacht, aber immer voller Hass und Wut. „Geht doch nach Hause“ lese ich oder auch: „Hat hier irgendwer was dagegen, dass du mit deinen Knäblein nach Australien zu den Aborigines ziehst und ihnen dort die komplette Penis-Unterseite aus archaisch-rituellen Gründen aufschlitzen lässt?“

Das sei Rassismus und Antisemitismus pur, sagen meine Freunde. Worte, die bedrohlich und beängstigend sind. Sind die Worte hier und heute von Rassismus und Antisemitismus beherrscht? Das böse Wort, das „Totschlagargument“ gegen die Beschneidungsgegner? Sind die GBS und sind ihre Anhänger rassistisch und antisemitisch?

„Rassismus ist eine Ideologie, die Rasse in der biologistischen Bedeutung als grundsätzlichen bestimmenden Faktor menschlicher Fähigkeiten und Eigenschaften deutet“, lese ich nach und „Rassismus zielt dabei nicht auf subjektiv wahrgenommene Eigenschaften einer Gruppe, sondern stellt deren Gleichrangigkeit und im Extremfall die Existenz der anderen in Frage.“

Auch über diese Worte muss ich nachdenken. Ich will niemanden mit dem Vorwurf des Rassismus belegen, nicht als „Totschlagargument“.  Aber ist es Rassismus bei den anderen, wenn ich und viele meiner Freunde subjektiv unsere jüdische Existenz gefährdet sehen? Gibt es hier in der Debatte die, das lese ich in der Definition von Antisemitismus nach 1945 „pauschale Judenfeindlichkeit, deren Vertreter Juden mit lange überlieferten Klischees und Stereotypen als übermäßig einflussreiches Kollektiv betrachten“?

Ich will es genau wissen, lese in den Kommentaren unter den Zeitungsartikeln und der GBS genau nach. Welche Worte benutzen sie, was schreiben sie? Dass die Bundesregierung vor uns in unserem Wunsch nach einer „Sonderregelung“ einknicke, wird da lamentiert und ich finde ein Bild, das mehr sagt als Worte. Eine GBS-Karikatur, in dem der gesamte Bundestag sich vor sehr klar erkennbaren Vertretern der drei Weltreligionen verbeugt, zwei von ihnen, erkennbar als Muslim und als Jude karikiert, halten ein blutiges Messer in der Hand.

Deckt sich das nicht doch mit der Definition zum Antisemitismus nach 1945, oder bin ich nur zu empfindlich, nehme es zu persönlich in meiner Existenz als Jüdin und Tochter von Überlebenden? Ich merke, dass mich diese Vorwürfe persönlich treffen, mich und mein Volk als Ganzes. Ich fühle mich bedroht, ausgegrenzt und Zielscheibe von Wut und Hass, den ich nicht verstehen will.

Geht es wirklich nur noch um die Beschneidung? Kann ich nicht gegen Hassprediger sein und dennoch der Überzeugung, dass die Muslime als Religionsgemeinschaft friedliebend sind? Kann ich nicht gegen den Missionsgedanken der christlichen Kirchen sein, ohne die Christen als Ganzes zu verdammen? Was ist der Unterschied? Ich kann es nachlesen in den „alten verkommenen Büchern“, wie ein Sascha schreibt.

Judentum beinhaltet Religion, Nation und den Volksbegriff. Egal, was wir tun, egal wie wir uns positionieren, wir sind ein Teil dieser Begrifflichkeiten. Egal wo und wie wir leben, wir haben eine Verbindung nach Israel, egal, welche. Wenn ich meine Worte gegen einen Juden richte, dann kann ich schnell alle damit meinen. Ja, ich nehme diese Worte sehr persönlich, denn ich bin ein Teil dieser Gemeinschaft. Ist dieser neue Humanismus  nur ein Spiegelbild alten rechten Gedankenguts?

Die GBS schrieb: „In unseren Reihen sind keine Judenhasser“. Warum lese ich dort, wo es keine „Judenhasser“ gibt, dass die Beschneidung zu der „grotesken Situation“ führe, „dass Brandzeichen für Pferde verboten werden, während Kinder von Juden und Muslimen gewaltsam in Bezug auf die Religion ihrer Eltern gekennzeichnet werden dürfen“?  Was steht für ein Denken hinter diesen Worten? Und warum muss ich solche Worte auch nach Tagen noch lesen?

Ein Mensch, der sich gegen die Beschneidung ausspricht, ist kein Rassist oder Antisemit. Wer seine Worte aber so, wie oben beschrieben gegen Angehörige einer Religionsgemeinschaft richtet, der muss sich den Vorwurf des Antisemitismus anhören, denn diese Postings sind voller Rassismus und – sie sind antisemitisch. Wer sich nicht klar davon abgrenzt und solche Aussagen unwidersprochen zulässt, macht sie zu seiner eigenen Wahrheit.

Vielleicht sollten wir den Gebrauch unserer Sprache überdenken, vielleicht wäre es auch sinnvoll, den Respekt wieder in den Humanismus zu lassen, denn Respekt und Humanismus sollten zusammen gehören. Beim Respekt geht es nicht nur um die Worte, da geht es auch um das Handeln.

Ich habe diese Frau verletzt, habe meine Worte nicht mit Bedacht und dem gebotenen Respekt gewählt, habe mich von meiner Wut leiten lassen.
Sie hat in den Kommentaren der Wütenden und Hassenden nur versucht, einen rationalen Dialog zu führen. Sie war entsetzt über meine Anschuldigungen, sie hat gehandelt und das Gespräch gesucht. Ich bin ihr dankbar, denn sie hat mir wieder bewusst gemacht, wie wichtig Worte sind, wie sorgfältig wir sie wählen sollten und wie tief Worte verletzen können. Nicht nur Dich, nicht nur Dich.

Tamara Guggenheim ist Religionslehrerin der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf und hat die Facebook-Gruppe “Für Elternrecht und Religionsfreiheit” gegründet, die für das Recht antritt, Söhne aus religiösen Gründen zu beschneiden.


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