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Birgit KelleWoher weiß eine Bande von Achtjährigen eigentlich, wie man einen Sechsjährigen sexuell missbraucht? Sie denken, das sei eine absurde Fragestellung? Seit dieser Woche leider nicht mehr, denn wie bekannt wurde, kam es genau zu solch einem Vorfall im Landkreis Unna. Eltern, Kinderschutzbund, Polizei – alle sind entsetzt und fassungslos. Und es wirft die Frage auf, was muss eigentlich schieflaufen, damit Kinder in der Lage sind, anderen Kindern Derartiges anzutun?
Wir wissen nicht viel über den Vorfall in Unna. Im Sinne des sechsjährigen Opfers, ein Junge aus, wie man sagt, gutem Elternhaus, ist das auch richtig so. Wir wissen nur, dass die vier Achtjährigen, die ihm das angetan haben, aus weniger guten Verhältnissen stammen. Die Polizei spricht von zerrütteten Verhältnissen und dass einige der Familien wohl schon länger beim Jugendamt bekannt sind.
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Wenn Kinder anderen Kindern sexuelle Gewalt antun, dann möchte man sich am liebsten wegducken, so unfassbar erscheint es. Sexuelle Gewalt ist etwas, was wir normalerweise – soweit man hier überhaupt von normal sprechen kann – im Verhältnis des Erwachsenen als Täter und dem
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Minderjährigen als Opfer kennen. Einigkeit herrscht auch darüber, dass es sich bei Erwachsenen, die dies tun, um ein krankhaftes Verhalten handelt, dass nicht nur zu bestrafen, sondern auch zu behandeln ist. Wir können also davon ausgehen, dass auch diese Kinder zu behandeln sind, denn normal ist ihr Verhalten für Achtjährige nicht. Man fragt sich auch, wie es sein kann, dass die Hemmschwelle schon bei so jungen Kindern derart niedrig ist.
Kommen wir also zu Antwortversuchen. Wussten Sie mit acht Jahren, was »sexueller Missbrauch« ist? Wussten Sie überhaupt, was Sex ist? Also mehr als das Wort, Gekicher, roter Kopf? Nein? Herrliche alte Zeit.
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Heute wissen Achtjährige leider verdammt viel über Sex. Nicht, weil es sie so brennend interessiert, sondern weil es ständig auf sie einprasselt, ohne dass sie jemand davor schützt. Weil sie es im Fernsehen zu sehen bekommen, weil sie es in der Werbung zu sehen bekommen, weil man es im Internet schnell auch aus Versehen schon bekommt und nicht zuletzt, weil es in unserem Land als Schulfach gelehrt wird.
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Ich weiß schon, ich mache mir nicht überall Freunde mit dieser Einstellung, aber als Mutter kann ich das mit voller Überzeugung sagen: Grundschüler brauchen keinen Sexualkundeunterricht. Sie müssen nicht wissen, wie man Kondome benutzt, wie man Abtreibungen bewerkstelligt, was Homosexualität ist oder was Onanieren bedeutet. Das sind keine Dinge für Grundschüler. Sie sind geistig nicht in der Lage, zu begreifen, was es damit auf sich hat, und in der Regel interessieren sie sich auch nicht dafür – es sei denn, man drängt ihnen das Thema auf. Und nichts anderes ist Sexualkundeunterricht. Alles, was es in dem Alter zu klären gibt, kann und muss von Elternseite her geschehen.
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Leider wissen wir, dass das manche Pädagogen anders sehen. Manche wollen schon im Kindergarten unsere Kinder mit diesen Themen behelligen. Teilweise geschieht dies schon. Den traurigen Höhepunkt in diesem Bereich bietet uns derzeit das Bundesland Berlin, das in einem neu erstellten Handkoffer Materialien zur Verfügung stellt für den Sexualkundeunterricht, die vermutlich nicht nur den Lehrern die Schamesröte ins Gesicht schießen lassen.
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In der Schweiz formiert sich derzeit massiver Widerstand gegen die sexuelle Früherziehung von Kindern. Mit fast 92 000 Unterschriften ist die Petition »gegen die Sexualisierung der Volksschule« Anfang Oktober der Schweizerischen Erziehungsdirektoren-Konferenz übergeben worden.
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Nun gab es schon immer Handgreiflichkeiten und Grausamkeiten unter Kindern, das wird auch immer so sein. Mit sexueller Gewalt von Kindern gegen andere Kinder unter zehn Jahren bekommt das eine ganz neue Qualität. Wir sind jetzt eine Stufe weiter. Ein befragter Psychologe zum »Fall Unna«, der sich mit Sexualtätern im Kindesalter befasst hat, versucht zu erklären, was da passiert. Seiner Meinung nach handelt es sich bei den Übergriffen nicht unbedingt um sexuell motivierte Taten, sondern um reine Machtausübung, allerdings in Form von sexuellen Übergriffen. Man kann also sagen: »Sie wissen nicht, was sie tun«. Man kann auch sagen, sie haben offensichtlich irgendwo schon mitbekommen, dass sexuelle Gewalt etwas ist, was andere erniedrigt. Woher wissen diese Kinder das?
Wer dazu Erhellendes wissen will, dem empfehle ich dringend die Lektüre des Buches Deutschlands sexuelle Tragödie – Wenn Kinder nicht mehr lernen, was Liebe ist von Bernd Siggelkow, Pastor und Gründer des Kinderprojektes »Arche« in Berlin und anderen Großstädten. Er beschreibt dort anhand von Beispielen, die ihm persönlich bekannt sind, wie Kinder und Jugendliche in vernachlässigten Zuständen in eine Spirale von Sexualität geraten. Er schreibt von Jungs, die beim Spielen Mädchen bedrängen und gar nicht wissen, was sie dabei tun. Er schreibt von Kindern, bei denen zu Hause pornografische Filme im Kreise der Familie geschaut werden, er schreibt von jungen Mädchen, die, bevor sie im Teenageralter sind, schon mehrfach Sexualpartner hatten und von jungen Mädchen, die ihre Liebhaber schon mal an die eigene Mutter, die oft nicht gerade viel älter ist, weiter gereicht haben. Und die Zahl dieser Kinder wächst in diesen Milieus.
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Nun kann man sagen, ist ja gut, dass diese Kinder Sexualkunde haben, damit sie dann wenigstens Kondome benutzen. Ich glaube, das ist genau der falsche Weg. Wir müssen wieder dahin kommen, dass Sexualität ein Thema ist für eine Altersklasse, in der man dafür geistig reif ist. Dazu gehört auch, dass solche Themen nicht im Nachmittagsprogramm der Talkshows lang und breit diskutiert werden. Dazu gehört auch, dass in der Schule ein Zusammenhang zwischen Sexualität und Liebe gelehrt wird. Dazu gehört, dass die Schule Dinge gerade rückt, wenn das Elternhaus aus den Fugen geraten ist. Auf keinen Fall jedoch brauchen wir für Kinder und Jugendliche noch mehr Beschäftigung mit dem Thema Sexualität, denn unsere einzige Funktion als verantwortliche Erwachsene kann es sein, sie vor zu früher Sexualität zu schützen.
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