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Die hannoversche Landesbischöfin Margot Käßmann steht als erste Frau an der Spitze der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Sie wurde mit großer Mehrheit zur Nachfolgerin von Bischof Huber gewählt. Käßmann ist eine eigensinnige Frau, die es schafft, das Christentum als Leitfaden für den Alltag zu vermitteln.
Manchmal kann sie einem ziemlich auf die Nerven gehen. So ist Margot Käßmann auch im längeren Gespräch nicht begreiflich zu machen, dass es bei Halloween doch eigentlich um eine harmlose christliche Legende geht, mit der man Kindern manches über Tod, Ewigkeit und Erlösung verdeutlichen könnte. Nein, hält sie unerbittlich dagegen, Halloween sei Konsum, „Ausdruck der Spaßgesellschaft“ und im Übrigen eine üble Verdrängung des evangelischen Reformationsfestes.
Auch im Streit über Sterbehilfe hat sie sich als Hannoversche Landesbischöfin so sehr auf den berechtigten Widerstand gegen die suizidale Heimwerker-Industrie des Roger Kusch und gegen die in Hannover geplante Filiale des Schweizer Vereins „Dignitas“ versteift, dass am Ende kaum noch Raum dafür blieb, dass sie persönlich ihre eigene Patientenverfügung doch umgesetzt sehen möchte.
Manchmal können einem auch die Nikoläuse leid tun, die bereits im Oktober in den Supermärkten stehen, aber von der Bischöfin dort erst im Advent geduldet werden.
Freilich liegt im zuweilen arg heftigen kulturkritischen Furor der 51-Jährigen auch eine ihrer großen Stärken. Sie kann wie kaum jemand anderer in der Evangelischen Kirche zuspitzen und schafft dabei etwas, was nicht vielen leitenden Geistlichen mehr gelingt: deutlich zu machen, dass aus dem Christentum alltagspraktisch eine Menge folgt und man mit dessen Botschaft einen Leitfaden für die Bewältigung des persönlichen und gesellschaftlichen Lebens erhält. Den Sonntag ehren, den Angestellten der kirchlichen Diakonie keine Niedriglöhne zahlen, Flüchtlinge aus Afrika aufnehmen, beim Klimaschutz noch eins drauf legen – das sind bei Margot Käßmann keine politischen Positionen im langläufigen Sinne.
"Ich kann nicht tiefer fallen als in Gottes Hand“
Sie ist nicht eine von jenen Linksprotestanten, die das Vorurteil hinter jeder evangelischen Kirchentür wittert – nein, sie ist eher eine eigensinnige Moralistin aus dem Geist protestantischer Gewissensstrenge. Und die arbeitet bei ihr ganz schnell. Wenn der Ökumenische Rat der Kirchen aus Rücksicht auf die Orthodoxen keine ökumenischen Gottesdienste mehr abhält, dann will sie ihr Amt dort nicht länger behalten und legt es aus Protest nieder. Wenn Deutschland nach der Wahl von Benedikt XVI. „Wir sind Papst“ jubelt, macht sie nicht mit und erklärt sofort, dass die Evangelischen immer schon Papst seien, weil sie nämlich die Sachen demokratisch selbst regeln. Widerspruchsgeist, Eigensinn, persönliche Konsequenz.
Deshalb auch ist ihre Scheidung für die Mutter von vier erwachsenen Töchtern weit übers persönliche Unglück und weit über die amtskirchlichen Folgen hinaus ein Problem. Da ist ihr etwas widerfahren, was nicht geht. Der Ernst, mit dem sie sich dem gestellt hat, war einer der Gründe, weshalb ihr die Leitungsgremien in Hannover vor zwei Jahren trotz der Scheidung weiterhin das Vertrauen ausgesprochen haben. Auch beim Umgang mit ihrer Krebserkrankung hat sie sich sehr gründlich gefragt, was das für sie selbst bedeutet, und es war nicht so dahin gesagt, als sie dann bekannte: „Ich kann nicht tiefer fallen als in Gottes Hand.“
Dieses sehr Persönliche, um Authentizität Bemühte hat ihr, was es so im Protestantimus seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben hat, eine regelrechte Fangemeinde eingebracht. Wurde ihr Vorgänger Wolfgang Huber erst im Amt des Ratsvorsitzenden durch unermüdliche Einsatz populär, so ist Margot Käßmann in ihrem Eigensinn schon jetzt ein Star, den man entsprechend oft im Fernsehen besichtigen kann. Wenn sie auf Kirchentagen Bibelarbeiten hält, dann platzen große Messehallen aus allen Nähten. Gerade auch bei vielen Katholiken ist Käßmann ausgesprochen beliebt. Insofern hat die EKD-Synode mit ihrer Wahl zur Ratsvorsitzenden weniger eine eigenwillige Entscheidung getroffen als vielmehr eine Bewegung mitvollzogen, in der die weibliche Basismehrheit der Kirche auch darum kämpft, endlich einmal so anerkannt zu werden, wie es ihrem Engagement entspricht.
Gegen "Denkverbote"
Doch ist es wegen Käßmanns eigensiniger Art nicht leicht zu sagen, wofür sie theologisch und kirchenpolitisch eigentlich steht. Gewiss, sie unterstützte von Anfang an den durch Huber angestoßenen Reformprozess, hat Sparzwänge zumindest anerkannt und aus Überzeugung die neue Wendung zum christlichen Glaubenskern begrüßt und selbst dazu beigetragen. Im Verhältnis zur katholischen Kirche hat sie sich sehr entschieden gegen päpstliche Geringschätzung gewehrt und für größeres protestantisches Selbstbewusstsein plädiert – das sie dann aber als Freiheit zum Eigensinn ausbuchstabiert.
Bei ihrem großen Thema der „evangelischen Spritualität“ etwa dürfe es, so hat sie immer wieder gesagt, „keine Denkverbote“ geben, sofern „Bibel, Jesus Christus, das Gesangbuch und das Gebet mit dem Vaterunser als Zentrum“ erhalten blieben. Ansonsten sei ganz viel möglich, vor allem viel Emotionales. Als „zu kopflastig“ hat sie den Protestantismus kürzlich auf WELT ONLINE bezeichnet und sprach dann übers Pilgern, „die Meditation, das Schweigen und die Bewegung“.
Den Bilderreichtum der alten Kirche preist sie und die protestantische Musiktradition, wobei sie selbst freilich mit ihrer bemerkenswert strahlenden Stimme am liebsten Gospel singt. Die „Erfahrungsdimension des Glaubens“ hat es ihr angetan, die im Nachkriegsprotestantismus „lange Zeit zu gering geschätzt“ worden sei. Zwar beruft sie sich auf die Sinnenfreude Martin Luthers, aber dass sie als Bischöfin der lutherischen Hannoverschen Landeskirche, der größten in Deutschland, eine harte Verfechterin lutherischer Traditionen in der EKD wäre, kann man nicht sagen. Sie hat etwas Wilderndes.
Evangelikale lieben ihre Erzählgabe
Dass sie sich dabei nicht auf Fraktionen festlegt, macht sie mehrheitsfähig. Fast alle können sich mit ihr identifizieren. Die Lutherischen betrachten sie als eine der ihren, die Unierten freuen sich an ihrer innerevangelischen Konfessionstoleranz. Die Evangelikalen lieben ihre Erzählgabe und ihre Sinn für praktizierte Frömmigkeit, die Linken ihre sozialpolitische Schärfe, die Konservativen, dass Käßmann in der Bioethik sehr streng ist und sich gut mit Ursula von der Leyen versteht. Und all diejenigen, die sich um die Attraktivität des Protestantismus sorgen – das sind in Zeiten des Migliederschwunds wahrlich nicht wenige – begeistern sich für Käßmanns öffentliche Ausstrahlung.
Nur mit dieser Mehrheitsfähigkeit der eigensinnigen Charismatikerin lässt sich ihr rasanter Aufstieg an die Kirchenspitze erklären. Die 1958 in Marburg als Tochter eines Kfz-Schlossers und einer Krankenschwester Geborene wurde nach dem Theologiestudium 1983 Vikarin und noch im selben Jahr zur Vollversammlung des Weltkirchenrats geschickt. Prompt setzte sich die Hochbegabte da in einer Kampfabstimmung als jüngstes Mitglied im Zentralausschuss des Ökumenischen Rats der Kirchen durch.
Kampf gegen konservative Widerstände
1985 zur Pfarrerin ordniert, promovierte sie neben dem Gemeindedienst, profilierte sich als Vordenkerin des „Konziliaren Prozesses für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung“. Und so weiter: Lehraufträge, Studienleiterin der Evangelischen Akademie Hofgeismar, Generalsekretärin des Evangelischen Kirchentages, Mitbegründerin des Ökumenischen Kirchentages. Und 1999 im dritten Wahlgang Bischöfin der Hannoverschen Landeskirche, als damals erst zweite Frau in einem solchen Amt, gegen anfangs heftige konservative Widerstände, die rasch verflogen.
Das Amt in Hannover hat sie mit hoher Disziplin und großer Führungskraft ausgeübt. Sie konnte hart sein, wenn sie ihre Grundsätze gefährdet sah. So entzog ihre Landeskirche dem Göttinger Theologieprofessor Gerd Lüdemann die kirchliche Prüfungserlaubnis, weil er als textkritischer Neutestamentler vom kirchliche Jesus-Bild abrückte. Genauso konsequent hat Käßmann, als vor gut einem Jahr bei der Frage des neuen Ratsvorsitzenden alles auf sie zuzulaufen begann, einen Kreis von Zuarbeitern aufgebaut, die ihr künftig bei der Arbeit helfen sollen.
Allerdings können die das nur, wenn Käßmann sie lässt. Immer wieder wird erzählt, wie schwer es sei, sie zu zügeln, also neue Ideen vorher abzusprechen, nicht jede Presseanfrage zu beantworten und auch mal zu überlegen, ob bestimmte öffentliche Auftritte nicht Peinlichkeitsrisiken bergen. Ihr E-Mail-Verkehr folgt Gesetzen, die mit denen eines Kirchenamtes wenig zu tun haben, Käßmanns Handy-Nummer erfreut sich weiter Verbreitung. Ihr Eigensinn hat etwas Überbordendes und wird wohl eingedämmt werden müssen, wenn die Kirche nicht mit Käßmanns Charisma überschwemmt werden soll.
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