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29. Februar 2016
Waffenruhe ohne den Feind
USA und Russland vereinbaren Atempause für Syrien – Opposition zerstückelt in religiöse Splittergruppen
Die USA und Russland haben eine Waffenruhe in
Syrien beschlossen, von der als Terroristen eingestufte Gruppen wie der
IS und die al-Nusra-Front ausgeschlossen bleiben. Neben der
Zivilbevölkerung verschaffen die Großmächte auch den als gemäßigt
geltenden Oppositionellen eine Atempause. Dass eine Waffenruhe ohne die
Einbeziehung aller verfeindeten Gruppierungen allerdings zum Ende des
Bürgerkriegs beitragen kann, ist zweifelhaft.
Barack Obama und Wladimir Putin haben eine Vereinbarung unterzeichnet, mit der sie für eine Waffenruhe zwischen der syrischen Armee und der bewaffneten Opposition sorgen wollen. Putin bezeichnet die gemeinsame Erklärung gar als „echte Chance, das Blutvergießen zu beenden“. Das klingt sehr optimistisch angesichts der vielen gegeneinander kämpfenden Organisationen, bei deren Aktionen religiöse und ethnische Motive im Vordergrund stehen. In dem Dokument heißt es, die Schläge gegen die als terroristisch eingestuften Gruppen IS und Al-Nusra-Front sollten weitergehen. Entgegen anderweitiger Medienmeldungen sollen Russland und die USA ihre Einsätze verdeckt bereits eng absprechen.
Syriens Präsident Baschar al-Assad hat für
den 13. April Parlamentswahlen angekündigt. Zuvor hatte er seinen Mäzen
Russland mit Rückeroberungsäußerungen verärgert. Nach einem Rüffel aus
Moskau mäßigte er sich. Dass sich nach den Parlamentswahlen in Syrien
etwas zum Besseren wenden wird, darf bezweifelt werden. Denn außer ein
paar wenigen Namen von Oppositionellen ist so gut wie nicht bekannt, wer
sich in ihren Reihen verbirgt. Nach Einschätzung der US-amerikanischen
Defense Intelligence Agency gab es 2013 etwa 1200 Oppositionsgruppen,
meist mit radikalen religiösen Ansichten, die sich mal dem einen, mal
dem anderen Führer anschließen und daher schwer zu kontrollieren sind.
Anhänger verschiedener Religionsgemeinschaften des Vielvölkerstaats
Syrien, in dem syrische Araber, Kurden, Assyrer-Aramäer, Turkmenen und
Palästinenser leben, führen einen Konflikt entlang einer
ethno-religiösen Linie. Syrien ist zum Schlachtfeld zweier islamischer
Glaubensrichtungen geworden: der sunnitischen und der schiitischen.
Bekannt sind der Al-Kaida-Ableger al-Nusra-Front, Islamisten vom
„Syrischen Nationalrat“ und sogenannte gemäßigte Oppositionelle wie die
Freie Syrische Armee, die sich größtenteils aus Deserteuren der
Assad-Armee zusammensetzt, aber zeitweise auch von anderen gegen Assad
kämpfenden Rebellen unterstützt wird.
Seit Ausbruch des Bürgerkriegs
2011 wird Syrien zunehmend zum Spielball geostrategischer Interessen.
Während die USA und Russland in Syrien einen Stellvertreterkrieg um ihre
Großmachtansprüche führen, geht es den islamischen Staaten Iran,
Saudi-Arabien und Türkei um die Kräftigung ihrer jeweiligen
Islam-Auslegung. Die sunnitischen Saudis wollen in Syrien die Schiiten
schwächen und damit auch den Iran, während der Iran an der Seite Assads
steht. IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi will die Herrschaft über Syrien als
Sprungbrett für ein globales Kalifat erlangen.
Die Türkei nutzt den
Syrienkrieg, um die vom Westen unterstützten Kurden zu bekämpfen. Ziele
der türkischen Luftangriffe sind vor allem kurdische Stellungen.
Präsident Recep Tayyip Erdogan träumt von einem osmanischen Großreich,
die von den USA unterstützten Kurden von einem vereinigten Kurdistan.
Der Präsident der mehrheitlich sunnitischen Türkei soll sogar den IS
unterstützt haben, um den Alawiten Assad loszuwerden. Bei einer
türkischen Intervention im Nachbarstaat Syrien droht ein direkter
Zusammenstoß mit der russischen Luftwaffe. Daran sind weder die USA noch
Russland interessiert. Der Nato-Partner Türkei könnte den Bündnisfall
auslösen. Unterstützung erhält die Türkei von Saudi-Arabien. König
Salman mischt im Syrienkonflikt kräftig mit, indem er radikalsunnitische
Rebellen gegen das Assad-Regime aufrüstet.
Angesichts dieser
komplexen Hintergründe erscheint eine Zusammenarbeit zwischen den USA
und Russland zwingend. Während Obama einerseits schon vor einiger Zeit
ein Scheitern seiner Syrienpolitik zugegeben hat, halten andererseits
westliche Politiker und Medien an ihrer Anti-Putin-Rhetorik fest. Es
scheint der Psychologie der Beruhigung der Massen geschuldet zu sein, in
Krisenzeiten einen Sündenbock zu stilisieren, den man für alles
verantwortlich machen kann, was gerade schief läuft. Im Augenblick ist
Putin der Schuldige. Ihm wird vorgeworfen, die Ukrainekrise verursacht
zu haben und durch die Bombardierung syrischer Städte die
Flüchtlingskrise in Europa zu verschärfen.
Ohne die Bombardierung
ziviler Ziele wie Krankenhäuser und Schulen gutzuheißen, sollte man sich
der Fairness halber in Erinnerung rufen, dass Russland erst im
September 2015 in den Syrienkonflikt militärisch eingegriffen hat. Der
Bürgerkrieg tobt seit 2011. Zuvor war es die US-angeführte
Anti-IS-Koalition, die syrische Städte in Schutt und Asche legte. Wie
bei den russischen Luftangriffen kam es auch dabei zu
„Kollateralschäden“: Im Oktober 2014 töteten US-Bomber Kurden bei einem
Luftangriff auf Kobane. Die Bombe sollte eigentlich IS-Kämpfer treffen.
Es versteht sich von selbst, dass der IS seinen Kampf nicht im freien
Feld führt, sondern sich in besiedelten Gebieten versteckt.
Will der
Westen also Putin die Verantwortung für zivile Opfer des Krieges
zuschieben, sollten die verantwortlichen Politiker einmal die
vergangenen Jahre ihrer Syrienpolitik Revue passieren lassen: In fünf
Jahren gab es mindestens 250000 Tote, über elf Millionen Menschen
mussten aus ihrer Heimat fliehen Der Westen hat nichts getan, um dies
zu verhindern.
In deutschen Sicherheitskreisen hieß es, dass die
Lage in Syrien schon „unumkehrbar“ sei. Es gebe keine militärische
Lösung. In wenigen Monaten hat Russland das Gegenteil bewiesen und
schlägt obendrein noch Kapital aus seinem Syrien-Einsatz: Das Vorführen
der neuesten Waffengeneration hat zu einem massiven Anstieg der
russischen Rüstungsexporte geführt.
Manuela Rosenthal-Kappi
Preussische Allgemeine
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