Freitag, 29. November 2013

Der Engel des Nachgebens

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„Der Klügere gibt nach“, sagt das Sprichwort. Es trifft oft zu, aber nicht immer. Wenn ich ständig nachgebe, werde ich nie etwas erreichen. Und ich werde meine Kraft verlieren. Ich kann meine Wünsche nicht durchsetzen und sie nicht leben. Ich richte mich immer nur nach den anderen. Der Engel des Nachgebens will mich dafür sensibilisieren, wo es gut ist nachzugeben und wo es angebracht ist, bei mir zu bleiben.

Klug und tapfer

Manchmal wollen wir nicht nachgeben, weil wir uns dann als Verlierer fühlen würden. Der Engel des Nachgebens will uns vor diesem Gefühl bewahren. Es ist ein Engel, der mir immer einen klugen Rat gibt. Klugheit – lateinisch prudentia – hat mit Voraussicht – providentia – zu tun. Der Engel des Nachgebens sieht voraus, welche Folgen mein Tun hat. Das deutsche Wort „klug“ hat viele Bedeutungen: fein und zart, aber auch tapfer und gebildet, weise. Der kluge Engel bewahrt mich vor der Feigheit. Ich gebe nach, weil ich tapfer bin. Die Tapferkeit ist nicht Tollkühnheit, die sich in jeden Kampf stürzt. Sie kann unterscheiden, welcher Kampf sich lohnt und wo ein Rückzug klüger ist. Daher ist das Nachgeben oft eine Form der Weisheit. Der Engel möchte uns in diese Haltung hineinführen. Dann werden uns nicht verbiegen, sondern aufrecht zurücktreten.

einfach leben - Ein Brief von Anselm Grün

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Neue Möglichkeiten

Als Cellerar, der für die wirtschaftlichen Belange unseres Klosters zuständig ist, muss ich viele Sitzungen halten. Und dort prallen die Meinungen aufeinander. Ich versuche dann, einen Konsens herzustellen. Wenn ich nur den Stimmen nachgebe, die am lautesten sind, dann habe ich kein gutes Gefühl. Dann ist Nachgeben wirklich Schwäche. Aber manchmal spüre ich auch, dass ich mich weigere nachzugeben, weil ich meine eigene Stärke demonstrieren, mein Gesicht nicht verlieren will. Dann spüre ich, dass die Motive, die mich vom Nachgeben abhalten, meinem Ehrgeiz, meinem Ego, meiner Empfindlichkeit entspringen. In solchen Fällen brauche ich den Engel des Nachgebens, der mir Mut macht, in aller Tapferkeit nachzugeben. Er lächelt mir weise zu: Es ist klüger, jetzt nachzugeben. Das eröffnet neue Möglichkeiten. Wenn beide Seiten stur bleiben, dann blockiert Ihr Euch gegenseitig. Wenn du jetzt nachgibst, kannst du deine wahren Pläne besser durchsetzen. Du sollst dich nicht aufgeben, sondern klug überlegen, was die beste Strategie ist, deine Ziele zu erreichen. 

Mein Herz befragen

Es gibt viele Situationen, in denen wir den Engel des Nachgebens brauchen. Da ist etwa die tägliche Frage, was die Eltern kochen sollen. Sollen sie immer nur den Wünschen der Kinder nachgeben oder so gesund kochen, wie sie es für richtig halten? Oder da ist die Frage, was die Familie am Wochenende macht oder wohin sie in Urlaub fährt. Es ist gut, Wünsche zu äußern. Nur wenn jeder seine Wünsche formuliert, kommen alle ins Gespräch. Manchmal klärt sich dann von alleine, was für alle am besten ist. Manchmal passiert es aber, dass einer unbedingt seinen Wunsch durchsetzen möchte. Dann braucht es den Engel des Nachgebens. Er sagt nicht sofort: Gib nach! Er führt uns vielmehr zuerst ins eigene Herz. Er prüft mit uns unsere Gedanken und Gefühle. Wenn ich nachgebe, fühle ich mich dann innerlich frei? Oder werde ich ärgerlich, weil ich immer nur die Wünsche der anderen erfülle, auf meine Wünsche aber niemand hört? Wenn das Nachgeben nur Bitterkeit in mir hervorruft, dann rät mir der Engel, zunächst meine Gefühle zu äußern. Und wenn ich mit meinen Gefühlen ernst genommen werde, dann kann ich den Engel des Nachgebens nochmals fragen, was ich jetzt tun soll. Dann wird er mir sicher einen klugen Rat geben.



Anselm Grün

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