Montag, 10. Oktober 2011

Sollen Christen vertrieben werden?

10.10.2011
UNRUHEN IN ÄGYPTEN

Sollen Christen vertrieben werden?

Kairo (idea) – „Organisierter Terror“ ist nach Ansicht des koptisch-orthodoxen Generalbischofs in Deutschland, Anba Damian (Höxter), verantwortlich für die jüngsten blutigen Übergriffe auf Christen in Kairo. Nach einer friedlichen Demonstration gegen Anfang Oktober verübte Anschläge islamischer Extremisten auf eine Kirche in Oberägypten war die Gewalt am 9. Oktober in Kairo eskaliert. Bei Zusammenstößen mit Sicherheitskräften kamen mindestens 35 Personen ums Leben; etwa 300 wurden verletzt.
Damian macht das Militär für das Blutvergießen verantwortlich. „Die Armee geht mit hemmungsloser Grausamkeit gegen uns vor, weil sie islamistisch infiltriert ist“, sagte er am 10. Oktober auf Anfrage der Evangelischen Nachrichtenagentur idea. Soldaten hätten angefangen, in die Menge zu schießen und mit ihren Fahrzeugen unbewaffnete Menschen zu überrollen. Damian: „Das ist Teil eines systematischen Plans, die Kopten aus dem Land zu vertreiben.“ Seit dem Sturz des Alleinherrschers Hosni Mubarak im März haben rund 100.000 Kopten ihre Heimat verlassen. Keine Hilfe erwartet Damian vom Premierminister der Übergangsregierung, Essam Sharaf: „Das alles wird für die Täter keine Konsequenzen haben, denn die Kopten werden in Ägypten als minderwertige Menschen betrachtet.“ Damian, der rund 6.000 koptisch-orthodoxe Christen in Deutschland repräsentiert, wies ferner darauf hin, dass die Armee mit Waffen aus dem Westen ausgerüstet sei: „Die Waffen sind in christlichen Ländern produziert und auch von ihnen verkauft worden – das ist ein schlimmer Skandal und muss ein Ende haben!“ 
.
Evangelischer Pfarrer: Provokateure schüren Unruhen
Pfarrer Axel Matyba von der deutschsprachigen Evangelischen Gemeinde in Kairo erklärte gegenüber idea, die Gewalt sei von Provokateuren geschürt worden: „Nach meinen Informationen haben diese Leute, die alle mit den gleichen Stöcken bewaffnet waren, die Demonstration aufgemischt.“ Der Staat müsse sich mit aller Entschiedenheit um Aufklärung der Geschehnisse bemühen: „Es gilt, herausfinden, wer die Leute sind, die in dieser unruhigen Übergangszeit das schwierige Verhältnis von Christen und Muslimen instrumentalisieren, und diese Provokateure zu bestrafen.“ Auch die Frage, ob das Militär angemessen reagiert habe, müsse eingehend untersucht werden. Matyba: „Wenn es sich bewahrheiten sollte, dass sich die Armee von Anfang an an der Gewalt beteiligt hat, wäre das ungeheuerlich. Ich hoffe, dass es nicht einen offiziellen Plan hinter den Gewaltexzessen gibt.“ Matyba hob hervor, dass auch liberale Muslime den Staat aufgerufen hätten, die Rechte der Kopten sicherzustellen. Es müsse verhindert werden, dass extremistische Kräfte auf Seiten des Islams die Überhand gewinnen. 
.
IGFM: Keine „Religionsunruhen“
Nach Ansicht der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) handelt es sich bei den jüngsten Gewaltexzessen nicht um „Religionsunruhen“. An der zunächst friedlich verlaufenden Sitzblockade vor der Zentrale des ägyptischen Staatsfernsehens hätten nach Schätzungen von Beobachtern etwa 20 Prozent Muslime teilgenommen. Laut IGFM-Vorstandssprecher Martin Lessenthin (Frankfurt am Main) setzt das Militär Schläger und Provokateure in Zivil ein, um eigene Gewaltanwendung zu rechtfertigen. Nach Angaben der größten Zeitung Ägyptens, Al Ahram, hätten Soldaten und Polizisten Steine geworfen und geschossen. Etwa zehn Prozent der 83 Millionen Ägypter sind Christen, zumeist Mitglieder der koptisch-orthodoxen Kirche. 
.
Westerwelle: Christen müssen ihren Glauben frei praktizieren können
Führende deutsche Politiker äußerten Sorge um den Minderheitenschutz und die Religionsfreiheit in Ägypten. Außenminister Guido Westerwelle (FDP): „Wer als Christ seinen Glauben praktizieren möchte, muss das frei tun können, ohne dass er körperlich bedroht wird oder um sein Leben fürchten muss.“ Der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder, verurteilte den „Anschlag auf die religiöse Toleranz“. Er forderte: „Die ägyptische Regierung muss die Sicherheit der Christen im Land ohne Abstriche gewährleisten.“ Es  dürfe nicht zugelassen werden, „dass radikale Kräfte die Oberhand gewinnen, die den friedlichen Übergang Ägyptens in ein demokratisches und weltoffenes Land stören wollen. Ägypten müsse sich eine Verfassung geben, in der die Freiheit aller Religionen festgeschrieben werde. Kauder hat in diesem Jahr zweimal Ägypten besucht, um sich über die Situation der christlichen Minderheit zu informieren. 

Foto: dpa

.

Keine Kommentare: